Zu schnell, zu kurzsichtig und selten auf Augenhöhe: Die Pandemie hat die Schwachstellen klassischer Medien offengelegt. Konstruktiver Journalismus zeigt, wie es besser geht.
Nein, die Coronapandemie hat nicht alle gleich getroffen. Während sich manche im Homeoffice Infektionsrisiken nahezu komplett entziehen konnten, mussten andere draußen den Betrieb aufrechterhalten: in Krankenhäusern, Pflegeheimen, Supermärkten, im öffentlichen Nahverkehr.
Familien waren anders betroffen als Singles, Menschen mit Vorerkrankungen anders als solche ohne, Arme anders als Wohlhabende. Und doch gab es eine Gefühlslage, die während der Pandemie wohl alle teilten: eine enorme Verunsicherung. Wie gefährlich ist das Virus wirklich? Welche Maßnahmen können schützen? Und was bedeuten all die neuen Zahlen und Begriffe, die auf einmal durch den medialen Raum schwirren und von denen offenbar so viel abhängt?
R-Wert, Inzidenzen, exponentielles Wachstum – gerade zu Beginn der Pandemie waren die Schlagzeilen voller Begriffe, die viele Menschen nicht einordnen konnten, zumindest dann nicht, wenn sie kein einschlägiges Studium absolviert hatten.
Was genau sind RNA-Impfstoffe? Warum vertrauen viele Menschen der Impfung nicht? Welche wissenschaftliche Grundlage haben die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie? Und was wissen wir über die Behandlung von Covid-19? Bei Perspective Daily haben wir uns schnell ans Erklären gemacht, denn Fakten helfen in unsicheren Lagen unserer Ansicht nach am meisten. Wir haben aber auch klar gesagt, wenn wir etwas noch nicht wussten.
Die Aufgabe von Medien und Journalismus ist es zu informieren – und zwar auf eine Art und Weise, die Orientierung ermöglicht, Verantwortlichkeiten offenlegt und Handlungsoptionen aufzeigt. In Zeiten der Unsicherheit ist das besonders wichtig – und in den vergangenen 16 Monaten leider nicht immer gut gelungen. Während der Krise zeigten sich 3 Schwachstellen des »klassischen« Journalismus besonders deutlich. Gut, dass der Konstruktive Journalismus schon längst Lösungen parat hat.
1. Wir rücken Prozesse in den Vordergrund, nicht Personen
R-Wert, Inzidenzen, exponentielles Wachstum – gerade zu Beginn der Pandemie waren die Schlagzeilen voller Begriffe, die viele Menschen nicht einordnen konnten, zumindest dann nicht, wenn sie kein einschlägiges Studium absolviert hatten.
In diesem Moment wäre es vor allem wichtig gewesen zu erklären, wie Wissenschaft funktioniert. Die Begriffe und Zahlen einzuordnen und immer wieder darauf hinzuweisen, was im Moment mit Sicherheit gesagt werden kann – und wo die Wissenschaft noch nach Antworten sucht.
Das haben die Wissenschaftsressorts vieler Medien genau so gemacht. Doch gingen ausgewogene Artikel zwischen den lauten Nachrichten, die sich darauf stürzten, was Aufmerksamkeit versprach, zu oft unter. Besonders gern thematisierten einige Medien die (oft nur scheinbar) widersprüchlichen Aussagen von Forschenden und packten diese ähnlich an wie sonst Interessengruppen aus Politik und Wirtschaft. Insbesondere der Virologe Christian Drosten bekam die volle mediale Breitseite. Es gibt eine Szene in der im vergangenen Jahr erschienenen Amazon-Dokuserie über die Bild-Zeitung, in der sich Chefredakteur Julian Reichelt darüber echauffiert, dass alle »diesem komischen Wuschelkopf trauen«, der den Deutschen nun sagen wolle, was sie noch dürfen und was nicht. Aus dieser persönlich anmutenden Abneigung resultierte ein Schlagabtausch, bei dem niemand etwas gewonnen hat.
Die Personalisierung von Nachrichten ist ein Problem des klassischen Journalismus. Ein Reflex, der oft aus dem einfachen Grund anspringt, dass sich personalisierte Geschichten besser erzählen lassen. Besser verkaufen tun sie sich meistens auch.
Besser – im Sinne von konstruktiver – für die Gesellschaft ist es hingegen, wenn Medien Prozesse statt Einzelpersonen in den Fokus nehmen. Besser ist, wenn sie klar formulieren, worüber noch Unklarheit besteht, und auf der anderen Seite bereits vorhandene Erkenntnisse in mögliche Handlungsoptionen übersetzen. So konnte im März 2020 aufgrund der Erfahrungen aus China mit einiger Sicherheit gesagt werden: Wenn Kontakte nicht eingeschränkt werden, setzt exponentielles Wachstum ein. Also sollten Kontakte jetzt massiv eingeschränkt werden, wenn wir das nicht wollen; zum Beispiel, weil es die Gesundheitssysteme überlasten könnte. Ein von uns übersetzter und veröffentlichter Essay des Autors Tomas Pueyo tat genau das. Der datengestützte Blick in die Zukunft wurde millionenfach geklickt.
