Katharina Wasmeier

Freie Journalistin, Autorin, Lektorin, Nürnberg

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Fading Borders: Wie das Knoblauchsland nach Venedig kam

Die Architekturbiennale in Venedig gilt als eine der weltweit bedeutendsten Kulturausstellungen. Auf zwei riesigen Arealen präsentieren inmitten des magischen Charmes der norditalienischen Sehnsuchtsstadt präsentieren alle zwei Jahre die Länder der Erde ihre Interpretationen eines gemeinsamen Oberthemas. „How will we live toghether?“ lautete das Motto der diesjährigen „Mostra internazionale di architettura di Venezia“, die seit 1975 im zweijährigen Wechsel mit der renommierten, 1895 ins Leben gerufenen Kunstausstellung Biennale di Venezia stattfindet. Neben unzähligen Ausstellungen, Galerieöffnungen, Kunstaktionen und Experimentierlaboren schlägt das Herz der Biennale in den Stadtteilen „Arsenale“ und „Giardini“:

Eins eine dem kuratierten Verfall überlassene Schiffwerft im industriellen Backsteinchique, sind die anderen grüne Parkanlage mit Meeresblick. In 28 Länderpavillons interpretieren die Länder das Thema zukünftigen (Zusammen-)Lebens und verhandeln aktuelle Fragestellungen auf unterschiedlichste Weise. Gigantische Naturholzkathedralen neben winzigen Polar-Utopien aus dem 3D-Drucker. Generationenalte japanische Häuser in Einzelteilen zerlegt neben Smartest Living ferner Zukunft. Was ist möglich mit Grün und Öl, was mit Wasser, Klang, Raum und Zeit? Wie macht man aus Abfall Material und was dann daraus, wie leben, wohnen, arbeiten wir später mal – und jetzt?
„Fading Borders“ lautet der Titel des rumänischen Pavillons. Darin: Großformatige Fotografien von Menschen, die ausgezogen sind, um Geld zu verdienen. Die ihre Heimat verlassen, um anderswo zu Gast zu sein, die unter Bedingungen leben und arbeiten, die so prekär sind, dass sie den Daheimgebliebenen ein gutes Dasein ermöglichen. Studien schrumpfender rumänischer Städte und wachsender rumänischer Diaspora. Arbeitsmigration. Und: Das Knoblauchsland. Gemüsebau Höfler. Nanu?

„Ich habe um ehrlich zu sein keine Ahnung, worum es geht“, sagt Peter Höfler hörbar irritiert am Telefon. Ob er wisse, dass sein Betrieb, vor allem seine Mitarbeiter großformatiger und substanzieller Bestandteil einer der architektonischen Weltausstellung ist? Nein, sagt der Landwirt. Nur, dass letztes Jahr journalistischer und fotografischer Besuch aus Rumänien zu Gast war, um an einer Reportage zu arbeiten.

Die Reportage trägt den Namen „Away“, eine unabhängige Untersuchung des rumänischen Projekts „Teleleu“ der renommierten rumänischen Journalistin Elena Stancu und des Fotografen Cosmin Bumbut. Seit 2013 bereisen sie die Welt für dokumentarische Arbeiten. Im Wohnmobil, um denjenigen möglichst nahe sein zu können, um die es ihnen geht: Extreme Armut, häusliche Gewalt, Kriminalität. Seit 2019 mit „Away“ um Rumänische Emigranten und „deren Geschichten von Kampf und Erfolg, Not und Erfüllung, die eigentlich die Geschichte aller Migranten erzählen, die weit weg von zu Hause nach einem besseren Leben suchen“, so Elena Stancu in einer Mail. Die Anpassung an die neue Umwelt, die Konfrontation mit Inklusion und deren Ausblieben, aber auch die Entstehung neuer Gesellschaften und Kulturen sind Themen, die nicht nur weit weg irgendwo auf der Welt passieren – sondern vor unserer Haustür.

Im Knoblauchsland, der viel beschworenen bayerischen Gemüsekiste, deren Ertrag so wertvoll ist wie deren Beackerung geringgeschätzt. Pandemie und Reisebeschränkungen richteten Anfang letzten Jahres ein Brennglas auf das, was keiner so gern hören will. Dass Spaziergang dort romantisch, die Arbeit knochenhart ist. Und von kaum jemandem verrichtet wird, der nicht unbedingt muss. Rumänische Menschen müssen gewissermaßen: Die Not im eigenen Land treibt sie nach Osten auf die Felder. Wenn sie Pech haben, landen sie dort vom Regen in der Traufe. Wenn sie Glück haben auf Menschen wie Peter Höfler.

Seit einigen Jahren führt der 44-jährige Landwirt den Familienbetrieb. 100 Mitarbeiter „wenn alles voll läuft“, sagt er. Aus Rumänien: 70 übers Jahr, Bedarf ist ja immer, aber nicht gleich hoch. Peter Höfler kennt seine Leute, die Frauen und Männer, „deren Lebenssituation in Rumänien katastrophal ist“ und „die so viel auf sich nehmen, um sich ein Auto kaufen zu können oder ein Haus bauen“ für sich und ihre Familien – die sie dafür oft zurücklassen. „Bei uns arbeiten zehn Väter und Mütter, die ihre Kinder ein halbes Jahr nicht sehen, weil die bei den Großeltern leben.“ Die Arbeit sei extrem anstrengend und „garantiert nicht vergnügungssteuerpflichtig“, werde dafür aber ordentlich entlohnt. Deutsch Erntehelfer fände er trotzdem kaum. Wie die Journalistin auf seinen Betrieb gekommen ist? Peter Höfler weiß es nicht. Nur, dass er um Erlaubnis gefragt wurde, die Reportage zu machen. „Selbstverständlich“ habe zugesagt, nichts zu verbergen, sondern im Gegenteil „wünsche ich mir, dass die Leute sich interessieren, wissen, was die Produktion hier bedeutet und wie die Sachen wachsen.“

Der schlechte Ruf, der den Rumänen anhaftet, findet er nicht gut, denn „die hier sind, das sind doch die, die hart arbeiten.“ Damit sie wenigstens weich schlafen, hat er ein Apartmenthaus gebaut, 56 Betten, Gemeinschaftsräume, wie es sie zwar „nicht überall gibt, doch die Betriebe investieren zunehmend.“ Aber die Genehmigungsverfahren dauerten lang. Unsere Bedingungen, sagt Peter Höfler, „müssen ordentlich sein, damit wir attraktiv sind – und unsere Verpflichtungen dem Handel gegenüber erfüllen können.“

Schwarze Schafe, die ihre Mitarbeiter unter ganz anderen Bedingungen hausen lassen, gibt es dennoch. Wo Wäsche vor Bauruinen weht, wird innen kaum Luxus hausen. Elena Stancu hat viele Geschichten gehört und aufgeschrieben, Peter Höfler mit Hilfe der Dolmetscherin und Radio Z-Mitarbeiterin Sabine Eisenburger interviewt, seitenweise rumänischen Schicksalen eine Stimme verliehen und ein Gesicht. Ein paar sind Botschafter in Italien geworden, um einem Weltpublikum zu erzählen, was in der Heimat kaum jemanden interessiert. Auch in der zweiten nicht.

https://teleleu.eu/