Monika Gottlieb sammelt Mode. In ihrem riesigen Fundus finden sich Schätze aus einer Zeit, in der Christian Dior seine Händler noch persönlich besuchte. Nun ist ein Teil der Sammlung in Lübeck zu sehen.
Der Wind bläst so schneidend durch die kopfsteingepflasterten Straßen von Lübeck, als wolle er alle Klischees über das norddeutsche Wetter noch übertreffen. Zwischen pittoresken Gassen gibt eine hohe Glasfront den Blick frei ins St. Annen-Museum. Im weitläufigen Erdgeschoss sind leuchtend rote Roben auf weißen Kleiderpuppen zu sehen, davor Tische voller Notizen, überall stehen geöffnete Kartons, an den Wänden lehnen Bilder. Im ersten Stock balancieren Handwerker auf Leitern unter hohen Decken, an denen später 200 schneeweiße Papierblumen hängen sollen. Die bastelt gerade eine Praktikantin mit stoischer Geduld zwischen üppig behangenen Kleiderstangen. Bald eröffnet hier die Ausstellung „Chanel, Dior, Pucci... Modemythen der 50er bis 70er Jahre".
Mittendrin steht Monika Gottlieb, begutachtet die Beleuchtung, scherzt mit den Handwerkern. Für die Ausstellung lieferte die Düsseldorferin höchstpersönlich etliche Teile aus ihrem Fundus aus fünf Jahrzehnten Modegeschichte an, mit dem Lkw: 55 Kleider, Skizzen und Hunderte Accessoires, von Chanel-Ohrringen aus den 70ern bis zur Puderdose von Elizabeth Arden aus dem Jahr 1938.
„Schauen Sie mal, so sah es zuletzt bei mir zu Hause aus", sagt Gottlieb und zeigt lachend Fotos auf ihrem Smartphone. Malertische voller Accessoires, Roben an Kleiderbügeln mitten im Wohnzimmer sind dort zu sehen. „Am Ende wurde es immer schwieriger, Platz zu schaffen, wenn ich Besuch bekam." Wieder muss sie lachen. Es sei ein Glück, mit einer so engagierten Sammlerin zusammenzuarbeiten, sagt Dagmar Täube, Leiterin des Museums. Gottlieb nimmt ihre Rolle sichtlich ernst: Überm Etuikleid trägt sie einen weißen, doppelreihigen Kittel mit Manschetten und ihren aufgestickten Initialen. „Ich fand es schon früher wunderschön, dass Modeschöpfer wie Givenchy in ihren Ateliers solche Kittel trugen. Als ich immer öfter Ausstellungen meiner Kleider vorbereitete, habe ich mir auch so einen zugelegt."
Givenchy ist für viele nur ein Label, das zum Konzern LVMH gehört und für das einst John Galliano und Alexander McQueen entwarfen. Ein Markenname, der heute auf Badelatschen und T-Shirts prangt. Der Mensch dahinter, Hubert de Givenchy, der für Audrey Hepburn und Jackie Kennedy schneiderte, rückte vielen erst wieder ins Bewusstsein, als er im März mit 91 Jahren verstarb. Gottlieb kannte ihn, diesen „ganz feinen Herren", wie sie sagt, persönlich. Genau wie Christian Dior. Und Emilio Pucci. Und Jacques Guerlain. Sie alle belieferten das 1926 gegründete Geschäft ihrer Eltern nahe der Düsseldorfer Königsallee. Parfüms, Bürsten und Lederwaren gehörten zum Sortiment, später auch Schuhe und Schmuck. Politiker, die in der damaligen Hauptstadt Bonn nicht fündig wurden, kauften hier Gastgeschenke; zum Flanieren auf der Kö machte man sich schick. Hier wuchs Gottlieb in den 50ern auf und verliebte sich in all diese Dinge, die nicht durch Funktionalität, sondern durch Schönheit bestechen.
Lange arbeitete und wohnte sie bei ihren Eltern, ihr Gehalt war alles andere als üppig. Aber fürs Geschäft orderte sie regelmäßig Ware in den großen Ateliers und sah dort viele Entwürfe als Erste. Gefiel ihr etwas, habe sie eben sehr lange gespart. Auch Geschenke bewahrte sie jahrzehntelang auf: Christian Dior schenkte ihrer Mutter einen Mantel, Emilio Pucci ihr selbst sein damals brandneues Parfüm. So wurde sie zur Modesammlerin. Erst ganz unbewusst. Doch dann fragte sie vor fünf Jahren Petra Schäpers vom Düsseldorfer Auktionshaus Dorotheum, ob sie einige ihrer Kleider dort ausstellen würde.
Gottlieb sagte begeistert zu - und fand am Vorabend der Eröffnung vor lauter Lampenfieber keinen Schlaf. „Ich dachte mir, die Sachen sind doch alle so alt! Ob das die Menschen überhaupt interessiert?" Kaum vorstellbar, dass sie, deren Charisma eine so profane Frage wie die nach ihrem genauen Alter geradezu verbietet, damals so nervös war. Gottliebs Befürchtung erwies sich als unbegründet: Die Menschen interessierten sich für ihre Schätze aus über fünf Jahrzehnten Modegeschichte. So sehr, dass Gottlieb seitdem immer öfter eingeladen wird, Teile ihrer Sammlung auszustellen.
