Vor einer halben Milliarde Jahren entwickelten sich die Vorfahren der Insekten im Urschlamm der Ozeane. Heute sind sie die erfolgreichste Gruppe von Lebewesen - wenn man nach Vielfalt und Überlebensmechanismen geht und nicht danach, sich die Welt untertan zu machen. Beinahe eine Million Arten wurden bereits beschrieben, viermal so viele sollen noch unentdeckt sein. Doch die Tiere haben ein Problem: Ihre Masse schrumpft, eine gewaltige Anzahl an Insektenarten ist bereits vom Aussterben bedroht. Und wenn Insekten ein Problem haben, haben wir auch eines. Nicht zuletzt, weil 87 Prozent aller Pflanzenarten auf Bestäubung angewiesen sind. Dave Goulson (Professor der Biologie an der Universität Sussex im Süden Englands) ist einer der weltweit bekanntesten Hummelforscher. Soeben ist sein neues Buch „Stumme Erde: Warum wir Insekten retten müssen" erschienen, in dem er dem Insektensterben auf den Grund geht und ein Plädoyer verfasst, wie man sie retten könnte.
Falter: Herr Goulson, die meisten Menschen verbinden mit Insekten eine Plage oder ekeln sich sogar vor ihnen. Warum?
Dave Goulson: Wir sind sehr intolerant gegenüber Insekten. Im Englischen haben wir sogar beleidigende Namen für sie wie „bug", also „Defekt". Die meisten Insekten, die in unseren Häusern leben, sind auch nicht so anziehend: Kakerlaken, Fliegen, Flöhe. Ich glaube, daher bekommen sie die schlechte Presse. Aber es hat auch damit zu tun, dass uns die Vertrautheit fehlt. Wir leben mehr und mehr in Städten, und wenn wir auf Insekten treffen, dann auf Schädlinge. Wir sind entfremdet, deswegen fürchten sich manche. Dabei ist das lächerlich! Menschen haben Angst vor etwas, das ein Millionstel ihres Gewichts hat, das sie nicht verletzen kann. Trotzdem schlagen sie wild um sich, wenn etwas in ihre Nähe fliegt.