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Was kostet die Scheidung?

Von Katharina Schwirkus und Nelli Tügel


"Teuer für Deutschland - Brexit könnte Milliarden kosten" (zdf.de), "Milliarden mehr für EU-Haushalt - Brexit-Hammer für Deutschland" (BILD), Britischer Euro-Ausstieg kostet uns Milliarden (SWR Aktuell), "Warum der Brexit für Deutschland richtig teuer wird" (Berliner Morgenpost). So lauteten einige der Schlagzeilen am letzten Freitag, die sich auf einen Bericht der Funke Mediengruppe beriefen. Dieser wiederum zitierte eine Studie des Europäischen Parlaments, ohne allerdings deren Namen oder Veröffentlichungsdatum zu nennen.

Der Vorgang ist insofern bemerkenswert, als dass es sich bei dem Papier mit dem Titel "Possible impact of Brexit on the EU budget and, in particular, CAP funding" um eine bereits im Oktober vom Ausschuss für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung (AGRI) des EU-Parlaments veröffentlichte Studie handelt, der wohl außerhalb Brüssels und Straßburgs kaum Aufmerksamkeit geschenkt worden wäre, hätte nicht die Funke Mediengruppe nun davon berichtet.

Die Studie, die dem "nd" vorliegt, konzentriert sich auf die Beiträge Großbritanniens im Landwirtschaftssektor der EU und die möglichen Folgen des Brexit auf die Gemeinsame Agrarpolitik (CAP). Die getroffenen Vorhersagen sind sehr viel zurückhaltender formuliert, als in vielen Medienberichten suggeriert wurde. Denn in der Studie werden verschiedene mögliche "Szenarien" durchgespielt. Den "Brexit-Gap", also die Lücke im EU-Haushalt, die durch den Austritt Großbritanniens entsteht, beziffern die Autoren auf 10,2 Milliarden Euro jährlich. Auf Deutschland, die Niederlande und Schweden könnten zukünftig überproportional höhere Kosten zukommen, auch, weil diese von einem Rabatt-System profitieren, das mit dem Brexit abgeschafft wird.

Hintergrund ist folgender: 1984 hatte die damalige britische Premierministerin Margaret Thatcher im Europäischen Rat einen "Briten-Rabatt" durchgesetzt mit der Begründung, dass das Vereinigte Königreich unterdurchschnittlich von den EU-Agrarsubventionen profitiere und daher auch weniger zahlen solle. Alle anderen Länder der EU blechen für diesen Rabatt. Deutschland, die Niederlande, Österreich und Schweden allerdings nur 25 Prozent dessen, was sie eigentlich müssten, denn sie haben einst einen "Rabatt vom Rabatt" erwirkt. Diese Vergünstigungen fallen nach dem Brexit weg, wodurch sich die Lastenverteilung zwischen den EU-27, so die Studie, verändern würde. Die fehlenden Einnahmen könnten entweder durch eine Reduzierung der Ausgaben oder durch die Anhebung der Zahlungen der verbleibenden Mitgliedsstaaten ausgeglichen werden.

Die Autoren der Studie warnen davor, dem Eintritt in die zweite Phase der Brexit-Verhandlungen zuzustimmen, bevor man sich in der Frage der künftigen Einzahlungen einig ist. Die Position der EU ist hier: Da Großbritannien den bis 2020 geltenden Finanzrahmen mitbeschlossen hat, soll es auch über den Austritt im März 2019 hinaus diese Verpflichtungen erfüllen, ebenso wie es offene Rechnungen aus der Vergangenheit zahlen soll. Zum Beispiel für von Großbritannien mitbewilligte Strukturprojekte, deren Rechnungen erst in den nächsten Jahren eintrudeln werden.

Brüssel beziffert die Verpflichtungen insgesamt auf 60 Milliarden Euro. Die britische Regierung lehnt Zahlungen in dieser Höhe bislang ab. Einen Rechtsanspruch darauf, dass Großbritannien auch über 2019 hinaus seine Rechnungen zahlt, gibt es nicht. Bisher ist kein Kompromiss erzielt worden. Die Brexit-Verhandlungen werden zudem nach dem Prinzip "Nichts ist vereinbart, solange nicht alles vereinbart ist" geführt, einzelne verhandelte Themen werden also nur im Gesamtpaket verbindlich. Offen ist auch, welche Abkommen für die Post-Brexit-Zeit getroffen werden - dies hängt unter anderem davon ab, ob die Tories an der Macht bleiben oder ein Regierungswechsel auf der Insel stattfinden wird. Sollte eine andere Regierung einem "Norwegischen Modell" zustimmen, könnte Großbritannien auch zukünftig an die EU zahlen, um im Gegenzug Zugang zu den Märkten zu erhalten. Wie groß der Brexit-Gap letztlich wirklich sein wird, ist also noch nicht ausgemacht.

Dass aber die Scheidung nicht spurlos am EU-Haushalt vorbeigeht, ist klar. Die Autoren der besagten Studie empfehlen, die Gelegenheit zu nutzen und nach 2020 den Haushalt neu aufzustellen. Das ist eine Richtung, die der EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger bereits im Sommer eingeschlagen hatte; er will, dass die Mitgliedsstaaten zukünftig grundsätzlich mehr in die gemeinsame Kasse einzahlen. Oettinger bezifferte - wie auch besagte Studie - die Brexit-Lücke auf "mindestens zehn Milliarden Euro jährlich". Dass dann entweder irgendwo gespart werden muss oder aber höhere Kosten auf die Nettozahler der EU zukommen, ist wenig überraschend. Vergessen werden sollte dabei nicht, dass die deutsche Wirtschaft von der Union - auch ohne Großbritannien - massiv profitiert.


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