Vergangene Woche haben die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) angekündigt, die U-Bahn-Haltestelle Mohrenstraße umbenennen zu wollen. Ein neuer Name sollte her. Einer, der nicht so umstritten ist. Kaum eine Woche später müssen die Verantwortlichen feststellen: Es ist ihnen nicht gelungen.
Denn setzte die BVG ihren Vorschlag um, wäre die Haltestelle in Zukunft nicht nach einer veralteten, von vielen als rassistisch empfundenen Bezeichnung für schwarze Menschen benannt, sondern nach einem Antisemiten, sagen Kritiker. Bei ihrer Ankündigung am Freitag schlug die BVG vor, die Station "Glinkastraße" zu nennen. Die gleichnamige Straße in der Nähe erinnert an den russischen Komponisten Michail Iwanowitsch Glinka, der von 1804 bis 1857 lebte und in Berlin starb.
Dass die Wahl ausgerechnet auf Glinka fiel, habe einen pragmatischen Grund, heißt es von der BVG. Der neue Name müsse in erster Linie eine Orientierungshilfe für Menschen sein, die sich durch die Stadt navigieren. Wer am U-Bahnhof Bundestag aussteige, erwarte dort schließlich das Parlamentsgebäude. "Also haben wir geguckt und die Glinkastraße entdeckt", sagt Unternehmenssprecherin Petra Nelken. "Glinka war russischer Komponist und gilt als Vater der russischen Oper. Wir haben uns gedacht: Warum nicht?"
Glinka sei eine "schlechte Wahl", kritisierte einige Tage später die " Jüdische Allgemeine" und bezeichnete das Libretto seiner Oper "Fürst Cholmski", das Nestor Kukolnik geschrieben hatte und in dem eine jüdische Verschwörung vorkommt, als "reichlich antisemitisch". Glinka soll außerdem über einen Komponisten einen abfälligen Begriff für einen Juden benutzt haben. Für den international anerkannten englischsprachigen Musikwissenschaftler Richard Taruskin, Spezialist für russische Musik, ist Glinka damit einer von vielen russischen Musikern, die im aufstrebenden Nationalismus antisemitische Klischees bedienten.
Die BVG steht nun hart in der Kritik. Die Sprecherin des Jüdischen Forums der CDU, Karin Prien, warf ihr "Doppelmoral" vor. Das Verkehrsunternehmen würde "vermeintlich Rassismus bekämpfen und sich einen antisemitischen Kommunisten einkaufen". Dafür, dass Glinka Kommunist gewesen sein soll, gibt es keine Hinweise. Prien schränkte ihre Aussage in einem späteren Kommentar ein und schrieb, "Antisemit und Nationalist hätte auch gereicht".
Und auch der Berliner Senat ist nicht begeistert: Nachdem Wirtschaftssenatorin und BVG-Aufsichtsratsvorsitzende Ramona Pop (Grüne) die Umbenennung am Freitag noch als "klares Zeichen gegen Diskriminierung" begrüßt hatte, kritisiert sie nun die "Schnellschüsse mit Namensvorschlägen" als "nicht angebracht". Es brauche ein "offenes Verfahren" unter Beteiligung von Anrainern sowie entwicklungspolitischen und dekolonialen Verbänden und Initiativen.
Aktivisten fordern schon seit mehr als zehn Jahren eine Umbenennung der Mohrenstraße. Dass die BVG bei der U-Bahn-Station nun vorprescht, dürfte deshalb weder der Senatorin noch den am Prozess Beteiligten gefallen. Ihre Entscheidung habe praktische Gründe, teilt die BVG mit: Im Dezember wird die neue Linie U5 fertiggestellt, deshalb müssten ohnehin alle Pläne zum Verkehrsnetz erneuert werden. Das sei ein Riesenaufwand, sagt Sprecherin Nelken. "Da haben wir uns gedacht: Das ist doch ein guter Zeitpunkt, auch diesen kränkenden Namen wegzunehmen."
Das bedeutet aber auch: Zuvor war der BVG der Aufwand für eine Umbenennung offenbar zu hoch. Lieber nahm sie die Kritik an der Bezeichnung in Kauf.
