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Kurz vorm Ziel

Der Zeitpunkt war perfekt gewählt: Kurz nach Erscheinen der ersten Vogue Arabia mit dem verschleierten amerikanischen Supermodel Gigi Hadid auf dem Titel und kurz vorm Weltfrauentag präsentierte Nike seine erste Hidschabkollektion für muslimische Sportlerinnen. Die Markteinführung der atmungsaktiven und rutschfesten Kopfbedeckung platzt in Deutschland in die Debatte um das Burkaverbot und in der Modewelt in die Debatte um verhüllte Laufstegmodelle. Letztere entzündete sich an Halima Aden, der ersten gläubigen Muslimin, die je mit Kopftuch von einer der größten Modelagenturen der Welt, von IMG, unter Vertrag genommen wurde. Und damit einen für die Modeindustrie wichtigen Teil ihrer selbst, ihre Haare, dem Schönheitsmarkt entzieht. Auf den Modeschauen in New York und Mailand war sie trotzdem gut gebucht.


Nun überträgt Nike die modische Diskussion um die Verhüllung der Frau, die ja auch immer eine politische Diskussion ist, auf den Sport - und fordert damit nicht nur die westliche Welt und ihre Akzeptanz für den Islam, sondern auch die arabische Welt und ihr Frauenbild heraus: Eine Eiskunstläuferin wie Zahra Lari aus Dubai zum Beispiel erntet auch dann noch von streng konservativen Muslimen Kritik, wenn sie ihren Körper sportgerecht verhüllt.


Denn Sportlerinnen mit Kopftuch oder Ganzkörperbedeckung sind bei internationalen Wettkämpfen keine Seltenheit mehr: Wie die Fechterin Ibtihaj Muhammad, die 2016 als erste Athletin mit Kopftuch für die USA olympisches Bronze gewann. Oder die Beachvolleyballerin Doaa el-Ghobashy aus Ägypten, deren Bilder aus Rio um die Welt gingen: El-Ghobashy im Trikot mit langen Ärmeln, Hosen und Kopftuch, ihr gegenüber am Netz zum Beispiel die Deutsche Kira Walkenhorst im knappen Bikini. Nicht nur auf dem diplomatischen Parkett, auch auf dem Sportplatz prallen die Welt- und Frauenbilder seit Jahren aufeinander.


Wirklich neu ist die Idee von Nike also nicht: "Sporthidschabs gibt es schon lange und ich kann (außer dem Nike-Logo) nichts Besonderes am Design erkennen", twitterte eine Muslimin angesichts der Aufregung um die Kollektion, die nächstes Frühjahr in den Handel kommen soll. Die niederländische Firma Capsters produziert schon seit 2001 Sportbekleidung für Musliminnen. Aheda Zanetti aus Australien gilt als Erfinderin des Burkini und produziert ebenfalls Sporthidschabs. 2016 entwarf der dänische Sportausrüster Hummel Fußballtrikots mit integriertem Hidschab für die afghanische Frauenfußballmannschaft.

 

Nike hat seine Hidschabdesigns mit bekannten muslimischen Sportlerinnen wie der Läuferin Sarah Attar aus Saudi-Arabien und der Gewichtheberin Amna al-Haddad aus Dubai entwickelt. Die Entwürfe sind aus sogenanntem Power Mesh, also aus einer atmungsaktiven, leichten Synthetikfaser mit winzig kleinen Perforierungen, die trotzdem lichtundurchlässig ist und elastisch. Außerdem haben die Hidschabs ein verlängertes Rückenteil, das Halt im Nacken bietet. Der Preis soll sich auf 35 US-Dollar belaufen. Es darf vermutet werden, dass Nike für die Hidschab-Kollektion eine große Zielgruppe ausgemacht hat. Der weltweite Markt für islamkonforme Mode wächst weltweit - bis zu 327 Milliarden Dollar soll er 2020 wert sein.

Doch gerade die sportgerechten Produkte sind oft noch schwer zu bekommen. Die Polizistin und Muslimin Lisa Osmann, 26 und aus Berlin, erlebte jahrelang, wie hinderlich die falsche Sportkleidung sein kann. Sie selbst trägt kein Kopftuch, doch auf dem Fußballplatz traf sie immer wieder Spielerinnen, deren Tücher ständig verrutschten oder im Weg waren. "Der Hidschab von Nike könnte da einiges praktischer und leichter machen", meint Osmann.


Tatsächlich ist weniger das Produkt außergewöhnlich als der Zeitpunkt, an dem der Branchengigant Musliminnen zu seinem Aushängeschild macht. Ausgerechnet jetzt, also zu einer Zeit, in der der US-Präsident Donald Trump im Weißen Haus an Einreiseverboten für Menschen aus islamisch geprägten Ländern bastelt und von einem zentralen Register für Muslime träumt, Frauen mit Kopftüchern als Ikonen des Sports zu inszenieren, hat politische Signalwirkung. Das Bild wirkt in beide Richtungen: Es könnte Vorbehalte in westlichen Gesellschaften relativieren sowie starre Rollenbilder in der muslimischen Welt.


Denn allen Vorzeigebeispielen zum Trotz müssen Musliminnen noch immer für ihre Sportbegeisterung kämpfen. Im Iran kann für sie schon der Besuch einer Zuschauertribüne im Gefängnis enden. Das sieht auch Lisa Osmann so: "Sport ist ein Stück Freiheit. Gerade in Gesellschaften, in denen es sich aus traditioneller Sicht für Frauen nicht gehört, Sport zu treiben, muss man sie unterstützen und fördern."

 

Das tat Nike bereits im Februar, wahrscheinlich als Vorbereitung auf den Launch der Hidschabkollektion, mit einem an das arabische Publikum gerichteten Werbeclip. In dem sind berühmte muslimische Sportlerinnen und Künstlerinnen zu sehen. Im Hintergrund fragt eine Frauenstimme: "Was werden sie über dich sagen?" Eine Frage, die alles zerstören kann. Weil es die Frage ist, die Musliminnen weltweit immer noch zu hören bekommen, wenn sie gegen traditionelle Vorstellungen aufbegehren. Indem sie zum Beispiel Parkourläuferin werden wollen. So wie Amal Mourad aus den Emiraten, die erst nach langen Diskussionen mit ihrem Vater seine Erlaubnis bekam. Mourad setzte sich durch. Auch sie tritt in dem Werbeclip auf und macht Hoffnung: "Vielleicht werden sie sagen, dass du ihre Erwartungen übertroffen hast."


Solche Kampagnen sind ermutigend. Dass das Unternehmen aber auch Umsatz machen will, steht außer Frage. Und mediale Aufmerksamkeit ist beim Thema Kopftuch sowieso garantiert. Das weiß auch Lisa Osmann. An Glaubwürdigkeit verliert die Kampagne für sie dennoch nicht: "Nike hat schon mehrfach Randgruppen im Sport eine Stimme verliehen, zum Beispiel 2016 mit der #betrue-Kampagne, die homosexuelle Profisportler unterstützte. Ich glaube nicht, dass es nur um Aufmerksamkeit geht, sondern auch darum, Minderheiten im Sport zu helfen."


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