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Reportage

Märchenkönig und Technik-Freak – zu Besuch bei Ludwig II.

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Zu Besuch bei Ludwig II. und kein einziger echter Schwan ist zu sehen. Weder auf dem Schwanensee selbst noch auf dem angrenzenden Alpsee. Dafür werden wir, mein Sohn und ich, von den edlen Vögeln in sämtlichen Souvenirläden und Restaurants in und um die Orte Hohenschwangau und Füssen überfallen.Ob aus Porzellan, Glas oder Schmiedeeisen, als Handtuchhalter, Zuckerdose oder Türgriff, nichts ist sicher vor der Schwaneninvasion. Außerdem sind sie Namensbestandteil der beiden Königsschlösser, die weltweit Reisehysterie auslösen und nun auch uns für ein Wochenende an den südlichen Zipfel des Allgäus führen: nach Hohenschwangau und Neuschwanstein. Beide Prunkbauten sind untrennbar mit Ludwig II. (1845–1886) verbunden, dem bayerischen Märchenkönig, der unter so tragischen wie ungeklärten Umständen 41-jährig im Starnberger See seinen Tod fand. Während sich der „Kini“ (= bairisch für „König“) als Kind und Jugendlicher auf der königlichen Jagd- und Sommerresidenz Hohenschwangau vom anstrengenden adligen Alltag in München erholte, lebte er später mit dem Neubau des vis-à-vis liegenden Neuschwanstein seine Träume von einem fantastischen Märchenschloss aus. Dass es bis heute nicht fertiggestellt wurde, beflügelt die Fantasien kleiner und großer Besucher aus aller Welt umso mehr.


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Sternenhimmel und Wasserklosett, Ludwig II. war seiner Zeit weit voraus.

„Wie hat der König den Wasserhahn auf- und zugedreht?“, will der Junge im Schlafgemach Ludwigs wissen, das dominiert wird von einem Baldachin mit reich verziertem Tabernakelaufsatz. Viel spannender noch ist es zu erfahren, dass Neuschwanstein bereits über fließend Wasser und eine Klosettspülung verfügte – aus einer Quelle in den Bergen abgezweigt und über Metallrohre ins Schloss geleitet. Neben einer Portion Neugier und Forschergeist mögen es die erhoffte Bequemlichkeit und der nachgesagte Hang zur Prunksucht gewesen sein, die den Monarchen dazu veranlassten, seiner Zeit voraus und technischen Innovationen gegenüber aufgeschlossen zu sein. In Hohenschwangau wie Neuschwanstein darf man etwa staunen über mit Glühbirnen ausgestattete Leuchter ebenso wie über hinterleuchtete Sternenhimmel, über die der Mond in seinen Phasen wandert – und ein Telefon gab es auch bereits (mit dem mangels weiterer Leitungen zwar einzig und allein das Postamt in Hohenschwangau zu erreichen war, aber immerhin!).


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Auch Tropfsteinhöhle und Ritterbad machen den „Kini“ nicht glücklich.

Insgesamt 172 Tage nur hat der gegen Ende seines Lebens zunehmend öffentlichkeitsscheue Märchenkönig auf Neuschwanstein verbracht. Dauerhafte Zahnschmerzen, Medikamenteneinnahme, Alkoholmissbrauch, die gelebte Tag-Nacht-Umkehr und die unausgelebte Homosexualität machten aus dem bei seinem Volk so beliebten König einen zunehmend einsamen Mann. Ob er wohl täglich seiner illuminierten Tropfsteinhöhle und der grandiosen Sängerhalle mit großem Bühnenprospekt einen Besuch abstattete oder dem pompös geplanten Ritterbad nachtrauerte, das niemals fertiggestellt werden sollte? Es waren schließlich wohl nicht nur die davongaloppierenden Kosten, die der Baulust des Königs einen Strich durch die Rechnung machten, sondern auch die insgesamt große Zahl seiner Bauvorhaben: neben Schloss Neuschwanstein (ab 1869, unvollendet) waren dies das Königshaus am Schachen (1869–1872), Schloss Linderhof (1874–1878) und Schloss Herrenchiemsee (ab 1878, unvollendet). Das Projekt Falkenstein schließlich blieb nur noch ein Traumschloss, von dessen Vorhaben aber noch Pläne Zeugnis ablegen; auch das chinesische Sommerschloss am Plansee in Tirol wurde nie realisiert. Dem Mythos des Märchenkönigs tut all dies keinen Abbruch, im Gegenteil: Jährlich besuchen etwa 1,5 Millionen Touristen aus aller Welt Neuschwanstein. Wer sich tiefer in die Welt des „Kini“ hineinbegeben will, kann dies seit 2011 im nahe der beiden Schlösser eröffneten „Museum der bayerischen Könige“ tun – das wohltuend klar und unüberfrachtet mit einem modernen Konzept die Geschichte der Wittelsbacher aufbereitet. Aber natürlich längst nicht alle Fragen, die sich um den Mythos Ludwigs II. ranken, beantworten kann.


