Katharina Kugelmeier

Journalistin / Redakteurin / PR / Social Media / Texterin, Roth

1 Abo und 1 Abonnent
Reportage

Einsatz über den Wolken

Eine aufheulende Turbine durchbricht die gleichmäßigen Geräusche der vielen unterschiedlichen Triebwerke und Maschinen. Der Tankwart beendet gerade den Tankvorgang an einer King Air 200, einem zweimotorigen, turbinengetriebenen Flugzeug. Er sichert den Tankdeckel auf der Tragfläche und rollt seinen Schlauch ein. Die Crew, bestehend aus den Piloten und einem Team aus Arzt und Rettungssanitäter, verlädt den noch leeren Inkubator. Dann ist alles vorbereitet und der Einsatz kann beginnen.


Für gewöhnlich ist es vor Sonnenaufgang noch recht still, nicht so jedoch am Flughafen München, einer in sich geschlossenen Welt ohne Schlaf. Das Ambulanzflugzeug steht abflugbereit auf dem Vorfeld der allgemeinen Luftfahrt. Während der Kapitän beginnt, das erste Triebwerk zu starten, schließt der Copilot die Flugzeugtür. Der Tankwagen fährt langsam zur nächsten Maschine und auch die King Air rollt gemächlich los in Richtung Startbahn. Es geht nach Zagreb, um mit einer fliegenden Intensivstation ein Baby abzuholen.


Tagtäglich befinden sich unzählige Krankentransporte in der Luft. Die meisten Menschen verbinden mit Rettungsflügen in erster Linie die Hubschrauberrettung von Unfallopfern oder den Krankenwagenersatz für einen schnellen Transport schwerkranker Patienten ins Krankenhaus. Neben dieser Form der Sofortrettung gibt es allerdings viel mehr. Mit speziell ausgestatteten Flugzeugen werden kranke oder verunfallte Urlauber nach Hause geholt, Patienten in entfernte Krankenhäuser für spezielle Behandlungen und Operationen gebracht und auch eilige Organe für Transplantationen zu den Empfängern transportiert. Doch was bedeutet die Arbeit im fliegenden Krankenzimmer?


„Am schlimmsten sind eigentlich die Babys, die Bilder lassen einen oft nicht los“, seufzt der Copilot des heutigen Fluges. Auch heute soll wieder ein neugeborenes Baby mit Herzfehler zur rettenden Operation nach München geholt werden. „Wir sind immer froh, wenn wir mitbekommen, dass alles gut verlaufen ist“, wirft der Kapitän ein. Arzt und Rettungssanitäter wirken entspannt. Sie bereiten in der Kabine alles vor. Der Rucksack mit sämtlichen Medikamenten wird gecheckt, der Inkubator kontrolliert. Dieser ist besonders wichtig, da er dem Neugeborenen als transportabler Brutkasten dient. In ihm kann das Baby geschützt und ohne umgelagert werden zu müssen transportiert werden, von Bett zu Bett im Inkubator. Außerdem garantiert er eine gleichbleibende Umgebung und eine konstante Temperatur. Zusätzlich kann seine Innenluft mit Sauerstoff angereichert werden. Gerade bei Frühgeborenen oder bei Babys, die durch eine Erkrankung instabil sind, kann all dies entscheidend für den komplikationsfreien Transport sein.


Nach eineinhalb Stunden Flug setzt die King Air in Zagreb auf. Der Krankenwagen wartet bereits an der Parkposition um Arzt und Sanitäter mit dem Inkubator sofort ins Krankenhaus bringen zu können. Während er davonbraust, checken Kapitän und Copilot bereits Flugzeug und Unterlagen für den Rückflug nach München. Sobald der Krankenwagen mit dem Patienten zurück kommt muss es schnell gehen, um den kleinen Patienten nicht unnötig lange den Strapazen der Reise auszusetzen. Es bleibt noch Zeit für einen Schluck Kaffee aus der Thermoskanne, richtig warm ist er nicht mehr, aber besser als nichts. Ständig kontrolliert der Kapitän sein Handy, wartet auf den Anruf, wann es los geht. Die Zeit des Wartens erscheint länger als gewöhnlich.


