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Getragene Investitionen

Kunstvoll ineinander verschlungen heben sich die schwarzen arabischen Buchstaben vom türkis- und rosafarbenen Hintergrund eines gut zwei Meter langen Schals aus Seide ab. Die Kalligraphie zieht die Blicke auf sich: „Viele Menschen denken erst, es seien Zitate aus dem Koran, gedruckt auf ein Accessoire. Das gefällt nicht jedem", erzählt Nada Alawi, die den textilen Gesprächsstoff entworfen hat. Der Designerin aus Bahrein gefällt diese provokante Note: „Wenn Mode Kommunikation entfacht, ist das doch wunderbar."


Die ganz große Kontroverse bleibt aber aus. Denn was zunächst wie ein Koranvers anmutet, entpuppt sich als Gedicht von Ibn Hazm Al-Andalusi, einem Universalgelehrten aus Spanien. Im 10. Jahrhundert verfasste er „Das Halsband der Taube", aus dem die Kalligraphie auf dem Seidenschal von Annada stammt, jenem Label, das Nada Alawi und ihre Schwester Noor vor fünf Jahren gründeten. Mit Kalligraphien und vor allem Gemälden zeitgenössischer arabischer Künstler wie Abbas Almosawi bedruckte Schals, Abayas und Tücher aus Seide sind die Markenzeichen des Unternehmens. Mal ziehen sich die Kunstwerke über den gesamten Stoff, mal verbergen sie sich im Innenfutter von Lederjacken. Zwischen knapp 700 und 1000 Euro kostet eine solche Jacke. „Wir verstehen uns als Luxusmarke", sagt Alawi. Ihre Seidenschals liegen mit knapp 200 Euro dann aber doch weit unter den Preisen von Häusern wie Hermès.


Auch im Epizentrum der Seidentuch-Manufakturen geht es seit einigen Jahren besonders künstlerisch zu: Der in Paris lebende Maler Gianpaolo Pagni etwa verschönert seit 2013 Hermès-Kreationen. Bei Louis Vuitton tat man sich in diesem Frühjahr mit Jeff Koons zusammen, der bereits 2014 eine Handtasche für H&M kreierte. Michael Kors engagierte die Illustratorin Daisy Emerson für seine diesjährige Taschenkollektion, und Miuccia Prada ließ sich schon von ganzen Stilrichtungen wie dem Konstruktivismus und dem Dadaismus inspirieren. Ausstellungen mit Werken von Modefotografen wie Horst P. Horst und Designern wie Karl Lagerfeld touren durch Museen in ganz Europa. Die Kunst ist in der Mode mittlerweile ebenso allgegenwärtig wie die Mode in der Kunst.


Während Louis Vuitton, H&M und andere Mode-Unternehmen meist nur zeitlich begrenzte Ausflüge in die Welt der schönen Künste machen, haben sich kleinere Labels wie Annada ganz der Symbiose beider Bereiche verschrieben. So ist es auch bei Art on Fashion, einem Unternehmen mit Sitz in Belfast, das Celine Magill 2012 gründete. Magill versieht Kleider, Tücher, Röcke und Blusen mit klassischen Ölgemälden aus dem späten 19. Jahrhundert, etwa von dem Iren Jack Yeats, oder mit grafischen Digitaldrucken zeitgenössischer Künstler wie Christopher Beikmann aus den Vereinigten Staaten. Ein langes Sommerkleid aus Seide und Viskose ist für knapp 200 Euro zu haben, eine Wickelbluse aus Chiffon für knapp 180 Euro. Sie produziere nur in kleinen Stückzahlen, sagt Magill. Die Wahrscheinlichkeit, jemandem mit demselben Gemälde auf dem Kleid oder Halstuch zu begegnen, ist also gering.


Die Künstler erhielten durch ihre Idee die Möglichkeit, ihre Werke auch jenseits von Galerien zu präsentieren und so ein breiteres Publikum zu erreichen. Genau wie bei Annada werden sie am Gewinn beteiligt. Man arbeite eng zusammen, betont die Designerin des Labels. Schließlich brauche es mitunter Fingerspitzengefühl, um einem Maler beizubringen, dass die Farbgebung seines Werkes verändert werden muss, damit es auf einem Schal richtig zur Geltung komme. „Das ist nicht immer ganz einfach", erzählt die Designerin mit einem vielsagenden Lächeln.


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