Hat sich die Berichterstattung in den USA geändert, seit der US-Präsident die Medien attackiert?
Die Medien haben den Attacken in einer Art und Weise standgehalten, wie es noch nie der Fall war. Das hat dazu geführt, dass sich immer mehr Menschen getraut haben, ihre Kritik an der Macht des Präsidenten offen und laut zu äußern. Die Medien sind Donald Trump gegenüber sehr viel kritischer, als wir es bei anderen Präsidenten erlebt haben.
Welche Präsidenten meinen Sie?
Denken wir beispielsweise an George W. Bush zurück: Für wie viele Toten
ist er verantwortlich. Ich meine, er hat die USA in den Irakkrieg
geführt. Der Irak hatte nichts mit 9/11 zu tun, doch das war seine
Antwort, zunächst der Krieg gegen Afghanistan und dann der gegen den
Irak. Wir reden hierbei über die Destabilisierung des nahen Ostens, für
ich weiß nicht wie viele Jahre. Bush ist verantwortlich für den Tod von
Tausenden Menschen aus dem nahen Osten und aus den USA, für den Tod der
Soldaten, die in den Kampf geschickt wurden. Das war George W. Bush und
an ihm gab es sehr viel weniger Kritik als an Donald Trump.
Wie erklären Sie sich das?
Gerade weil Trump die Medien attackiert, neben dem, was er sonst alles
tut, sind die Medien rabiater. Sie öffnen sich und wir hören mehr
Stimmen. Aber noch immer nicht genug. Das ist es, warum unabhängige
Medien so wichtig sind, und wir geben den Menschen Mikrofone, um für
sich selbst zu sprechen. Wir beschreiben nicht nur, charakterisieren
oder zeigen ein Bild auf der Titelseite. Unabhängige Medien geben
Menschen die Möglichkeit, für sich selbst zu sprechen. Das ist ein
großer Unterschied zu den unternehmerischen Massenmedien, die noch immer
als Torwächter agieren. Doch Trump hat sogar die durcheinander
gebracht.
Wie haben sich die linken Bewegungen in den letzten Jahren in den USA verändert?
Ich sehe immer mehr Menschen, die sich in verschiedenen Fragen
zusammenschließen. Es gibt jetzt Verbindungen zwischen der
Antikriegsbewegung, der Klimabewegung, der LGTBI-Bewegung, der
Anti-Rassismus-Bewegung oder auch der Migrationsbewegung. Ich denke das
kommt daher, weil Trump sie alle attackiert. Menschen finden ihre
Stimme, insbesondere junge Menschen, denn sie verstehen, dass viel von
ihnen abhängig ist.
Nun, es gibt ein Anwachsen von weißen Nationalisten, Anti-Migration und Xenophobie-Bewegungen in Europa und in den Vereinigten Staaten. Meiner Meinung nach hat es Donald Trump überhaupt erst möglich gemacht, diesem Hass freien Lauf zu lassen. Mit Sicherheit repräsentieren diese Bewegungen nicht die Mehrheit der Bevölkerungen, aber Menschen, die diese Einstellung haben, fühlen sich ermutigt, sie zu äußern. Wir müssen uns erinnern, dass Donald Trump nicht mal die Mehrheit der Bevölkerung der USA hinter sich hat. Er hat mit drei Millionen Stimmen verloren, wenn wir an alle abgegebenen Stimmen denken. Er hat nur gewonnen, weil wir dieses System mit den Wahlmännern haben. Doch ich denke, die Entwicklung, die wir derzeit beobachten, funktioniert in beide Richtungen.
Wie meinen Sie das?
Menschen fühlen sich ermutigt, zum Beispiel diese weißen Nationalisten,
die in Charlottesville mit Fackeln aufmarschiert sind. Und ich bin mir
sicher, die haben keine weißen Laken getragen, weil sie nicht
fürchteten, sie müssten ihre Gesichter verstecken. Das ist
besorgniserregender als Menschen, die komplett unter weißen Laken
verdeckt aufmarschieren. Es bringt Menschen in Gefahr. Doch die Woche
darauf protestierten 40 000 Menschen in Boston gegen Rassismus. Danach
sahen sich die weißen Nationalisten gezwungen, Demonstrationen im ganzen
Land abzusagen. Ganz sicher repräsentieren sie nicht die Mehrheit der
Bevölkerung der Vereinigten Staaten.
Mehrere Psychologen attestieren Trump in dem Buch »The dangerous
case of Donald Trump«, dass er psychisch krank und eine Gefahr für die
USA sei. Wie finden Sie das?
Ich denke dieses Buch ist im Kontext der Bewegung »The duty to warn« (zu
Deutsch: Die Pflicht, zu warnen) zu sehen. Wenngleich keiner der
Psychologen persönlich mit Trump gesprochen hat, analysieren sie sein
Verhalten in der Öffentlichkeit. Dieses sehen sie als tief problematisch
und gefährlich für das Land und die ganze Welt an.
Halten Sie solche Ansätze für hilfreich?