2. Wir kommunizieren transparent, evidenzbasiert und auf Augenhöhe
Was genau sind RNA-Impfstoffe? Warum vertrauen viele Menschen der Impfung nicht? Welche wissenschaftliche Grundlage haben die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie? Und was wissen wir über die Behandlung von Covid-19? Bei Perspective Daily haben wir uns schnell ans Erklären gemacht, denn Fakten helfen in unsicheren Lagen unserer Ansicht nach am meisten. Wir haben aber auch klar gesagt, wenn wir etwas noch nicht wussten.
Im Diskussionsbereich meldeten sich dann Menschen zu Wort, die an der Sinnhaftigkeit mancher Maßnahmen zweifelten, Impfungen misstrauten und uns vorwarfen, das Regierungshandeln nicht kritisch genug zu hinterfragen. Wir haben versucht, darauf einzugehen, sowohl in Diskussionen und E-Mails, aber auch mit immer neuen Artikeln zu Aspekten, bei denen offenbar besonders viel Unklarheit und Verunsicherung herrschte, zum Teil geschürt durch Desinformation. Natürlich hatten wir dabei nicht immer die eine, einfache Antwort parat – und es war uns wichtig, auch das transparent zu machen.
Weil wir euch nicht einfach von uns ausgewählte Fakten vorsetzen wollten, haben wir für einige Texte vorab gefragt, was ihr eigentlich wissen wollt. Im Team haben wir so viele Leser:innenfragen beantwortet wie nie zuvor. Wir wollten im Austausch bleiben. Obwohl uns natürlich Kritik erreichte, blieb die ganz große Polarisierung, die anderswo im öffentlichen Diskurs zu beobachten war, bei uns aus.
3. Wir springen nicht auf jeden Zug auf und wollen verstehen, was hinter den Nachrichten steckt
Wenn sich die Nachrichtenlage überschlägt, wird nicht immer alles sorgfältig geprüft, was sich anschließend rasend schnell verbreitet. Medien tendieren zur sprachlichen Zuspitzung, manchmal fehlt in Redaktionen schlicht die Zeit, sich Gedanken darüber zu machen, was bei Begriffen mitschwingt, die von Zitatgeber:innen ohne Einordnung übernommen werden, welche Ängste sie wecken können, welche Weltbilder zugrunde liegen. Ein älteres Beispiel: die immer wieder reproduzierten Begriffe von »Flüchtlingsströmen« oder »Flüchtlingswellen«, die schutzbedürftige Menschen mit bedrohlichen Naturgewalten assoziieren.
Auch in der Pandemie lösten viele Begrifflichkeiten Ablehnung und Ängste aus, die mit ein bisschen mehr Reflexion vonseiten einiger Medienschaffender vielleicht vermeidbar gewesen wären.
Als konstruktiv arbeitende Journalist:innen springen wir nicht auf jeden Zug, der durch den Bahnhof fährt; wir wollen erst sichergehen, ob er in die richtige Richtung unterwegs ist, bevor wir einsteigen.
Außerdem machen wir uns darüber Gedanken, welcher Zug heute gar nicht erst gekommen ist: welche Themen, Blickwinkel und Perspektiven gerade komplett vernachlässigt werden. So ging es im Zusammenhang mit Coronawirtschaftshilfen eine Zeit lang sehr viel um Autos und Flugzeuge, aber wenig um vulnerable Gruppen und diejenigen, die im Alltag die Hauptlast der täglichen Einschränkungen zu schultern hatten: Frauen und Familien.
Das Ziel: Journalismus für die Zukunft, nicht für die Klicks
Warum ist es uns so wichtig zu hinterfragen, wie Medien arbeiten? Warum wollen wir es anders machen? Wir wissen um die gesellschaftliche Verantwortung und glauben an die Möglichkeiten von Journalismus. Uns ist bewusst, dass wir unsere blinden Flecken erforschen und transparent machen müssen, um dieses Potenzial auszuschöpfen. Dabei machen wir, wie alle anderen, bestimmt den einen oder anderen Fehler. Auch der offene Umgang damit trägt zu einem vertrauensvollen Verhältnis zu denjenigen bei, die unseren Journalismus finanzieren.
Warum ist es uns so wichtig zu hinterfragen, wie Medien arbeiten? Warum wollen wir es anders machen? Wir wissen um die gesellschaftliche Verantwortung und glauben an die Möglichkeiten von Journalismus. Uns ist bewusst, dass wir unsere blinden Flecken erforschen und transparent machen müssen, um dieses Potenzial auszuschöpfen. Dabei machen wir, wie alle anderen, bestimmt den einen oder anderen Fehler. Auch der offene Umgang damit trägt zu einem vertrauensvollen Verhältnis zu denjenigen bei, die unseren Journalismus finanzieren.
Wir wollen Teil der Lösung sein, nicht Teil des Problems. Aber dafür müssen wir ein Problem zuerst durchdringen; klären, welche Handlungsoptionen es für den Einzelnen und auf systemischer Ebene gibt, an welchen Stellschrauben gedreht werden kann und wer sich schon auf den Weg in Richtung Zukunft gemacht hat. Das Wissen darum ist empowernd. Für uns – und hoffentlich auch für euch.