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Für Prinzessinnen, Ritter und kleine Könige

Ritter, Burgen, Könige … wer Neuschwanstein bei einer Reise mit Kindern im Programm hat, der hat schon gewonnen. Das erste „Boah!“ bekommen entzückte Eltern gleich beim ersten Anblick, wenn der Nachwuchs auf dem Parkplatz aus dem Auto/Bus steigt. Der Aufstieg zum Schloss wird mit links erledigt, denn keiner will sich freiwillig in die unnötig zeitraubende Warteschlange für Minibus oder Pferdedroschke einreihen. Da beide Schlösser ausschließlich mit Führungen begangen werden können, die jeweils circa 30–40 Minuten dauern, empfiehlt sich ein Besuchsalter ab 4–5 Jahren – Gruppenführungen speziell für Kinder werden vor Ort nur für Kindergarten- und Schulgruppen angeboten. Stressfrei für die ganze Familie ist ein Besuch des Hotspots im Winterhalbjahr, wenn nicht mehr die halbe, sondern gefühlt nur noch die viertel Welt zu Besuch nach Hohenschwangau kommt. Übrigens können wir es hier verraten: Wir waren sogar zweimal „oben“! Denn von der Marienbrücke oberhalb der Pöllatschlucht lässt sich Neuschwanstein am besten fotografieren – der Selfie-Leidenschaft sind hier keine Grenzen gesetzt.


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Zu Besuch bei Ludwig II. So kommst du hin:

Anreise:

  • Mit dem Pkw über die A7 Richtung Ulm-Kempten-Füssen, Ausfahrt Füssen. Von hier aus ca. 7 km bis Hohenschwangau/Königsschlösser (ausgeschildert).
  • Mit dem Zug bis zum Bahnhof Füssen. Von hier aus für ca. 5 km weiter mit dem Taxi oder den OVG-Bussen Nr. 73 (Richtung Steingarden / Garmisch-Partenkirchen) oder Nr. 78 (Richtung Schwangau) bis nach Hohenschwangau.
  • Mit dem Flugzeug ab Flughafen München-Erding mit S1/S8 bis München Hbf, dann weiter mit DB oder Regionalbahn bis Bahnhof Füssen (ca. 155 km); ab Flughafen Allgäu Airport Memmingen mit dem Taxi (ca. 1 Stunde) oder mit dem Bus von Memmingen ZOB oder der Bahn ab Memmingen Bahnhof (ca. 75 km).

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Zu Besuch bei Ludwig II. Nützliche Tipps:

Tipps für zwei Kurzwanderungen „mit & ohne Kinder“:

  • Von Füssen aus kann man sich in ca. 1,5 Stunden die Schlösser erwandern über den Alpenrose- bzw. den Drei-Schlösser-Weg, der über den Kalvarienberg führt. Unvermittelt hat man von hier oben den Blick auf die beiden so unterschiedlichen Bauten, die sich zwischen Wäldern und Seen auf ihren Felsmassiven in den Himmel erheben.
  • Wer sein Ticket bereits in der Tasche und noch ausreichend Zeit hat (s. u.), kann vom Ticketcenter in Hohenschwangau aus in ca. 50-60 Minuten durch die Pöllatschlucht nach Neuschwanstein hochsteigen.

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Tipp für den Ticket-Kauf:

  • Die Schlossbesichtigungs-Tickets vor der Reise online zu buchen ist eine gute Empfehlung; sie können dann unkompliziert und stressfrei an der Reservierungskasse am Ticket Corner abgeholt werden – die neidischen Blicke der Besucher in der lindwurmartigen Warteschlange nebenan werden Ihnen sicher sein. Der Slot für Ihre Besichtigung steht auf der jeweiligen Eintrittskarte und man hat ausreichend Zeit, die Strecke zwischen den beiden Schlössern zu Fuss zu bewältigen oder sich stilecht mit der Pferdekutsche (kostenpflichtig) transportieren zu lassen. Uns haben die Rösser leidgetan, deshalb waren wir auf Schusters Rappen unterwegs.

Tipp für die Übernachtung:

  • Zahlreiche Hotels, Ferienwohnungen und Appartements stehen im nahe gelegenen Füssen zur Auswahl. Nett und stilecht ist es in der historistischen Villa „Mein lieber Schwan“ (Klosterstraße 10, 87629 Füssen), die über zwei aparte und geräumige Ferienwohnungen verfügt.

Tipp für Essen & Trinken:

  • Kässpatzen gehören im Allgäu zum Pflichtprogramm. Einflüsse aus Bayern, Tirol und Italien erweitern die Karte um gehaltvolle Maultaschen, Knödel(n), Nocken, Schluzkrapfen, Polenta, bayerisches Bier und Südtiroler Wein. Mein Tipp: Buchen Sie (auch an Wochentagen rechtzeitig) einen Tisch bei „Il Pescatore“ in der Franziskanergasse 13 in Füssen – hier gibt es eine hervorragende italienische Küche mit kalabrischem Einschlag!

Spar-Tipp:

  • Mit der Füssen Card können viele Angebote kostenfrei (z. B. ÖPNV) oder vergünstigt genutzt werden.

Reportage und Fotos: Katharina und Vincent Zeutschner