Nun, es gibt in unserer Verfassung ein Gesetz, das besagt, dass ein
Präsident abgesetzt werden kann, sofern er psychisch krank ist. Doch ich
denke, was die Gesellschaft am meisten stärkt, ist, wenn demokratische
Bewegungen zusammenkommen und an ihrer Vorstellung von einer gesunden
Demokratie arbeiten und sich für diese einsetzen. Und ich beobachte,
dass das derzeit passiert. Sehr viele Bewegungen tun sich zusammen.
Dennoch ist es natürlich auch wichtig, seine Hassreden nicht zu
unterschätzen und sein Verhalten zu analysieren.
Wie hat sich der Umgang der Menschen untereinander geändert, seit Trump regiert?
Trump ist der oberste Repräsentant unseres Landes, und wenn er eine Frau
nach der anderen attackiert, bestärkt das andere Männer, es ihm gleich
zu tun. In den USA haben wir ein riesiges Problem mit Waffengewalt. In
den letzten Wochen hatten wir ein Massaker nach dem anderen. Meistens
waren es weiße Männer, die Menschen töteten, verletzten oder in Angst
versetzten. Und es gibt viele Männer, die Gewalt gegen ihre
Partnerinnen, Ehefrauen oder Mütter ausüben. Diese Abwertung von Frauen
ist bedeutsam im Kontext von Trumps Präsidentschaft.
Wie finden Sie die Art und Weise, in der Trump spricht und mit der Bevölkerung kommuniziert?
Trump kam mit einem harten Stil an die Macht, mit Äußerungen gegen
Moslems und Ausländer. Seine Tweets sind extrem wichtig, wenngleich
manche sie als störend ansehen. Mit seinen Tweets gibt er sich selbst
die Blöße und entkräftet viele seiner politischen Vorhaben, Gesetze zu
ändern. Denn wir haben ein funktionierendes politisches System. Die
Richter, die Gesetzesänderungen zustimmen müssen, lesen solche Tweets
und sehen, dass sie rassistisch sind. Wenngleich sich seine Richter
weiter für seine Gesetzesvorhaben einsetzen mögen, gibt es andere, die
sich klar gegen sie aussprechen. Denn wir sind nicht Anti-Moslem, und
ein Richter nach dem anderen sagt: Wir schauen uns diese Tweets an.
Daher haben seine Tweets wirklich eine große Bedeutung. Trump unterzieht
unser politisches System und die Gewaltenteilung einer schweren
Prüfung. Die legislative, die exekutive und die judikative Gewalt. Und
die judikative Gewalt zeigt nun Widerstand.
Wie reagiert Trump auf die Widersacher aus den Reihen der Richter?
Er versucht, die Richter auszutauschen. Und es ist schlicht ein Wettlauf mit der Zeit.
Was ist Ihr Eindruck nach den diesjährigen Klimaverhandlungen in
Bonn? Könnte es sein, dass die USA wieder Mitglied eines Abkommens
werden?
Das kommt darauf an, von welchen USA Sie sprechen. Es gibt diese riesige
Koalition mit dem Namen »We’re still in« (zu Deutsch: Wir sind noch
dabei). Das ist eine Koalition auf der Ebene von einzelnen Staaten,
Senatoren, auch Städten und Bürgermeistern und Mitgliedern des
Kongresses. Mitglieder dieser Koalition sind nach Bonn gekommen, um klar
zu machen, dass sie beim Klimaschutz nach wie vor dabei sind. Auf der
anderen Seite gibt es die Vereinigten Staaten von Trump, welche Donald
Trump regiert und welche er aus dem Pariser Klimaabkommen geführt hat.
Doch es ist interessant, dass auch Trump nicht alles durchgeht.
Wie meinen Sie das?
Interessanterweise ist es Trumps Hauptziel, den Namen und die
Präsidentschaft von Obama vergessen zu machen, seine Politik komplett
auszulöschen. Er macht ein Gesetz nach dem anderen rückgängig, das Obama
verabschiedet hat. Eines davon war das Verbot der Einführung von
Jagdtrophäen aus dem Ausland, das besonders darauf abzielte, den Import
von Elfenbein in die USA zu erschweren. Trump hatte über Twitter
bekanntgegeben, dass er dieses Gesetz aufheben lassen würde. Doch nach
ein paar Tagen massivem Protest von Tierschützern nahm er dieses
Vorhaben zurück.
Was zeigt dieser Fall?
Bisher haben wir noch nicht erlebt, dass Trump etwas von sich selbst
wieder zurückgenommen hat. Wir von »Democracy Now« haben Bilder von
seinen Söhnen mit Jagdtrophäen, beispielsweise mit toten Elefanten in
Simbabwe, veröffentlicht. Denn seine Söhne sind Trophäensammler. Und
dennoch hat Trump sich letztendlich entschieden, das Verbot nicht
aufzuheben. Ich sage das, weil es zeigt, dass er sich selbst beschränkt.
Es zeigt, dass mit Trump alles möglich ist.
Wird Trump bis zum Ende seiner Legislaturperiode regieren?
Das weiß ich nicht. Ich kann es nicht vorhersehen. Aber ich kann sagen,
dass Bewegungen stärker werden und der Unmut in der Bevölkerung steigt,
besonders bei jungen Menschen.