Katharina Wasmeier

Freie Journalistin, Autorin, Lektorin, Nürnberg

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An die Kette gelegt: Ein Ding, sich zu knechten

Ein Ding sich zu knechten

Als ich ein Kind war – und ja, Geschichten, die so beginnen, künden meist von einem Trauma. Also: Als ich ein Kind war, durfte ich das Haus nicht verlassen. Es sei denn, ich hängte mir artig meine Hundemarke um den Hals. An besseren Tagen baumelte mir an buntem Nylon ein buntes Gefäß, an schlechteren zerschlissenes Leinen mit rissigem Leder vor der Brust. Beiden zuein war, dass sie bei jedem Schritt hübsch mitfederten und gemeinsam mit dem Klackklack des Ranzens und dem zwuschzwusch des Pferdeschwanzes einen hübschen Dreiklang bildeten. Wollte jemand wissen, welchen Ursprung dieses Tosen hatte, musste er nur auf die Hundemarke blicken, denn da stand sauber zu lesen: Katharina Wasmeier, und wer noch mehr wissen wollte, beispielsweise meine Adresse, wie viel Geld ich zum Gummibärchenkauf zur Verfügung hatte oder eben nicht, der musste nur hineinblicken in diesen Schandbeutel, der gleich einem blinkenden Leuchtehut in die Welt hinausschrie: „Es handelt sich hier um einen unselbstständigen Trottel, auf den man aufpassen muss und der es nicht schafft, seien sieben Sachen einfach ordentlich im Ranzen zu bewahren wie andere Kinder auch.“

Eine giftgrüne Steigerung stellte nur noch eine plastene, rohrförmige Dose dar, in die hinein man Münzen füllen konnte, denn das war so-ur-prak-tisch, und dann bist du – katsching! Katsching! – als wandelndes Sparschweinderl aufgetreten. Nein, es war nicht leicht. Und es machte das Leben nicht leichter, dass steinuralte und weltfremde Menschen, Eltern beispielsweise, mit der beutelgewordenen Scham durch Ferienausflüge wandelnden weil das ist ja so urpraktisch und der Italiener eh ein Gauner, da musst du ein Auge haben auf deine Lira. Man durchlebte diese Zeit der Schmach, man wurde älter, stärker, und irgendwann lösten sich die Fesseln der Fremdbestimmung. Das Leben wurde frei.

Doch für jedes Modetrauma gibt es ein Persönchen, das sich von den Strapazen nie erholt hat, das Rache nehmen muss für alle die Kindsbeinschande, das sich im Albtraum schweißnass windet bis ihm die Lösung erscheint: Wir machen das einfach wieder! Wir bringen Menschen dazu, sich große schwere Teile um den Hals zu hängen, mit denen sie in Fahrradlenkern hängenbleiben und an Tischkanten schlagen. Wir hängen ein Stück Plastik an einen großen Schnürsenkel, das geben wir dann diesen sogenannten Influencern, und du wirst sehen: Die Menschen werden verrückt danach sein. Und siehe da: Sie wurden verrückt.

„Es ist so praktisch“, schwärmt die Frau, die der Legende nach die Handykette erfunden, pardon: designt und mit süßem Kosenamen versehen hat. Denn es trug sich zu das Ungemach, dass die Frau erst immerzu das Telefon verlegt und später keine Zeit für Kinds- und Mannkopfstreicheln fand, waren doch die Kraulefinger am Smartphone ständig festgesaugnapft. Jetzt könnte man sagen: Du bist alt genug, dich um deinen Krempel zu bemühen statt ihn zu verschusseln, und wenn du ihn einfach in der Handtasche versenkst, hast du auch schon die Hände frei, um Zärtlichkeiten zu verteilen! Doch das wär zu einfach, und so windet man Kordeln um Hüllen und trifft damit zwei Nerven: Erstens nämlich, so schreit’s die Werbung, hat man (kein Witz) „all eyes and hands on“, beispielsweise, um Straßen anzuschauen und Kinderwägen darüber zu schieben, Smoothies zu bereiten oder gar zu arbeiten. Auch superpraktisch: Endlich kann ich wieder Sport machen, hab ich doch beide Hände frei beim Tennis, während mit das Telefon freundlich an die Hüfte wummst.

Ich hab das grad mal ausprobiert und muss sagen: Es stimmt schon! Leg ich das Handy aus der Hand, tagwerkt es sich gleich viel effizienter! Zweitens aber haben wir endlich eine Möglichkeit ersonnen, unseren ganzen Stolz, unser Leben stets der Welt zu präsentieren. Haus, Auto, Yacht – das braucht der hip-urbane Mensch nicht mehr, sondern ein Telefon im Gegenwert mindestens der alten Statussymbole. Und wen ich schon ein Jahresgehalt fürs Handy hinblättere – hey, dann sollen’s die anderen gefälligst auch sehen, und so praktisch ist’s ja auch, vor allem wenn ich um meine #couplegoals und meinen #mamistyle und meine #instalovers zu kuratieren mich beim Fotografieren stetig stranguliere, seh ich besonders hip aus.

Freilich muss man sagen: Es ist aber auch so ein ganzes Leben drin, in diesem Kästchen: Fotoalbum, Plattensammlung, Telefon- und Tagebuch, Bezahlfunktion und Haushaltsplan und überhaupt ein ganzes Universum. Unser Handy, unser Leben, und jetzt tragen wir es immer fest an den Leib gezurrt, wechseln die Kordeln passend zu Yogashirt und Brautkleid und können endlich alles nicht nur im Griff, sondern auch im Blick haben, und vor Gangsterscheren ist es auch viel besser verborgen als tief in einer Tasche.

Wie wunderbar! Wie sonderbar. Wie fürchterlich! Denn das einzige, was wir mit der Handykette zeigen, ist nicht nur die postinfantile Unfähigkeit, auf seine Sachen aufzupassen, sondern die grenzenlose Abhängigkeit von diesem Gerät, von dem wir uns jetzt nur noch besser dominieren lassen können, bei dem man nicht weiß, wer hier eigentlich wen an der Leine ausführt. Ich weiß nicht, wovon ich rede? Nun ja. Freilich hab ich auch so ein Ding. Schwarz, dezent und nagelneu baumelt es im Flur an der Garderobe, gekauft in einem Urlaubsschreckmoment, nachdem dreimal hintereinander beinah das Fotofon aus der Hand und in sumpfigen Morast geglitten wär. Von derlei urwäldlichem Ungemach bin ich im städtischen Raum weitestgehend verschont. Nicht aber von den Handyketten. Mein bester Freund, Fashionvictim wie im Lehrbuch, hat das mit der Kordel übersprungen und stattdessen das iPhone15S direkt an zwei dicken kurzen Gurten um den Hals, wo es bei jedem Schritt lustig auf den Brustkorb trommelt. Schnurlos-Telefon mit Schnur. Im nächsten Schritt sind Scout-Ranzen wieder in. Mit Wählscheibe. Jede Wette.