Jährlich sind es rund 50 Babys, welche die Münchner mit ihrer fliegenden Intensivstation in Spezialkliniken bringen. Die Strecke Zagreb - München ist dabei schon fast ein Klassiker, da die Klinik in Zagreb bei Neugeborenen mit Herzproblematik eng mit einem Münchner Krankenhaus zusammenarbeitet. Zu den Inkubator-Flügen kommen noch über 100 normale Krankentransporte, viele davon auch mit Intensivpatienten. Und die Organe. „Die Organe sind meistens nachts“, erklärt die Crew. Dann sei in den OPs mehr Zeit.


Die Kosten für Krankentransporte trägt oftmals die Versicherung. Vor allem bei Auslandsreisen ist ein umfassender Versicherungsschutz wichtig. Immer wieder zahlen Patienten die Kosten für den Flug selbst, da Diskussionen mit Versicherungen zu viel Zeit kosten. Und das kann schnell teuer werden. Die Kosten für einen Ambulanzflug können je nach Distanz leicht im fünfstelligen Bereich liegen, bei Langstreckenflügen sogar noch höher.


Plötzlich klingelt das Handy. Es ist der Arzt, sie seien in fünf Minuten mit dem Baby da. Als wäre ein Startschuss gefallen, beginnt die konzentrierte Geschäftigkeit der letzten Vorbereitungen. Die Batterie des Flugzeuges wird gestartet und der Copilot holt die notwendigen Freigaben bei der Flugsicherung ein. Nichts soll den nahtlosen Abflug verzögern. „Das Gute ist, wir haben als Ambulanzflug immer Vorrang“, erklärt er mit einem Zwinkern. „Viele Linienmaschinen ärgert es, wenn man sich im letzten Moment vordrängelt.“ Im gleichen Moment kommt auch schon der Krankenwagen. Zügig wird der Inkubator verladen und gesichert. Die Mutter begleitet den Flug. Sie sieht müde aus, ängstlich, besorgt. Tiefe Ringe unter den Augen lassen sie älter wirken, als sie wahrscheinlich ist. Doch in ihrem Blick ist auch Hoffnung, endlich sind sie unterwegs zur ersehnten Operation. Auch Arzt und Rettungssanitäter wirken angespannter als zuvor. Ein so zerbrechliches und doch kämpfendes kleines Wesen schaut unter mehreren Schläuchen hervor. Nach einem weiteren Check gibt der Arzt das OK, der Flug kann losgehen.


Der Rückflug verläuft sanfter als der Hinflug. Um die Belastung durch den Flug so gering wie möglich zu halten, werden Steig- und Sinkflüge nur sehr langsam eingeleitet und weniger steil geplant als im normalen Flugbetrieb. Jede Flugbewegung wird so sachte wie möglich ausgeführt. Nicht nur für die Crew ist dies eine Herausforderung, auch die Flugsicherung muss anders planen als gewöhnlich. Die absolute Priorität eines Ambulanzfluges erfordert schnelle Entscheidungen der Flugsicherung. Gründlich geplante Strukturen müssen binnen Sekunden umgeplant werden. Doch eigentlich macht jeder Beteiligte dies alles gern, schließlich hilft man, Leben zu retten.


Als die King Air in München landet ist es bereits Mittag. Auch hier wartet ein Rettungswagen mit Blaulicht. Während die Triebwerke runterfahren öffnet der Arzt bereits die Flugzeugtür und winkt die Sanitäter des Rettungswagens heran. Gemeinsam verladen sie den Inkubator. Der kleine Patient ist mittlerweile unruhig geworden, der Arzt versichert der aufgeregten Mutter jedoch sofort, dass alles in Ordnung sei, alle Werte seien stabil. Nachdem der Inkubator sicher im Krankenwagen ist geht es los. Noch ein kurzer Abschiedsgruß von Arzt und Sanitätern und schon sind sie weg, auf schnellstem Weg in die Klinik. Für die Crew geht es allerdings noch weiter. Unmittelbar nach der Landung kam die Nachricht der Zentrale: in Hamburg wartet eine Leber. 



Bemerkung: Auf Wunsch des kooperierenden Flugbetriebs wurde auf eine Namensnennung konsequent verzichtet. Alle Namen sind der Redakteurin selbstverständlich bekannt.