Im verflixten siebten Jahr, sagt man, sei eine Beziehung besonders gefährdet, in die Brüche zu gehen. Im Fall der Liaison „Nürnberg.Pop“ und „südliche Altstadt“ dürfen wir seit Samstagnacht in der Noris-Chronik vermerken: kritische Hürde überstanden, alle Teilnehmer wohlauf, es darf dann bitte weitergehen. Nur das mit dem Wetter, das hat vielleicht noch Verbesserungsbedarf. Aber gut, auch die beste Organisation hat ihre Grenzen. Und die hatte bei „Nürnberg.Pop 2017“ noch einmal ordentlich mehr zu tun.
So ist das, wenn man größer wird: Kulturwoche,
Staatstheater, Conference – die Club- und Showcasenacht, die seit sieben Jahren
von David Lodhi, Thomas Wurm und Thomas Eckert nach reeperbahn’schem Vorbild in
Mittelfranken etabliert wird, befindet sich mittlerweile in einem
facettenreichen Umfeld und funktioniert nachgerade als highlightender
Abschluss, dessen Beliebtheit mitnichten abnimmt. Und das, obwohl die Witterung
für ein explizites „Flanierfestival“ mehr als ungünstig war. Niemand flaniert
gerne, wenn ihm dabei der Regen durchs Gesicht schneidet und der Orkan einen an
Häuserwände drückt. Vorteil: Die Gefahr, sich auf den Straßen und Plätzen zu
verquatschen bleibt überschaubar. Und so tun die rund 2000 Besucher eben das,
wofür „Nürnberg.Pop“ gemacht ist: die 52 KünstlerInnen in 24 Spielstätten
entdecken. Die Auswahl, die das kulturschaffende Triumvirat getroffen hat, ist
wie gewohnt ein reichhaltiger Cocktail verschiedenster Stile und
Bekanntheitsgrade, und so ruft „Romano“, der hiphoppende Indianer von Köpenick,
im knallvollen Festsaal des Künstlerhauses zu fortgeschrittener Stunde nicht
weniger Begeisterung hervor als das weitestgehend unbekannte „Schubsen“, das
sich Stunden zuvor im Zentralcafé mit Gitarrenmusik heftig über sein eigenes
Dasein zu wundern schien. Dass das Lineup zur Hälfte versehen ist mit Bands,
die zwar mit einem festen Fankreis anreisen, ansonsten aber eher zufällig oder
auf Verdacht frequentiert werden, ist so gewünscht wie begrüßenswert,
schließlich ist die junge regionale Musikszene das Fundament, auf dem
Nürnberg.Pop gebaut ist. Da kann es zwar passieren, dass die Nachwuchs-Rapper
„Lazy Lu & Lorenz“ zuschauen müssen, wie viele neugierige Nasen ins „Rosi
Schulz“ hineingestreckt, aus diesem aber auch geschwind wieder herausgezogen
werden. Aber auch, dass sehr viele Menschen sich im „Hinz x Kunz“ nicht nur in
die Knuddelklänge von Mea & Reas verlieben, sondern in Laura Schwengber
gleich mit: Erstmalig begleitet die ausgezeichnete Gebärdendolmetscherin
einzelne Konzerte, um Brücken zu bauen zwischen Hörenden und Tauben, und tut
das so sympathisch, so hingebungsvoll, dass man fast ein bisschen vergisst,
dass in Wahrheit gar nicht sie der Hauptact ist.
Sei’s einer endgültigen Optimierung des Programms
geschuldet, dem Wetter oder einer endlich erfolgten Einsicht des Publikums, mit
dem Ticket nicht automatisch Zugang zu bestimmten Konzerten erworben zu haben – Staus und Engpässe werden
quasi nicht beklagt, der Gast entscheidet sich artig rechtzeitig, wo er bleibt,
und läuft Gefahr, dabei Gutes zu entdecken. So wird man vom bluesigen Sound des
„Sion Hill“ unversehens in den Klamottenladen „Blutsgeschwister“ hineingesaugt,
der zwar bereits überquillt, das Problem aber kurzerhand mit einer
offenstehenden Tür löst, wird vom Wind direkt in die Klarakirche gepustet, wo
„Aldous Harding“ melancholisch-leise Töne für partymüde Genießer anschlagen,
purzelt am K4 vorbei, wo die Poetry-Slam-Stage noch einmal für ganz andere
Unterhaltung sorgt, bevor „Smith & Smart“ die Bassboxen der „Rosi“ einem
Livepraxistest unterziehen und DJ Robert Smith eindrücklich demonstriert, warum
er neuerdings den Titel „DMC German Champion 2017“ trägt und Maxwell Smart
Fensterbrett und Mundharmonika malträtiert. „Klangstof“ könnten harte Beats,
die sie aber zugunsten des Wegträumens und der Mädchenherzen lieber nur
antäuschen, das jedoch ziemlich gut, während untendrunter „White Wine“
möglicherweise Kunst, in jedem Fall aber „den krassesten Scheiß, den ich je
gesehen habe“ machen, wie ein offenkundig vom Fagott euphorisierter Besucher
wohlmeinend formuliert. Es ist ein Ding der Unmöglichkeit, alles zu sehen und
zu hören, was man möchte – wer strebsam im Vorfeld das Line-Up durchforstet und
begonnen hat, Kreuzchen auf dem Programm als Fahrplan zu machen, findet sich
kurz darauf mit einem durchmarkierten Zettel wieder, mit dem man am besten
genau eins tut: zusammengeknüllt wegwerfen. Und sich auf das Abenteuer zwischen
Puls- und Pop! RotWeiß-Stage einlassen. In dieser Nacht wird man immer
irgendwas verpasst haben und irgendwo nicht gewesen sein. Man wird unzufrieden
sein, weil man irgendwo nicht hineinkam oder zwischendrin zu viel unterwegs
war, man hätte eine Pause vielleicht lieber anders verbracht oder sich lieber
auf die eine Bühne konzentriert statt alle abzudecken. Man kann aber auch an
Orten gewesen sein, die man sonst nie betreten würde, Menschen getroffen haben,
die man viel zu selten sieht, Musik erlebt, auf die man sich sonst nie
eingelassen hätte und eine kunterbunte, irgendwie schillernde Nacht verbracht,
in der alles in allem mal wieder alles gepasst hat.
http://www.nordbayern.de/region/nuernberg/nurnberg-pop-so-wild-war-das-club-festival-1.6810531)