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Eine Tirolerin im Trümmerland

Die Stadt Mossul trägt immer noch Spuren des IS. Hebamme Julia Falkner brach aus Österreich auf, um für Ärzte ohne Grenzen in einer zerrütteten Stadt zu arbeiten. Eine grenzwertige Erfahrung, die sie wieder machen möchte.

02.12.2019 | Gynäkologie und Geburtshilfe | Ausgabe 49/2019


Zuerst kam die Gefahr als Idee in die Stadt. Die Vertreter des Islamischen Staates betonten, nichts Böses zu wollen, bauten Vertrauen auf. Und dann, als die Macht groß genug war, kippte das System in ein strenges Kalifat: Ratschläge, etwa wie sich Frauen zu kleiden hatten, wurden Befehle; Musik, Fernsehen, und Mobiltelefone verboten; in den Schulen nur noch von Vertretern des Regimes unterrichtet; potenzielle Aufständische wie Polizisten wurden umgebracht; Menschen gezwungen, Massenhinrichtungen beizuwohnen; die Grenzen der Stadt geschlossen.


Solche und ähnliche Erzählungen hörte Julia Falkner oft. Drei Monate lang arbeitete die in Tirol geborene Hebamme im Namen von Ärzte ohne Grenzen in Mossul, im Norden des Iraks. Erst 2017 wurde der IS in der Schlacht von Mossul aus der Stadt vertrieben. Heute, zwei Jahre später, kann von Normalzustand aber noch lange nicht die Rede sein: „Mich hat das Stadtbild stark an Bilder aus Dresden oder Köln nach dem Zweiten Weltkrieg erinnert", erinnert sich Falkner. Aufbauarbeiten gehen schleppend voran. Fast alle Krankenhäuser wurden zerbombt, viel medizinisches Personal war noch rechtzeitig geflüchtet. Als der IS die Krankenhäuser besetzte, durfte keiner mehr das Gebäude verlassen. Wer ging, wurde erschossen. Momente später wurde das Krankenhaus samt Patienten, Ärzten, Krankenpflegern und Hebammen in die Luft gejagt. Die Leichen wurden bis heute nicht geborgen.


Die Erinnerungen an diese allerjüngste Vergangenheit und der Hass auf den Islamischen Staat sitzen in Mossul tief. Auch heute ist das tägliche Leben für viele noch ein Kampf, gerade wenn gesundheitliche Probleme oder eine Schwangerschaft dazukommen. Nur 800 Betten stehen heute für rund 1,8 Millionen Menschen bereit. Neben der Infrastruktur habe auch die Ausbildung der Menschen unter dem IS-Regime gelitten, erzählt Falkner. Sie hatte sich den Ort bewusst ausgesucht, wollte die Herausforderung und Verantwortung für das Erstversorgezentrum übernehmen. „Viele der Hebammen vor Ort wussten etwa nicht, dass nicht jedes Antibiotikum für alle Indikationen eingesetzt werden kann oder dass es wichtig ist, steril zu arbeiten." Falkner leitete das Zentrum mit der Unterstützung einiger lokaler Hebammen, sieben Gynäkologinnen und mithilfe einer ständigen Übersetzerin.

Besonders schwer haben es die Frauen der Stadt: Viele von ihnen haben keinen Zugang zu einer sicheren Geburtshilfe, gebären deshalb - auch bei Hochrisikoschwangerschaften - zuhause oder machen sich auf den langen Weg zum nächsten Krankenhaus.

Der Tigris teilt Mossul in zwei Hälften. Der Osten, in dem auch Falkner lebte, wurde etwas verschont. Da der IS aus dem Westen kam, sieht es dort anders aus. Kein Zufall: Der ärmere, vom Land zugezogene Teil der Bevölkerung war ein einfaches Ziel für die islamistische Miliz. Deren Versprechen wirkten, und ein Teil der Bevölkerung begann damit, sie zu unterstützen.


