Katharina Wasmeier

Freie Journalistin, Autorin, Lektorin, Nürnberg

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Der mit dem Holz tanzt

Motten, machen wir uns mal nichts vor, führen die Lieblingstiereliste eher selten an. Schnell, laut, finster, plump und irgendwie bäh möchte man meistens eins: sie schnell loswerden. Dass eine Vielzahl dieser Flügeltierchen aktuell übergroß und majestätisch eine Galerie dominieren, die Blicke und Passanten leiten mit der gleichen lumineszenten Anziehungskraft, der sie sonst doch selbst erliegen, haben sie zweierlei zu verdanken: Clemens Söllner, der „Empathie für die Schwachen“ und ihnen ein Gesicht gegeben hat. Und die Form, die er dafür wählt: Intarsie oder, noch ungewöhnlicher, Marketerie, ein so uraltes wie verstaubtes, doch weltweit und gerade in Nürnberg traditionell verankertes Kunsthandwerk, dem der 33-Jährige sich verschrieben, das er sich quasi autodidaktisch angeeignet, „von Grund auf selbst erschlossen“, erforscht, bezwungen hat. Und schließlich als perfekte Form des Ausdrucks für sich erkannt, weil „ich rot-grün-blind bin und Holz das Farbspektrum bedient, das ich selbst habe: braun“, sagt Söllner, stellt ein Licht untern Scheffel und lässt es da.

Aufgewachsen im Tirschenreuther Grenzgebiet ist Clemens ideenlos, sammelt Schulabschlüsse ein, macht Abitur und Zivi und niemals einen Plan, strawanzt herum auf  ungeebneten Wegen, fischt blindlings im trüben Wasser „Zukunft“ und angelt dort ein Jahr künstlerisches Vorstudium: Bildhauerei in Weiden. Stöbert durch Gips, Draht, Holz, findet „keine Regeln, dafür Möglichkeiten“ und 2010 den Weg hinaus zur Bingstraße. In der Klasse Bildende Kunst der gleichnamigen Akademie findet Clemens Söllner in Meister Reinhard Eiber „einen Menschen, zu dem ich aufschauen konnte“, die Faszination für Gips und Disziplin, in der Schreinerei und schließlich sich selbst in einer misslichen Lage: Bitte Holzschatulle mit Intarsie verzieren. „Intarsie? Ich wusste nicht mal, was das bedeutet.“

Es bedeutet, aus dünnsten Holzplatten und Scheiben filigrane Muster, Formen, zu schneiden. Bedeutet „eine Gestaltung ausschließlich über und mit Natur“ und dem, was sie vorgibt. Bedeutet scheitern, verzweifeln, verletzen, mit den Charakteren der Hölzer ringen, sie kennenzulernen, zu bezwingen – die harten, die weichen, die fremden und vertrauten, hellen, dunklen, duftenden, stinkenden und groben und feinen. Sich mit der Haptik anfreunden. „Zu Beginn“, sagt Clemens Söllner, „war ich völlig verzweifelt. Alles reißt und bricht und splittert.“ Das erste Jahr: nur Frust. Sagt Söllner und danach „Das ist die schönste und traditionsreichste Form der Gestaltung, aber niemand macht das. Das verstehe ich nicht.“

Weil es niemand macht, bringt er sich alles selbst bei, was schwierig ist, wenn niemand Regeln erklärt. Was gut ist, weil es keine gibt. Also macht er seine eigenen, erschließt, begreift das Handwerk. Zeichnet auf Kohlepapier und damit auf Holz, schneidet mit Skalpellen die feinsten Linien und Formen, dreht und wendet die Maserung und Fasern. Das Holz? Ist Söllners Pinselstrich, der gleichsam feinstgezeichnet ist. Erklärt das langsame Verkohlen und Schattieren mit Hitze, „sandeln“, sagt er, bei dem das Holz verbrennen, verziehen, verschwinden kann, wenn man kurz nicht hinschaut. Und für Meisterschüler Söllner als Grund taugt, sich dem Smartphone zu verweigern, weil es nur ablenkt, und das ist nicht gut, wie überhaupt die Schnelllebigkeit überall nicht gut passt zu seiner Kunst, sagt Söllner und wie wundervoll es ist, jetzt am Waldrand zu leben. Aus 300 Teilen besteht ein Nachtfalter, aus 3000 Teilen manch anderes Werk. Drei Wochen Arbeit für ein Bild, locker. Meditativ. Die Zeit ist egal, notwendig, „ich will das richtig machen, hochwertig“, und wer sie betrachtet, den Totenkopfschwärmer und die Aprileule, den Braunen Mönch und das Gelbe Ordensband, wer sich hineinziehen lässt von diesen morbiden Schönheiten, die Partikel herausdestilliert aus dem Werk, der sieht das Ausmaß der Akribie, mit der Tulpenbaum und indischer Apfel, amerikanischer Nussbaum und weißes Ebenholz verarbeitet sind. „Und die Ästhetik des menschlichen Versagens“, sagt Clemens Söllner und schubst das Licht unterm Scheffel. Keine Motten weit und breit.

 

One wall with... Clemens Söllner (Intarsien / Marketerie) bis voraussichtlich 14.11.,
Raum für zeitgenössische Kunst Laurentiu Feller, Bergstraße 11, Nbg, ÖZ Mi-Sa 11-18 Uhr (Kuratiertes Dinner am 13.11.2020 um 20 Uhr); rfzk-feller.de