Katharina Wasmeier

Freie Journalistin, Autorin, Lektorin, Nürnberg

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Nurban Art ohne Urban Art - Graffiti-Flächen verzweifelt gesucht

Vor bald drei Jahren gründete sich die Initiative „Nurban Art“. Das hehre Ziel: mehr Farbe für Nürnberg, mehr Flächen für Street Art, mehr Akzeptanz für Graffiti als zeitgenössische Kunstform. Dass seitdem furchtbar viel passiert wäre, kann man vorsichtig gesagt nicht direkt behaupten. Dabei entpuppte sich gerade im vergangenen Sommer die Gestaltung der Theodor-Heuss-Brücke als Publikums- und Menschenmagnet. Ein Meilenstein?

Die Urlaubszeit ist längst vergangenen. Die Bilder aus fernen Ländern und nahen Städten sind geblieben. Großformatige Wandgestaltungen und winzige Kunstwerke, kleine Ergänzungen des Stadtbilds und riesige Überraschungen, mit denen Menschen, Künstler auf der ganzen Welt gegen vergammelnde Fassaden und graue Trostlosigkeit angehen. In Nürnberg sucht man derlei zwar nicht (mehr) vergebens, doch nach wie vor finden sich solche Beiträge zur Stadtkultur eher wohlst dosiert.  „Wir sitzen seit zwei Jahren an einem runden Tisch zusammen und es ist noch keine einzige Fläche dabei herausgekommen“, sagt Carlos Lorente, Künstler, Graffiti-Akademie-Gründer und rühriger Prophet in Sachen Straßenkunst. Gemeinsam mit Julian Vogel und Stadträtin Eva Bär gründete er 2015 diejenige Initiative, die den über die Stadt verteilten raren Bilderteppich gern verdichten möchte. An besagtem runden Tisch findet sich zweimal jährlich ein Gremium ein, um Flächen und Projektideen zu besprechen. Vertreter von SÖR, Hochbau- und Jugendamt und dem Beirat Bildende Kunst sowie „Künstlerinnen und Künstler, die sich berufen fühlen und ihren Bedarf vortragen“, erzählt Lorente. Das klingt erstmal prima, doch schon klingt Frust durch. Grundsätzlich sei Bereitschaft da, vor allem aber würde seitens der Entscheidungsträger auf mögliche bürokratische Hürden verwiesen, nicht hinsichtlich einer Machbarkeit gegrübelt, sondern Bedenken geäußert. Da gehe es dann um mögliche problematische Entsorgung bemalter Mauern, um diffuse Verletzungsgefahren.

Aber, freilich, auch um Dinge wie „Ensembleschutz“, betonen Andreas Wissen und Pirko Schröder vom Beirat Bildende Kunst, einem Beratungsgremium, das Empfehlungen ausspricht, sobald Kunst im Öffentlichen Raum oder auf städtischem Grund geschehen soll; besonders die Altstadt reagiert unter Umständen empfindlich. Dabei gibt es mit „Sgraffito“ (Kratzputz) oder der guten alten „Lüftlmalerei“ eine so lange wie urbayerische Tradition in Sachen Wandbilder. Dass nicht alles überall hin passt, ist klar. Vor allem aber, so Pirko Schröder, selbst freie Künstlerin, wünsche man sich Diversität: „Verschiedene Stile und Inhalte, vor allem an exponierter Stelle“ wären toll, finden zwar gelegentlich, aber zu wenig statt. Insbesondere aber muss man Flächen finden, und da gibt sich zumindest SÖR zurückhaltend. Eine neue „Hall of Fame“, also offizielle Übungsfläche, von denen es („ein Armutszeugnis“) in Nürnberg quasi keine gibt? Keinesfalls. „Wir haben ja eigentlich nur Brücken“, sagt Pressesprecher André Winkler, für den Graffiti „Kür, aber keine Pflicht“ ist. Zu deren Gestaltung stehe man „prinzipiell aufgeschlossen“, habe beispielsweise bei der Neugestaltung der Unterführung Kontumazgarten gezielt Wandbilder miteingeplant – und die binnen kürzester Zeit zerstört gesehen. „Nicht alle halten sich an Regeln“, mein Winkler. Ob das vielleicht Ausdruck des Unmuts darüber sein könnte, dass kein lokaler Künstler malen durfte? Schließlich, weiß auch Pirko Schröder, sei mit der Westbad-Mauer als „tolles Ergebnis eines Wettbewerbes“ ein riesengroßes Kunstwerk seit stolzen sechs Jahren unversehrt.