Im Nachhinein sei das Vorgehen der BVG bei der Namensänderung vielleicht "naiv" gewesen, gibt Sprecherin Nelken zu. Aber die Kritik an dem Vorschlag "Glinkastraße" kann man im Unternehmen nicht so recht nachvollziehen. Man habe Glinkas Wikipedia-Eintrag gelesen, damals habe dort noch nichts über die Antisemitismusvorwürfe gestanden. Es sei nicht Aufgabe der BVG, jeden Stationsnamen zu prüfen, sagt Nelken. "Berlin hat dort eine Glinkastraße, nicht die BVG."
Mit dem gleichen Argument könnte die BVG allerdings auch eine Umbenennung der Mohrenstraße ablehnen - Kritiker werfen ihr deshalb vor, die Umbenennung der U-Bahn-Station habe vor allem PR-Gründe.
Wie die Mohrenstraße Anfang des 18. Jahrhunderts zu ihrem Namen kam, ist nicht gesichert. Es kursieren mehrere Thesen. Die meisten von ihnen haben gemein, dass sie einen Zusammenhang mit schwarzen Bewohnern der Straße sehen, die als Sklaven oder ehemalige Sklaven dort wohnten.
Jedoch werden die nun wieder angestoßenen Fragen vielerorts in Deutschland diskutiert. Wie umgehen mit der kolonialen Vergangenheit? Sollten Straßen und Plätze weiter nach Kolonialherren, Rassisten, Kriegstreibern und Antisemiten benannt bleiben, damit ihre Gräueltaten nicht aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwinden? Reicht es, dafür Schilder zur Einordnung anzubringen? Oder sollten die Orte umbenannt werden?
Die BVG plädiert für den Namenswechsel. "Hier geht es um eine Bezeichnung, die ein einziges Kriterium hat. Es fragt niemand, von welcher Nation man ist oder welchem Kontinent, oder welche Fähigkeiten oder Ansichten man hat, sondern der Begriff beurteilt Menschen allein nach ihrer Hautfarbe", sagt Nelken über die Mohrenstraße. Deshalb müsse der U-Bahnhof umbenannt werden. Man habe allerdings nicht vor, "Geschichte zu entsorgen", so Nelken. Geplant sei eine Tafel am Bahnhof, auf der die Umbenennung begründet werde.
Bei der konkreten Bezeichnung rudert die BVG nach der Kritik jedoch zurück. Der Name der Station sei noch nicht endgültig festgelegt: "Wir wollen ja nicht unbedingt Glinkastraße heißen, wir wollen nur nicht mehr Mohrenstraße heißen", sagt Nelken. Man habe die Bürger um Vorschläge gebeten, einzige Bedingung: Der Name müsse sich am Umfeld der Station orientieren.
Das macht es nicht gerade leichter. Auf der nahe gelegenen Wilhelmstraße gibt es bereits mehrere Bushaltestellen, außerdem taugt auch der Namensgeber Friedrich Wilhelm I. nicht als Aushängeschild. Die Mauerstraße ist nicht etwa nach der Berliner Mauer, sondern nach einer geplanten, aber nicht gebauten Stadtmauer benannt. Das könnte Touristen verwirren, fürchtet die BVG.
Immerhin: Das Verkehrsunternehmen hat mit seinem Alleingang den Streit über die Umbenennung der Mohrenstraße neu angestoßen. Eine Petition des Bündnisses Decolonize Berlin hat bereits fast 10.000 Unterstützer. Der Verein fordert, die Straße nach Anton Wilhelm Amo zu benennen, dem ersten schwarzen Gelehrten an einer preußischen Universität.
Der Bezirk Mitte will nun einen neuen Diskussionsprozess über den Straßennamen führen, kündigt Pops Sprecher Matthias Borowski an. Dem Bezirk obliegt die Entscheidung über die Umbenennung. Auch bei der U-Bahn-Station hat am Ende das Land Berlin das Sagen, denn die Verkehrsbetriebe sind ein öffentliches Unternehmen. Borowski zufolge will die BVG in den Dialog eintreten.
Mitarbeit: Johannes Saltzwedel