Im Skandal um listerienverseuchte Fleischwaren der Firma Wilke wirft die Verbraucherschutzorganisation Foodwatch den Behörden unzureichendes und zu spätes Eingreifen vor. Die erneuten Anschuldigungen stützt Foodwatch auf einen Bericht der Taskforce Lebensmittelsicherheit, die beim Regierungspräsidium Darmstadt angesiedelt ist.
Der gut 30-seitige Bericht bezieht sich auf eine Betriebskontrolle am 2. Oktober bei Wilke in Twistetal-Berndorf, einen Tag nach der vom Kreis Waldeck-Frankenberg angeordneten Schließung des inzwischen insolventen Betriebs. Das hessische Umweltministerium, das auch für Verbraucherschutz zuständig ist, bestätigte auf SPIEGEL-Anfrage, dass es sich bei dem Dokument nach erster Durchsicht um den Bericht der Arbeitsgruppe handele.
"Vollständiges Versagen des Eigenkontrollsystems"
Der Taskforce zufolge wurden bei Wilke seit Jahren immer wieder Hygienemängel festgestellt. So war bereits im September 2013 Salami-Aufschnitt in sechs Bundesländern zurückgerufen worden, weil in einer Probe Salmonellen gefunden wurden. Zwischen Mai 2018 und Mai 2019 führte Wilke eigene Kontrollen seiner Produkte durch, darunter Bacon, Teewurst und Bauchspeck. In allen sieben Stichproben fand Wilke der Taskforce zufolge Listerien, jedoch unter dem erlaubten Grenzwert. Der Fleischereibetrieb habe das Veterinäramt aber erst im September dieses Jahres darüber informiert.
Behörden bringen drei Todesfälle und 37 Erkrankungsfälle mit listerienverseuchter Wilke-Wurst in Verbindung. Die Kontrolleure attestieren Wilke "vollständiges Versagen des Eigenkontrollsystems". So habe eine Auswertung des Betriebs gezeigt, dass im Jahr 2018 die Hälfte der auf Keime untersuchten Fertigprodukte auffällig waren. Daraus seien aber keine ausreichenden Konsequenzen gezogen worden. Außerdem seien Empfehlungen aus früheren Kontrollen laut Bericht teilweise nicht umgesetzt worden.
Gesamter Produktionsbereich kontaminiert
Mehrmals wurde der Betrieb in den vergangenen Jahren laut Bericht grundgereinigt, langfristig hatte die Firma aber offenbar große Probleme, für eine hygienische Produktion zu sorgen. Am 2. Oktober fanden die Kontrolleure laut Taskforce "ideale Bedingungen für eine persistierende Ansiedlung, Vermehrung und Verbreitung von Listerien" vor. Dabei gebe es keine punktuelle Quelle der Keime, vielmehr müsse "der gesamte Produktionsbereich als großflächig kontaminiert angesehen werden".
Vor der Betriebsbesichtigung am 2. Oktober sei dem Geschäftsführer von Wilke mitgeteilt worden, dass sich die Todes- und Krankenfälle auf listerienverseuchte Wilke-Produkte zurückführen lassen. Der Geschäftsführer habe sich "insgesamt uneinsichtig" gezeigt und sich aus der Besprechung zurückgezogen, noch bevor der Betriebsrundgang begonnen habe. Die Staatsanwaltschaft Kassel ermittelt inzwischen gegen den Geschäftsführer wegen fahrlässiger Tötung.
Die Vielzahl der vorgefundenen baulichen Mängel erwecken laut Foodwatch "den Eindruck, dass eine hygienische Produktion in den Räumlichkeiten im beschriebenen Zustand gar nicht möglich war". Foodwatch zufolge muss das auch bei früheren Kontrollen aufgefallen sein und hätte Konsequenzen nach sich ziehen müssen." Das zuständige Hessische Umweltministerium teilte auf SPIEGEL-Anfrage mit, erst durch den Taskforce-Bericht über das Ausmaß der hygienischen und baulichen Mängel informiert worden zu sein. "Wir arbeiten weiter mit Hochdruck an der Aufklärung", sagte eine Sprecherin.
Das bemängeln die Kontrolleure im stillgelegten Betrieb von Wilke:
1. Feuchtigkeit
Die Behördenmitarbeiter fanden bei der Betriebsbesichtigung tropfende Decken, nasse Böden und verunreinigte Maschinen. Das führte laut Bericht zu Schimmel, Rost, Kalk und Schmutz. Kondenswasser gelangte "in offenstehende Produktionsmaschinen sowie offene Wannen und Wagen, die wiederum für offenes Fleisch vorgesehen sind". In einem Aufzug seien vergammelte Fleischsaftreste gefunden worden, beim Öffnen der Aufzugtür fiel "Verwesungsgeruch" auf.
2. Schädlinge
Die Kontrolleure fanden Mäusekot in einem Kühlraum, in dem Naturdärme für Würste auch offen gelagert wurden. In einem Gewürzlager ohne Fenster gab es Fliegen.3. Unzureichende Reinigung
4. Mangelnde Instandhaltung
"Mitten im Hygienebereich befand sich ein Gerüst, um die Decke abzustützen", schreiben die Kontrolleure zu einem entsprechenden Foto. In verschiedenen Räumen blätterte Deckenbelag ab, waren mit Wasser gefüllte Löcher im Boden.