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Lobbyistenkampagne gegen Baerbock

"Nein, mit soviel Aufregung haben wir nicht gerechnet! Wir sind von einer gewissen Aufmerksamkeit ausgegangen, aber nicht von dieser Dimension", sagt Florian von Hennet von der "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" (INSM) zu den Anzeigen gegen die Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock (Grüne) gegenüber "nd.DerTag".

In den sozialen Medien ist derweil seit Stunden Entsetzen und Entrüstung über die Darstellung Baerbocks durch den Lobbyverband zu lesen, der durch die Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektro-Industrie finanziert wird. Annalena Baerbock wird als Moses mit den 10 Geboten dargestellt, allerdings trägt sie 10 Verbote auf den schweren Steinen. Marcel Rohrlack ist 24 und seit acht Jahren Mitglied bei den Grünen. Auf Twitter merkt er zur Darstellung Baerbocks kritisch an: "Wie steht's eigentlich um das Abendland, wenn Angst vor Moses geschürt wird? Und wie steht's um die christlich-jüdische Kultur, wenn bei der @insm niemand weiß, dass Moses das Volk Israel durchaus ins gelobte Land geführt hat?"

Tatsächlich hat Moses laut biblischer Erzählung das Volk Israels aus der Sklaverei in Ägypten befreit und führte sie ins gelobte Land. Moses tat also etwas gutes. Schaut man sich die 10 Verbote genauer an, stellt man zudem schnell fest, dass vieles nur Behauptungen der INSM sind, welche die Grünen nicht vertreten. So heißt es gleich an zweiter Stelle: "Du darfst nicht fliegen". Tatsächlich fordern die Grünen aber kein generelles Verbot von Flügen. Die Zweite Bürgermeisterin Münchens, Katrin Habenschaden (Grüne), kritisierte daher auflagenstarke Medien wie die "Süddeutsche Zeitung", welche die Anzeige sowohl in ihrer Zeitung als auch online annahmen und schalteten.

Bezüglich der "Süddeutschen Zeitung" und "Zeit Online" wird zudem kritisiert, dass sich die Anzeige großläufig um die redaktionellen Inhalte schmiegt. Diese drehten sich wegen des Parteitages heute auch viel um Baerbock und die Grünen. Der Vorwurf: Man erkenne gar nicht mehr, was redaktioneller Inhalt sei und was Anzeige. INSM-Pressesprecher von Hennet bestätigt derweil gegenüber "nd.DerTag", dass der Kampagnenbeginn bewusst zum Parteitag der Grünen gestartet wurde. Bezüglich der CO2-Preispläne der Umweltpartei sagt er: "Regelt doch nicht den Preis, sondern die Menge. Das Werkzeug dafür gibt es bereits: Den Emissionshandel, der bestimmte Höchstmengen für Unternehmen definiert." Problem am Emissionshandel ist allerdings, dass sich wirtschaftlich starke Unternehmen einfach von ihren Umweltsünden freikaufen können.

Die Fraktionschefin der Grünen im Bundestag, Katrin Göring-Eckhardt, hatte sich indes noch vor dem Parteitag gegen Änderungsanträge der Mitglieder ausgesprochen, die einen höheren CO2-Preis fordern. Aktuell fordern die Grünen einen Preis von 60 Euro die Tonne ab 2023. Nach den Plänen der amtierenden Bundesregierung würde er bis 2025 auf 50 Euro je Tonne steigen.

Während die Grünen auf ihrem Parteitag über CO2-Preise diskutieren, fragen sich ihre Sympathisant*innen auf Twitter, wie viel die umfangreiche Anzeigenschaltung den INSM gekostet haben könnte. Auf die Frage, ob die Summe von einer Million Euro hinhauen könnte, erklärt ihr Sprecher, dass der Verband grundsätzlich nie Aussagen über die Kosten von Kampagnen mache. Allerdings sei die Kampagne nicht teurer gewesen als frühere, zum Beispiel gegen den SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz. Wenn man die Anzeigenpreise der verschiedenen Medien summiert, in welchen die Anzeige sowohl online als auch in der Zeitungsausgabe geschaltet wurde, ist man schnell bei einer halben Million.

In Erinnerung an die Kampagne gegen Schulz führt von Hennet aus: "Wann immer die Grundsätze der sozialen Marktwirtschaft nicht ausreichend von Kanzlerkandidaten und Kandidatinnen gewahrt werden, reagieren wir darauf." Im Falle der Grünen sorgt sich die INSM besonders um die Abschaffung von Hartz IV. Von Hennet sagt: "Hartz IV hat das Prinzip des Förderns und Fordern und hat seit der Einführung wunderbar funktioniert. Seit 2005 sind dadurch viele Arbeitsplätze entstanden." Auch gegen eine Anhebung des Mindestlohns wehrt sich sein Verband.

Für das Grünen-Mitglied Marcel Rohrlack ist allerdings klar: "Die INSM steht offensichtlich für den Teil der Wirtschaft, der Angst vor Veränderung hat." Gegenüber "nd.DerTag" führt er aus: "Die zukunftsorientierten Unternehmen gestalten sie und freuen sich auf Rückenwind aus der Politik. Dass Annalena für diesen Wandel steht und eine echte Chance hat, belegt die Panik der INSM geradezu."

Bei der Pressestelle der Grünen selbst hatte übrigens niemand Zeit, sich heute zu Anfragen zu der Anzeige zu äußern. Schließlich ist Parteitag, die Grünen haben besseres zu tun. Die Umweltpartei muss ihr Programm, dass neoliberalen Kräften wie dem INSM aber offenbar schon jetzt Angst einjagt, aber erst noch verabschieden.

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