Heute leben gerade die Menschen im Westen der Stadt mit einer Pauschalisierung: „Wenn man von Mossul redet, sind alle der Meinung, dass die Bewohner dort IS-Sympathisanten sind. Und in diesem Viertel ist es noch einmal verstärkt." Viele Frauen, die Falkner behandelte, erzählten, dass sie in den irakischen Krankenhäusern nicht gerne gesehen seien. Zwar sei die gesundheitliche Versorgung im Irak kostenfrei, doch seit dem Krieg herrschen korrupte Zustände. Für eine adäquate Behandlung müsse man das medizinische Personal bestechen.


Die Leute erfuhren bald von der Emergency Obstetric Care -Einrichtung in Al Rafadain, dem ärmsten Viertel der Stadt. Hohe Mauern und Sicherheitskräfte umgeben auch heute noch die provisorische Geburtshilfestation. In den Stoßzeiten kommen bis zu 90 Besucherinnen am Tag in die Ambulanz. Ein Team aus Hebammen und Gynäkologinnen bringt monatlich rund 170 Babys auf die Welt, versorgt erkrankte Neugeborene und Frühgeburten, berät bei der Familienplanung und nimmt gynäkologische Routineuntersuchungen vor. Komplikationen oder Kaiserschnitte werden an die Nablus Geburtsklinik verwiesen. Sie ist die größere der beiden Geburtskliniken, die Ärzte ohne Grenzen in Mossul unterstützt, und liegt nur zehn Minuten entfernt.


Improvisieren in Ausnahmesituation

Dass sie etwas Humanitäres machen wollte, war Julia Falkner schon während ihrer Ausbildung klar geworden. „Deswegen hat mein Engagement bei Ärzte ohne Grenzen meine Familie nicht überrascht - auch wenn sie über die Wahl des Einsatzortes etwas zwiegespalten war." Am liebsten hätte Falkner gleich nach der Ausbildung mit einem Einsatz gestartet, Ärzte ohne Grenzen verlangt jedoch mindestens zwei Jahre Berufserfahrung. „Im Einsatz selbst war ich froh um jeden Tag Erfahrung, den ich davor gesammelt hatte." Ein Jahr lang ließ sich Falkner von ihrer Tätigkeit im Stadtkrankenhaus Dornbirn karenzieren. Vor dem Einsatz im Irak hatte sie bereits sechs Monate im Südsudan verbracht. Ein geeigneter Ort, um das Improvisieren in Ausnahmesituationen zu lernen.

In Österreich sei man es gewohnt, bei jedem Notfall ein Team hinter sich zu haben. In Mossul war Falkner aber auf sich alleine gestellt. Bei den ersten Notfällen fühlte es sich deshalb so an, als würde ein Damoklesschwert über ihr hängen. Was half, waren Leitlinien der Organisation und Vertrauen in die eigene Intuition: „Irgendwann macht es Klick, und man tut Sachen einfach, ohne lange darüber nachzudenken."

Tragische Einzelschicksale blieben nicht aus: Ohne OP, Intubation, oder Inkubatoren überlebten manche Kinder nicht, die in Österreich vermutlich eine Chance gehabt hätten. „So etwas ist schwer. Aber man muss damit klarkommen und sich nach den Möglichkeiten vor Ort richten."


Gestärkt habe sie vor allem die Dankbarkeit der Menschen, die ihr bei jedem Eingriff vertrauten. „Im Irak ist man ohne Papiere aufgeschmissen. Wenn man zuhause entbindet, bekommt man keine Geburtsurkunde, und kann sich nicht registrieren." Die Möglichkeit, in einem Krankenhaus zu gebären, sahen viele deshalb als wichtige Chance.

Seit Oktober ist Falkner nun wieder in Österreich. Erst habe sie sich richtig fehl am Platz gefühlt. Nächsten Monat startet sie wieder in den Arbeitsalltag, eine Umstellung: „Wenn jemand bei uns zur Geburt kommt, ist es meistens klar, dass eine gesunde Mutter mit einem gesunden Kind nach Hause geht. Wir sollten das zu schätzen wissen." Wie lange sie bleiben möchte, weiß Falkner nicht. Eine weitere Mission mit Ärzte ohne Grenzen kann sie sich vorstellen: „Wir leben hier im Zuckerguss. Bei meinen Einsätzen hatte ich das Gefühl, etwas zurückgeben zu können - und auf diese Bereicherung möchte ich in Zukunft nicht verzichten."


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