10 Abos und 11 Abonnenten
Special

Auch der "feine Herr" traut sich was!

Im Frühjahr schrieb unsere Autorin an dieser Stelle über die zunehmend herablassende Verwendung des Begriffs der Dame, die vor allem im Netz zu beobachten ist. Darauf entgegneten einige Leser, dass es dem männlichen Pendant ebenso ergehen würde – Grund genug, sich nun auch dem Herrn zu widmen.

Einer der Leserkommentare klang besonders zweifelnd: „Werte Frau Pfannkuch, da findet etwas in Ihrem Kopf statt, was Sie als allgemeingültig nach außen projizieren. Andere sehen das nicht so.“ Für das, was andere vermeintlich nicht so sehen, hat die Sprachwissenschaft sogar eine eigene Bezeichnung: Pejorisierung, die abwertende Verwendung eines Begriffs. Zum Beispiel jenes der Dame. Um sie ging es an dieser Stelle vor einigen Monaten – und in einem spannend zu beobachtenden Reflex ging es in den Kommentaren unter der Onlineversion dieses Beitrags sehr schnell nicht mehr um sie, sondern um den Herrn. Auf ihn wies ein Leser „im Sinne der Geschlechter-Gerechtigkeit“ hin, ein anderer Kommentator betonte: „‘Der Herr traut sich was!‘ ist aber auch nicht besser!“

Diese Leser haben völlig recht: Auch der Begriff „Herr“ erlebt vor allem in online geführten Debatten (oder solchen, die es gerne wären,) eine Abwertung. Dass er im vorangehenden Text dennoch nicht zur Sprache kam, hatte einen simplen Grund: Es ging nicht um ihn. Der Vortritt wurde wohlerzogenerweise den Damen gelassen. Dass dieses vermeintliche Versäumnis ausführlich und mitunter fast genüsslich kommentiert wurde, lässt unweigerlich an den klugen Asfa-Wossen Asserate denken. Jeder Herr sei ein Mann, aber nicht jeder Mann sei ein Herr, heißt es in seinem 2003 erschienenen Bestseller „Manieren“. Und bevor nun erneut reflexartig ein Kommentar à la „Also DAS gilt ja wohl auch für die Damen!“ in die dafür vorgesehene Spalte getippt wird: Ja, das tut es selbstverständlich – aber diesmal soll es ja endlich um den Herrn gehen.

(...)

FAZ Magazin, 29.10.2022, S.18