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Wo das Personal den Trend setzt

Einlass nur mit Krawatte und Sakko: Regeln wie diese gelten in immer weniger Hotels und Restaurants. Auch der Service darf sich aus den steifen Uniformen befreien - bis hin zur Extravaganz.


Der Afternoon Tea im Londoner Ritz ist legendär. Zwischen Kerzenleuchtern, Spiegeln und Blumenbouquets werden hier zu Pianomusik erlesene, von speziellen Sommeliers ausgewählte Teesorten gereicht und dazu auf Etageren feines Gebäck, Scones und Sandwiches serviert. Wer das erleben möchte, muss einige Regeln beachten. Kleiderregeln, um genau zu sein: Von den Herren wird erwartet, dass sie im Jackett erscheinen; Jeans, kurze Hosen und Sportkleidung werden auch für Damen zum Hindernis. Auf der Website des Luxushotels ist genau aufgelistet, in welchem Bereich des Hauses welche Kleidung angemessen sei. So können die Gäste schon beim Packen der Koffer so manchem textilen Fauxpas vorbeugen.


Auch im Capella Breidenbacher Hof in Düsseldorf wird nachmittags Tee gereicht und abends in edler Atmosphäre gespeist. Eine Kleiderordnung gibt es hier, in direkter Nähe zur Königsallee, allerdings nicht. Das 1812 eröffnete Fünf-Sterne-Haus beherbergte schon Zar Alexander II., Thomas Mann und Mick Jagger; Christian Dior zeigte Mode in der Lobby, Udo Lindenberg arbeitete hier in seiner Jugend als Page. 2008 wurde der Breidenbacher Hof als Teil der Capella Hotel Group wiedereröffnet und versteht sich heute als modernes Grandhotel. Auch in Kleiderfragen, erklärt Cyrus Heydarian, General Manager des Hauses: „Wer unser Hotel betritt, soll sich nicht fragen müssen, ob er oder sie ‚gut genug' angezogen ist. Mit dieser Steifheit haben wir bei der Wiedereröffnung 2008 gebrochen und sie in eine zeitgemäße Lockerheit übersetzt."


Das ist ganz im Sinne von Horst Schulze. Der Gründer der Hotelgruppe war schon Anfang der nuller Jahre überzeugt davon, dass man Gäste nicht nach ihrem Äußeren beurteilen dürfe. Zu Recht, findet Heydarian: „Früher kamen die Gäste mit Anzug und Einstecktuch, heute tragen sie auch Jeans und Turnschuhe. Menschen, die über finanzielle Freiräume verfügen, treten mittlerweile viel entspannter auf." Das beobachte er auch auf Reisen. Gesellschaftliche und materielle Unterschiede ließen sich schon lange nicht mehr nur an der Optik erkennen. Und tatsächlich: Zerrissene und verwaschene Jeans, Turnschuhe und Kapuzenpullover kosten bisweilen mehr als ein Maßanzug oder klassische Lederschuhe. „Als größter Luxus gilt heute Entspanntheit", sagt Heydarian. Auch deshalb sei es nicht mehr angebracht, jemandem vorschreiben zu wollen, beim Abendessen eine Krawatte zu tragen.


Die Gäste sollen sich wohl und wie zu Hause fühlen. Da ist es nur konsequent, dass im Breidenbacher Hof die Lounge für Hotelgäste „Wohnzimmer" heißt. Eine junge Frau mit offenem Jeanshemd zu Trägertop und Leggings läuft gerade durch, vorbei an einem Mittvierziger mit akkuratem Sakko, roter Hose und farblich perfekt abgestimmtem Einstecktuch. Manche Gäste ließen hier im Bademantel überm Pyjama bei einer Tasse Tee den Tag ausklingen, erzählt Eliette Machold. Die Hausdame des Hotels gibt aber sogleich Entwarnung: „Entspannte Kleidung führt nicht automatisch zu schlechtem Benehmen."


Immer öfter wird in Sterne-Häusern auf Dresscodes verzichtet und stattdessen auf das Stilempfinden der Gäste vertraut - und darauf, dass diese sich wohl fühlen und nicht negativ auffallen möchten. Was als under- und was als overdressed gilt, hängt natürlich auch vom jeweiligen Umfeld ab. In einem Stadthotel geht es bei aller Entspanntheit gewiss formeller zu als in einem Wellnesshotel. Oder in einem Strandhotel auf Ibiza: Hier eröffnete vor einem Jahr das Fünf-Sterne-Resort Seven Pines. Dresscodes gibt es auch hier nicht. „Auf Ibiza kleidet man sich grundsätzlich sehr leger. Deshalb fühlen sich so viele Menschen hier ja auch so wohl", sagt General Manager Markus Lück.


