Katharina Schuster

Freie Journalistin und Nachrichtenredakteurin

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Weihnachten als Taktgeber für Corona-Maßnahmen?

Gedankenexperiment: Weihnachten mit großen Familienfeiern im Zeichen der Nächstenliebe verschieben? Quelle: dpa

In diesem Jahr droht uns nicht der Grinch, sondern Corona das Weihnachtsfest zu stehlen. Die Politik versucht alles, um die Heilige Nacht nicht zu still werden zu lassen.


Die Bundesländer wollen eine Lockerung der Corona-Kontaktbeschränkungen zum Jahreswechsel. Auf Twitter wird kritisiert, dass das Weihnachtsfest als Taktgeber für eine Pandemiebekämpfung unpassend sei. Gehe es bei den aktuellen Maßnahmen nicht vor allem darum, zu volle Intensivstationen zu vermeiden?


Der Soziologe und Weihnachtsfest-Forscher Sacha Szabo findet es auffällig, dass Weihnachten als Zeitmarke für Corona-Maßnahmen definiert wird.


Das könne man dahin deuten, dass die Bürger*innen ein wenig wie Kinder betrachtet würden, die erzogen werden müssten, sagt Szabo im Gespräch mit ZDFheute. Und dennoch: Die Botschaft werde gut verstanden, weil das Belohnungsmuster vertraut sei. Sie erfülle so ihren Zweck.


Weihnachten als zentraler Erwartungshorizont

Mit den aktuellen Verordnungen werde ein bestimmtes Familien- und Lebensbild transportiert, stellt Bestsellerautor Max Czollek fest. Und "warum Weihnachten und nicht Channuka, Konsum und nicht Menschenleben im Zentrum der Rhetorik stehen." Wenn Weihnachten als zentraler Erwartungshorizont für Maßnahmen angegeben werde, dann sei das christliche Dominanz."


Dominanzkultur drücke sich dadurch aus, dass sie ihre eigenen spezifischen Vorstellungen etwa von Zeit, Kalender, Familienfesten usw. als universell versteht, stellt Czollek gegenüber ZDFheute fest. Diese Vorstellung komme den Vertreter*innen der Dominanzkultur selbst so natürlich vor, dass sie auf eine Kritik daran nur mit Unverständnis antworten können.


Weihnachten individuell verschieben?


Für diejenigen, die Weihnachten feiern, existiere Szabo zufolge das Bedürfnis, sich innerhalb der Familie aufgehoben zu fühlen. Auf der anderen Seite könne jeder selbst ein Spreader sein und das Virus in die Familie tragen. "So existiert die nachvollziehbare Angst, eben dort angesteckt zu werden", sagt Szabo.


Frei nach dem Motto "wer seine Nächsten liebt, verschiebt", betont Philosoph Dr. Andreas Weber, dass Kontaktreduktion primär etwas mit "Rücksicht auf die Gemeinschaft zu tun" hat. Dabei wagt er ein Gedankenexperiment: Weihnachten in seiner gewohnten Form auf das nächste Jahr zu verschieben.


Weihnachten als Fest der Nächstenliebe

Das sei ein ungewohntes Programm, denn unser Gesellschafts- und Wirtschaftssystem konzentriere sich eher auf individuelle Bedürfnisse. Insofern seien wir etwas aus der Übung, was das Verschieben von Bedürfnissen aus einem sinnvollen Grund betrifft. "Ich verschiebe mein unmittelbares Bedürfnis, damit ich nicht nur jetzt einen Kick habe, sondern langfristig gewährleiste, dass das Bedürfnis immer wieder gestillt werden kann."


Natürlich sei die Verschiebung größerer Weihnachtsfeierlichkeiten eine Entbehrung. "Viele fiebern darauf schon lange hin (andere werden still und heimlich erleichtert sein). Wenn wir sie aber dieses Jahr verschieben, können wir sie im nächsten sicher genießen. Der Impfstoff steht ja schon vor der Tür."


Insofern sei es aus Sicht des Philosophen klüger, die Shutdown-Regeln nicht zu lockern. Weihnachten sei das Fest der Liebe. Und lieben hieße, an den anderen zuerst zu denken und nicht an sich selbst.

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