Katharina Wasmeier

Freie Journalistin, Autorin, Lektorin, Nürnberg

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Rezension

Live: Sido

„Arschficksong und Arschgelaber“. Darf man so eine Konzertkritik einleiten? Ja, darf man, wenn es die Umstände erfordern. Der „Arschficksong“ war vor über zehn Jahren der ultimative Ausdruck hiphoppigen Punkertums eines Mannes, der sich nie ohne Gruselmaske zeigte, ein böser Bube, der, entsprungen aus dem Berliner Label „AggroBerlin“, sich wild als fleischgewordene Sprechblase der Unterschicht gebärdete und mit „Mein Block“ das Hohelied des Plattenbaus kreierte. Gangsterrapper und so, yo. Dass das längst vorbei ist und Sido, aka Paul Hartmut Würdig den Flegeljahren ent- und in die Mainstreamradioabteilung hineingewachsen – hat man mitbekommen. Dass so ein Konzert (unfassbar voll: Löwensaal) dann aber über zwei Stunden zwischen Weichspüler und StandUp-Comedy herumpurzelt, das kommt dann doch eher, nun ja, überraschend. Immerhin: Mit einer einigermaßen sympathischen Mischung aus Koketterie, Erkenntnis und Selbsthumor sieht der Berliner nicht nur den Tatsachen, sondern auch seinen minderjährigen Fans ins Auge, die ihre Eltern im Hintergrund geparkt haben, um vorne mit Inbrunst und irgendwie anrührend „Ich will so gern erwachsen werden und nicht schon mit 18 sterben“ mitsingen. Und Sido sagt zu den Bandkollegen: „Ist euch auch aufgefallen, dass das Publikum ganz schön jung geworden ist? Also ich meine, so richtig kinderjung.“ Deswegen, wird angekündigt, spiele man „erst die Kindermusik und dann machen wir so richtig Erwachsenenparty“. Da greift der Erziehungsberechtigte aber ganz umsonst besorgt an des Schützlings Ohren, und außerdem, verspricht Sido, sagt er allen Mamas Bescheid, bevor der „Arschficksong“ kommt. Wie auch auf dem aktuellen Album „30-11-80“ hat sich der Künstler einen Haufen Kumpels ins Boot geholt, die die Show durchaus interessant gestalten. Es gibt Filmchen mit Kurt Krömer und Moritz Bleibtreu, ein „live“ zugeschalteter Helge Schneider singt gemeinsam mit allen sich hoffentlich in greifbarer Nähe eines Schulabschluss befindlichen Gästen das Anti-Berufstätigkeits-Lied „Arbeit“ und „Fuffies im Club“ gibt’s auch. Doch trotz großer Rapper-Attitüde, Kiffen auf der Bühne und ungefähr nach jedem Song ein Jägermeister kommt so richtig Stimmung irgendwie nicht auf, fehlt der Wums, der Beat, und wenn er doch mal da ist wie nach der Everybody’s-Darling-Nummer „Bilder im Kopf“ (schöne Idee: auf der Leinwand im Hintergrund Fotos zu zeigen, die die Gäste vor Ort einschicken konnten), dann wird zwischendurch vom zunehmend berauschten Ensemble so viel gelabert, dass die Hände schnell wieder runtergenommen und die Knie in Parkposition gefahren sind. „Ihr wollt mehr HipHop?“ fragt der Chef, „JA!“ schreit das Publikum, und dann kommen mit die besten Takte des Abends in Form diverser Klassiker. „Still DRE“ und „Sound of the Police“, das hätte man auch einfach beibehalten können, das mit dem Sampeln. Sido interagiert und plaudert mit dem Publikum, disst die oben und feiert die unten, wird zum Ende hin lauter, besser, härter und die Gäste besoffener, so dass es kommt, wie es kommen muss: Nach zwei Stunden Gutmenschenpalaver, geläutert sein, Balladen und Moralgedichten haut der „Arschficksong“ wie erwartet diverse Sicherungen durch, und Herr Würdig muss fragen, ob es sein kann, „dass ihr alle perverse Schweine seid?“. Na, keine Angst. Die wollen nur spielen, Sido. So wie du.