Er selbst trage gerne Sakko und Einstecktuch - und sei damit auf der Insel meist der Einzige, wie er lachend nachschiebt. Die für Ibiza so typische Lässigkeit wirke dank einem ausgeprägten Sinn für Lifestyle und Ästhetik aber nie nachlässig. Und wie geht man im Seven Pines mit Gästen um, die direkt vom Pool zum Essen kommen und nichts außer Bikini oder Badehose tragen? „Das kam bisher tatsächlich nicht vor. Die Damen ziehen mindestens einen Pareo oder Shorts über, die Männer T-Shirts oder Hemden. Unsere Gäste wollen eine schöne Zeit haben und sich dafür auch schön machen."


Vielleicht liegt das ja am Personal. Das trägt im Seven Pines nämlich keine steifen Uniformen, sondern eher etwas, das als stylisches Outfit beschrieben werden kann. Einige Mitarbeiterinnen tragen so schöne weiße Kleider mit Lochstickerei und Stehkragen, dass die weiblichen Gäste gar keine andere Wahl hätten, als zu fragen, wo es die denn wohl zu kaufen gebe. Die männlichen Mitarbeiter wiederum könnten in ihren weißen Hemden mit schwarz abgesetztem Kragen und den schmal geschnittenen Hosen - je nach Position dunkel, beige oder hellblau - auch selbst problemlos auf Ibiza ausgehen. Die Entscheidung für diese Arbeitskleidung der italienischen Firma Maurel fiel ganz bewusst, so Lück: „Unsere Philosophie ist, dass die Mitarbeiter nicht uniformiert aussehen, sondern cool und leger im Ibiza-Stil an den Gast treten können. Die Mitarbeiter sehen toll aus und sind stolz, so aufzutreten. Das stärkt auch das Selbstbewusstsein und das Zugehörigkeitsgefühl."


Die Arbeitskleidung mit Stolz zu tragen, das ist auch im Breidenbacher Hof wichtig. Cyrus Heydarian spricht lieber von „dem, was wir tun, um unser Leben zu gestalten", als von Arbeit, schließlich verbringe man damit mehr Zeit als mit der eigenen Familie. Umso wichtiger sei es, sich dabei wohl zu fühlen und Kleidung zu tragen, die ihre Funktion erfülle und dem Zeitgeist entspreche. „Deshalb haben wir 2015 mit dem Designer Thomas Rath und den Mitarbeitern gemeinsam die Uniformen entworfen", erzählt Heydarian. Ein gewisser Stolz darauf, einer der ersten Hoteliers in Deutschland zu sein, der nicht nur einen Designer, sondern auch das Personal in diesen Prozess einbezogen hat, ist nicht zu überhören.

„Vollbärte können keine Ausschlusskriterien mehr sein"

Das Ergebnis dieser Zusammenarbeit sind maßgeschneiderte Etuikleider, zarte Blusen und Westen mit dem Logo des Hotels, mal Ton in Ton zur Hose, mal kariert. Dazu trägt die Mehrheit des Personals weiße Sneakers - eine Idee von Rath. Anfangs habe er gezögert, gibt Hotelmanager Heydarian zu: „Nach kurzer Bedenkzeit war ich aber überzeugt." Einige ältere Stammgäste waren weniger begeistert: „Aber mit Aufklärung kommt auch Verständnis. Wenn man sich gegen den Zeitgeist wendet, verliert man die jüngeren Generationen." Damit meint Heydarian nicht nur die Gäste: Die Hotellerie müsse sich um Nachwuchs bemühen. „Natürlich haben wir Standards und Grenzen, aber Tätowierungen und Vollbärte können heute keine Ausschlusskriterien mehr sein." Eine gewisse Offenheit sorge auch für eine geringere Fluktuation der Mitarbeiter.


Die Mode erobert auch die reine Gastronomie: Das Designerduo Talbot Runhof entwarf 2018 die Kleidung für das Personal des Münchner Sterne-Restaurants „Tantris". Das ist für seine Küche, aber auch für sein extravagantes Interieur im Stil der siebziger Jahre bekannt. Das greifen die Talbot-Runhof-Entwürfe auf: Die Blumenmuster der Tapeten finden sich auf Hemden und Kleidern wieder, das Orange der Lampen in Ziernähten an Hosenbeinen. Und im Londoner Restaurant „Ella Canta" erwarten die Gäste mexikanische Küche und Mitarbeiter in leuchtend roten und blauen Jumpsuits und Kleidern des britischen Luxuslabels 1947, das weibliche Personal trägt dazu Blumenkronen à la Frida Kahlo im Haar. Unternehmen wie Lady and Butler in New York spezialisieren sich ganz auf Service-Uniformen, die man auch als Gast am liebsten selbst anziehen würde.


Je mehr die einst strengen Kleiderregeln für Gäste in den Hintergrund rücken, desto schicker erscheint das Personal an Tisch und Tresen. Und so hat die schöne neue Arbeitskleidung auch einen ganz praktischen Nebeneffekt: Wenn das Personal gut angezogen ist, wollen die Gäste mithalten - und zeigen, dass Lässigkeit eben nicht nachlässig aussehen muss.

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