Das überrascht nicht: Durch Gottliebs Fundus weht jede Menge Zeitgeist. Da sind etwa die Accessoires des heute fast kultähnlich verehrten Labels Céline. Vor allem berufstätige Frauen um die 30 lieben die zarte Funktionalität der Mode von Phoebe Philo, von 2008 bis 2018 Kreativdirektorin von Céline. Dass die Unternehmens-Gründerin Céline Vipiana bereits in den 60ern mit Sinn für Geschäft und Stil als eine der ersten aufeinander abgestimmte Schuhe, Handtaschen und Düfte im bis heute typisch lässigen, aber nie nachlässigen Céline-Look kreierte, ist vielen jüngeren Frauen gar nicht bewusst. Bis sie vor den Vitrinen stehen, in denen Gottlieb die so zeitlosen Stücke zeigt, die man am liebsten sofort selbst tragen möchte.
Heute gehört Gottlieb zu einer international vernetzten Szene, die sich bei Auktionen in New York, Hongkong, Paris und London trifft. Hamish Bowles, hauptberuflich Redakteur bei der US-„Vogue", gehört auch dazu. „Der hat ja ein richtiges Lagerhaus für seine Sammlung, bei mir ist es etwas kleiner. Nur die großen Roben lagere ich in einem klimatisierten Raum", sagt Gottlieb.
Die Britin Kerry Taylor, die in ihrem Auktionshaus schon Kleider von Lady Di und Amy Winehouse versteigerte, ist eine gute Freundin. Plattformen wie Collector Square, wo Sammler mit Luxusaccessoires handeln, sind Gottliebs Sache aber nicht: „Das ist mir zu kommerziell." Während andere Sammler recherchieren, welche Labels sich als Investition lohnen, sammelt sie lieber Spenden für das Brustkrebs-Beratungszentrum „Zebra" in Düsseldorf.
Monika Gottlieb tritt mit der Eleganz einer Dame und mädchenhaftem Charme zugleich auf. Ihre Anekdoten sind gespickt mit feinem Humor, immer wieder aufblitzender Selbstironie und ansteckender Begeisterung. In Nostalgie verliert sich die leidenschaftliche Instagram-Nutzerin nicht, dafür findet sie die Gegenwart viel zu spannend.
In einem Moment schwärmt sie fast ehrfürchtig von der Verarbeitung von Gaze und Goldbrokat, im nächsten beantwortet sie die Frage, ob sie die kostbaren Teile denn auch trage, ganz pragmatisch: „Was passt, wird angezogen!" Zum Beispiel auf der Party zur Alta-Moda-Schau von Dolce & Gabbana in Mailand vor zwei Jahren. Dort machten ihr gleich mehrere Mode-Bloggerinnen Komplimente für ihren roten Abendmantel von Givenchy, der auch in Lübeck zu sehen ist.
Die Mode der 50er- bis 70er-Jahre nimmt viel Raum in Gottliebs Sammlung ein. Das kommt Dagmar Täube sehr entgegen: „Gerade in dieser Zeit hat sich in gesellschaftlicher, politischer und historischer Hinsicht viel getan. Und all diese Entwicklungen spiegeln sich auch in der Mode." Noch nie habe sie schon vorab so viele positive Reaktionen auf eine Ausstellung bekommen wie auf diese: „Zeitgenössische Mode im Museum erlebt seit einigen Jahren einen Boom." Tatsächlich ziehen Retrospektiven auf das Schaffen von Dior, Versace, Jil Sander und Uli Richter fast schon magisch die Massen an.
Der Startschuss für diesen Trend fiel 2011, als Andrew Bolton, Kurator des New Yorker Metropolitan Museum of Art, aller Skepsis zum Trotz mit seiner Würdigung des damals gerade verstorbenen Alexander McQueen Besucherrekorde brach. Die Schlangen vor der Ausstellung „Savage Beauty" waren kilometerlang. Museumsleiterin Täube begrüßt diese Entwicklung: „Die Trennung zwischen bildender und angewandter Kunst aus dem 19. Jahrhundert ist nicht mehr zeitgemäß. Man muss sich nur Haute Couture-Roben in ihrer ganzen Kunstfertigkeit ansehen, um das zu verstehen."
Anders als in vielen anderen Mode-Ausstellungen finden in Lübeck neben großen Namen auch in Vergessenheit geratene Designer Platz. Roberta di Camerino etwa. Die entwarf schon in den 50ern Schulterhandtaschen mit verstellbaren Henkeln, damit die Damen die Hände frei hatten. Ein Novum in der Zeit der zierlichen Täschchen in behandschuhten Fingern. Und sie schuf als eine der ersten Designerinnen ein Logo, das nicht nur aus ihren Initialen bestand: In das R für Roberta integrierte sie eine stilisierte Gürtelschnalle, die sich in nahezu all ihren Entwürfen wiederfindet. Ein Prinzip, das heute Labels wie Marina Hoermanseder aufgreifen. Spätestens solche Entdeckungen machen klar: Bei Mode im Museum geht es um viel mehr als nur um schöne Stoffe und feine Schnitte. Und bei Monika Gottlieb sowieso.