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Seltene Erkrankung: Tücken des Immundefekts

Krankheitsanfällig: Anne Mouhlen leidet an einem Immundefekt.

An einem der ersten sonnigen und warmen Frühlingstage in Harxheim spielt Anne Mouhlen mit ihren Kindern Tennis. In einer Spielpause albert die Familie herum. Zum Spaß wird Mouhlen von einem ihrer Kinder mit Wasser bespritzt. Für andere ein harmloser Spaß – Anne Mouhlen wird krank davon. „Lungenentzündung“, berichtet sie, noch etwas kurzatmig am Telefon.

Bei ihr wurde im Jahr 2014 ein angeborener Immundefekt diagnostiziert. Wie die meisten Betroffenen leidet sie an einem Antikörpermangel. Ihr Körper kann sich gegen bestimmte Erreger nicht wehren, es kommt zu häufigen und schweren Infektionen. Mouhlen ist eine von fünf- bis sechstausend Menschen in Deutschland, bei denen ein angeborener Immundefekt diagnostiziert wurde, die Dunkelziffer soll weit höher liegen.

Auf fremde Antikörper angewiesen

Betroffene mit einem angeborenen Immundefekt sind ein Leben lang auf fremde Antikörper, sogenannte Immunglobulinpräparate, angewiesen. Diese können nur aus dem gespendeten Blutplasma gesunder Menschen hergestellt und nicht künstlich erzeugt werden.

„In den letzten Jahren gibt es zunehmend eine Knappheit an Immunglobulinprodukten“, sagt Carsten Speckmann, Wissenschaftler am Centrum für Chronische Immundefizienz (CCI) des Universitätsklinikums Freiburg. Während der Corona-Pandemie sei weniger gespendet worden, die entzündungshemmenden Immunglobuline seien öfter zur Bekämpfung anderer Erkrankungen eingesetzt worden, und gleichzeitig steige die Zahl diagnostizierter Immundefekte. Die Blutspenden würden zudem häufiger zur Herstellung neuer Medikamente eingesetzt und stünden seltener zur Antikörpergewinnung zur Verfügung.

„Die ersten Symptome sind oft unspezifisch und irreführend“

Auffällig sind Immundefekte schon früh: Bereits im Kindesalter hatte Mouhlen häufiger Lungenentzündungen und Herpesinfekte. Als Erwachsene war sie mehr als 30 Tage im Jahr krank. Nach einem langen Leidensweg habe endlich eine Ärztin in der Uniklinik Mainz „den richtigen Riecher“ gehabt, sagt sie. Durch eine Blutuntersuchung der Subklassen kam es letztlich zur Diagnose. Mit ihrem Immundefekt der Subklasse 3 ist Mouhlen besonders anfällig für Atemwegsinfekte, wie Lungenentzündungen.

Laut der Patientenorganisation für Menschen mit angeborenen Immundefekten, der Mouhlen seit 2015 angehört, ist es oftmals das soziale Umfeld, dem die häufigen Infektionen oder die schweren, langen Verläufe auffielen, bei Kindern und Jugendlichen mit Krankheitssymptomen wie Husten, Fieber oder Erbrechen. Die vielen Fehltage stießen bei Mitschülern, Vorgesetzten und Kollegen oft auf Unverständnis. Um eine Infektion zu vermeiden, zögen sich Patienten aus ihrem sozialen Umfeld zurück – was wiederum zu Ausgrenzung, Isolation und Mobbing führen könne.

Mehr Lebensqualität dank Diagnose und Behandlung

Welche Therapie möglich ist, hängt von der Erkrankung ab, denn es gibt über 400 verschiedene angeborene Immundefekte. Sie können mit Antikörpern behandelt werden, die über die Vene oder unter die Haut gespritzt werden, behandelt werden. Die Dosis der Präparate ist für jeden Patienten anders. Anne Mouhlen kann sich die Immunglobuline zweimal die Woche zu Hause selbst spritzen und muss nicht wie einige andere Betroffene dazu in ein Krankenhaus fahren.

„Ich bin immer noch dankbar, dass der Immundefekt diagnostiziert wurde“, sagt sie. Seitdem sie die Diagnose bekommen habe und behandelt werde, sei die Zahl der Krankheitstage von mehr als 30 auf etwa zehn zurückgegangen, das gebe ihr auch Lebensqualität zurück. Es gebe Erkrankungen, die sie vor der Behandlung viel schwerer getroffen hätten. Früher sei beispielsweise ihr gesamtes Gesicht von einer Herpes-Infektion betroffen gewesen, heute bilde sich nur ein kleines Bläschen.

Doch Mouhlen sieht noch viel Bedarf an Aufklärung: Es fehle an Anlaufstellen für Betroffene, Weiterbildungen für Ärzte und einfachen Zugängen zu Laboruntersuchungen, um einen Immundefekt nachweisen zu können. Die Politik schaffe zudem nicht genügend Anreize für Blutspender, sagt sie. Die sind jedoch nötig, um die Präparate für Betroffene eines Antikörpermangels herzustellen. Als Regionalleiterin der Patientenorganisation in Frankfurt kann sie im Internet verfolgen, welche Medikamente erhältlich sind und ob es Engpässe gibt. Mouhlen sieht, wie die Ampel für verschiedene Immunglobulinpräparate von Grün über Gelb auf Rot springt. Allein die Sorge, dass Medikamente knapp werden könnten, sei eine Belastung für Betroffene.

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