Katharina Wasmeier

Freie Journalistin, Autorin, Lektorin, Nürnberg

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Glosse

Runter vom Sofa - Wunschzettel

„Jetzt müsstest du dann schon langsam mal deinen Wunschzettel schreiben, Kind!“ Magische Worte, die mir Jahr für Jahr der persönliche Startschuss für Advent und Weihnachten waren und gleichwohl der für eine emsige Betriebsamkeit. Weil es selbst in meinem Leben eine Zeit gab, in der ich noch nicht schreiben konnte und Malen zwar schön bunt und außerordentlich fantasievoll gelang, dafür aber rein gar nichts mit „Photorealismus“ zu tun hatte und deswegen größte Verwechslungsgefahren barg („Ich wohohohoolllte doch ein Skaaaaateboahohohooooord!“ – „Oh. Wir, äh, das Christkind dachte, das sei ein Bleistiftspitzer …“), bediente ich mich frühzeitig einer anderen und heute durchaus etablierten Kunstform, die erstens ausgesprochen hübsche Wunschzettel ergab und zweitens an Präzision durch nichts übertroffen werden konnte: die Collage, die ich in hingebungsvoller Kleinstarbeit mit Hilfe von turmhoch in meinem Kinderzimmer aufgestapelten Spielzeugkatalogen erstellte. Und beim Durchblättern praktischerweise bislang unbekannte Wünsche überhaupt erst entwickelte, da man auf der Suche nach der bekannten und pädagogisch wertvollen Welt des geschlechtsneutralen Holzspielzeugs unwillkürlich in die wundervoll rosa glitzernde der Barbies, kleinen Ponys und Polly Pockets stolpert. Fein sorgfältig hab ich also Seite um Seite durchforstet, um mit der kinderrunden Bastelschere ordentlichste Flecken auszuschneiden und damit übrigens eine Kernkompetenz zu schulen, schließlich galt es, so exakt zu schneiden, dass hernach Produkt samt Produktnummer und Preis deutlich zu erkennen waren und das Christkind nachher nicht wieder Ausreden bemühen musste („Ach du meintest das mehrstöckige pinke Barbiehaus? Das tut uns leid, wir waren uns sicher du meinst das kleine blaue Dreirad daneben!“) und dabei aber so platzsparend zu arbeiten, dass möglichst viele Wünsche artikuliert werden konnten. Auf diese Weise setzte ich den Spielzeugkatalog also Seite für Seite auf weißem Papier neu zusammen und verbrachte schöne Basteltage mit Hörspielkassetten … Heute sagt keiner mehr, ich soll Wunschzettel schreiben, nur die Post mahnt die rechtzeitige Aufgabe von Weihnachtsbriefen an, und statt mehrstöckiger Spielzeugkatalogtürme stapeln sich nur die Werbezettel umliegender Supermärkte auf dem Wohnzimmertisch, die durchaus wissen, Begehrlichkeiten zu wecken und Wünsche nach Unsinn (Serviettenringe, Etageren, Sous Vide Sticks, beleuchteter Duschkopf), jedoch auch Fragen aufwerfen. „Alles für Ihr Weihnachtsfest“ verspricht ein beliebter Feinkostdiscounter und zeigt neben Christbaumständern, Goldbesteck und Kuschelkaschmir Wundersames für das Weihnachtsfest: Abdeckfolie, Allzweckvlies, Gewebeband und Malerwalzen – das klingt nach einer verdammt heißen Party. Oder nach irgendwas, wo statt des Christkindes an Heilig Abend die Kripo klingelt.