2 Abos und 0 Abonnenten
Artikel

Fehlende Erzieher: Der Berliner Kita-Streit ist eine Farce

Der Berliner Kita-Streit spitzt sich zu: Es scheint den Erziehern, Kindern und Kitas an allem zu fehlen. Zu leiden haben alle Beteiligten. Ein Kommentar.

In Berlin tobt ein Streit: Die Gewerkschaften prangern seit Wochen die Zustände in den Kindertagesstätten an. Es fehle an Fachkräften, an Geld, an Plätzen. Sie fordern von der Senatsverwaltung für Bildung bessere Arbeitsbedingungen und gehen dafür seit dem 19. Oktober 2023 wöchentlich auf die Straße. Was bleibt ihnen sonst auch übrig?

Nach Angaben der Bildungsverwaltung gab es in Berlin stand 31. Juli 2023 insgesamt 189.637 Plätze in Kitas und in der Kindestagespflege. Davon waren zu dem Zeitpunkt 8592 Plätze frei. Doch einen Kitaplatz zu bekommen, ist nicht einfach, wie eine Studie der Bertelsmann-Stiftung bestätigt. Demnach fehlen in Berlin rund 20.000 Kitaplätze, weil in der Stadt (trotz eines höheren Bedarfs) nur knapp die Hälfte der unter Dreijährigen betreut würden. Eltern strecken deshalb ihre Fühler in den sozialen Medien nach frei gewordenen Plätzen aus. Und die Kitas schrecken nicht mehr davor zurück, sich gegenseitig die Erzieher auszuspannen.

Viele Krankmeldungen: Psychische Belastung durch Personalmangel

Doch dass die Erzieher stark umkämpft sind, zeigt sich in Berlin nicht in einem höheren Gehalt oder besseren Arbeitsbedingungen, sondern in psychischer Belastung und vielen Krankmeldungen. Das Gesundheitsrisiko steigt durch den Personalmangel, wie die Versicherung DAK in einer Studie im April herausfand. Nicht überraschend: Pflegekräfte und Kinderbetreuer sind besonders betroffen. Und trotzdem ändert sich nichts. 

Der Personalschlüssel, die behördliche Vorgabe, für wie viele Kinder ein Erzieher im Schnitt zuständig ist, liegt in Berlin höher als die Empfehlung. Laut den Studienergebnissen der Bertelsmann-Stiftung ist die Betreuung für mehr als drei Viertel der Kinder nicht kindgerecht. Neue Kitaplätze sind deshalb weniger relevant als die Zahl der Erzieher. Denn Kitaplätze können in der Statistik zwar hübsch aussehen, bringen aber nichts, wenn die Betreuung fehlt oder ausgedünnt wird. Der Personalschlüssel muss deshalb nach unten korrigiert werden. So könnten die Erzieher entlastet und der Beruf schlussendlich attraktiver werden.


Gefährdungsanzeige: Bildungsauftrag in Kita nicht mehr erfüllbar

Aktuell müssen Eltern mit ansehen, wie durch die ständig wechselnden und ausfallenden Erzieher das Potenzial ihrer Kinder verschwendet wird. Das Angebot an die Kinder wird von den vorhandenen Erziehern abhängig gemacht, wie die Gewerkschaften in einer kollektiven Gefährdungsanzeige bestätigten. Die Kitas könnten ihre Bildungsaufgaben nicht mehr erfüllen, hieß es. Ist das die von der Sozialsenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) viel gepriesene „frühkindliche Bildung als Asset für die Bildungsgerechtigkeit“? Ich glaube nicht.

Stattdessen bleiben die überarbeiteten Erzieher krank zu Hause oder streiken, weshalb die Kleinen von den Eltern betreut werden müssen. Das scheint für Eltern die neue Normalität zu sein. Planungssicherheit für den Job geschweige denn die Freizeit – adé. Dabei werden die Kindergruppen immer größer, die Idee von einer individuellen Betreuung wird lachhaft. Wenn Elternteile über die Situation in den Kitas sprechen, dann wirken sie resigniert. Das Kind ist wund, weil es seit Stunden in einer vollen Windel gesessen hat: nichts Neues. Was das Kind den ganzen Tag getan hat, kann keiner sagen. Vermutlich nicht viel. Währenddessen sind die Erzieher auf der Straße und hoffen, dass sie endlich gehört werden.


Zum Original