Andere, nicht-städtische Einrichtungen zeigen sich offener. Die WBG gibt nach und nach mehr Flächen frei, erkenne „den Mehrwert einer ordentlichen Bemalung“, auch die Sparkasse „hat entschieden, dass die gesellschaftliche Relevanz von Graffiti so groß ist, dass das unterstützt werden muss“, berichtet Carlos Lorente. So konnte unlängst eine Offene Werkstatt für Kinder und junge Erwachsene realisiert werden. 8000 Euro für ein Jahr – Geld, von dem Farben, Untergründe, Ausrüstung gekauft werden. Denn neben dem akuten Mangel an interessanten Flächen, von denen die meisten Privatpersonen, Genossenschaften oder Firmen gehören, sieht es auch mit einer Finanzierung bislang mau aus. Bisherige Aktionen, so Lorente, hätten mit Kleinstsubventionen von 2000 Euro auskommen müssen. Die Gestaltung der Theodor-Heuss-Brücke, bei der immerhin 35 lokale und internationale Künstler mitwirkten, war nicht nur organisatorisch ein Kraftakt, sondern sei im Ergebnis „allein der Brückenkopf mindestens 10 000 Euro wert.“

Alles pro bono, Ehrenamt, auf Spendenbasis. Ist das richtig für etwas, an dem sich so viele Menschen kostenlos ergötzen können, das ein Stadtbild so sehr aufwertet? Um so größer ist die Freude über ein Pilotprojekt, bei dem 2019 in Langwasser zehn große Wände gestaltet werden sollen. „Das erste Mal, dass so etwas konzeptionell und mit Fördergeldern angegangen wird.“ Ideen zur weiteren Ausgestaltung der Stadt gibt es für Lorente viele: Lärmschutzwände und Trafo-Häuschen, „so ziemlich jedes Brückenbauwerk beispielsweise rund um den Wöhrder See“ oder entlang des Main-Donau-Kanals, „ein Betonmonster“, das man nach Art der Berliner Mauer zu einer Freilicht-Galerie gestalten könnte. „Das wäre doch eine tolle Werbung für Nürnberg“, meint Lorente – auch hinsichtlich der Casa Kulturhauptstadt. „Jedes gut gemachte Mural ist eine touristische Attraktion“. Man könne „Stadtgeschichte so leicht erlebbar machen“, moderne Stolpersteine, partizipativ in den Stadtteilen mit Gemeinschaftshäusern Themen erarbeiten. Zukunftsmusik?

Sowohl der Beirat Bildende Kunst als auch SÖR, der just in dieser Sekunde das grauslige Toilettenhäuschen im Stadtpark sowie den Karl-Bröger-Tunnel zur Gestaltung freizugeben ankündigt, zeigen sich „prinzipiell für alles offen.“ Was nur irgendwie ein bisschen fehle, seien die Künstler. Nicht überhaupt, denn es gibt genug hervorragende Talente in der Stadt. Doch die sind möglicherweise eingeschüchtert von der Arbeit vor der Arbeit. Hier aber kommt wiederum „Nurban Art“ ins Spiel. „Wir wollen keinesfalls alleinige Akteure sein“, betont Carlos Lorente, „sondern eine Plattform, die unterstützend und organisatorisch wirken kann und möchte, wenn Künstlerinnen und Künstler aller Stilrichtungen Hilfe bei der Umsetzung von Ideen benötigen.“ Also: Bitte melde dich!