Eine Busreise ist immer auch eine Frage des Vertrauens: Man vertraut darauf, dass der Fahrer gut ausgebildet ist, ausreichend geschlafen hat, die Pausenzeiten einhält, anständig bezahlt wird und nicht länger fährt, als er darf.
Jeden Tag vertrauen Tausende Kunden dem Anbieter Flixbus. Doch SPIEGEL-Recherchen zeigen: In den Bussen mit der grünen Lackierung arbeiten Fahrer offenbar immer wieder zu lange und unter schlechten Bedingungen, insbesondere Fahrer aus Osteuropa. Die Männer schieben anscheinend lange Schichten für Dumpinglöhne, schuften auch in der Pause oder nach Feierabend, sehen ihre Familien selten.
Es offenbart sich ein System, in dem der Druck offenbar nach unten durchgereicht wird, eine Kette, an deren Ende sich die Fahrer finden.
Flixbus ist eine Kombination aus Internetunternehmen und Fuhrbetrieb: eine Firma, deren Algorithmus den Ticketpreis bestimmt und die dann selbstständige Busunternehmen und deren Fahrer beauftragt. Ein Unternehmen, das seine Expansion vorantreibt und den Verdrängungswettbewerb, den es in Deutschland gewonnen hat, jetzt im Ausland fortführt. Das Tickets zu Kampfpreisen verkauft, über die Konkurrenten sagen: Damit lassen sich die Kosten nicht decken.
Über die Billigfahrten freuen sich die Kunden natürlich. Aber bei jedem Unfall müssen sie sich fragen: Ist das günstige Ticket durch ein höheres Risiko erkauft? Zuletzt kochte die Diskussion hoch, als im Mai ein Flixbus auf der A9 bei Leipzig verunglückte.
Bei dem Unfall starb eine Frau, neun Menschen wurden schwer verletzt, darunter auch der bisher noch nicht vernehmungsfähige Busfahrer. Die Autobahnpolizei sprach von Sekundenschlaf als mögliche Ursache, nahm das später allerdings zurück. Flixbus bekräftigte, die Busse seien sicher. Der Fahrer habe sich an die gesetzlichen Lenk- und Ruhezeiten gehalten.
Der SPIEGEL hat für diese Recherche unter anderem mehrere Fahrer begleitet und sie mithilfe eines Dolmetschers befragt. Aus Angst, ihren Job zu verlieren, wollten die Fahrer ihre Namen nicht preisgeben und schon gar nicht veröffentlicht sehen.
Anhand ihrer Erzählungen und der Auskunft von Experten und Gewerkschaftern lässt sich das System Billigbusreise nachzeichnen.
I. Die Fahrer: Das Prekariat am Steuer
Wie hart es sein kann, einen Flixbus zu steuern, lässt sich zum Beispiel in Prag erfahren. Dort sitzt ein Fahrer in seinem grellgrünen Wagen und macht Pause. Ob er Zeit habe, mit deutschen Journalisten über seine Arbeit zu sprechen? Der Tscheche lacht laut. "Alles scheiße", sagt er auf Deutsch. Erst wiegelt er ab, dann will er doch reden.
Seinen Namen möchte er nicht veröffentlicht sehen, hier soll er Jiri Horák heißen. Horák ist ein tätowierter Mittfünfziger mit braunem Haar. Er sei früher für Flixbus zwischen zwei deutschen Großstädten gefahren, erzählt er, während er mit dem Handy Passagiere eincheckt. In Deutschland habe er zwar zwischen 2000 und 2500 Euro verdient, saß aber deutlich länger hinter dem Steuer als zulässig: "200 bis 250 Stunden im Monat", sagt er - folgt man den EU-Regeln, sind maximal 180 möglich.
"Das ist ein Zirkus"
"Die deutschen Busfahrer wollten nur die kurzen Strecken fahren", sagt Horák. Deshalb habe sein Arbeitgeber immer ihn, den Tschechen, angerufen und ihn eindringlich gebeten, die langen Touren zu übernehmen. Er faltet die Hände, verzieht das Gesicht. "Bitte, bitte", fleht er auf Deutsch, mimt seinen ehemaligen Chef. Horák schüttelt den Kopf: "Das ist ein Zirkus."
Wie Horák fahren anscheinend viele Osteuropäer auf deutschen Strecken. Wie viele, lässt sich kaum sagen. Flixbus führt verständlicherweise keine Statistik über die Nationalitäten der Fahrer. Man gehe davon aus, dass ausländische Fahrer vor allem auf grenzüberschreitenden Strecken arbeiten, teilt das Unternehmen mit.
Helmut Diener, Vorsitzender des Mobilitätsverbands Mobifair, sieht das anders: "Es ist auffällig, dass immer mehr osteuropäische Fahrer eingesetzt werden." Auch die Gewerkschaft Ver.di hat einen entsprechenden Bericht veröffentlicht. In einem anmeldepflichtigen Onlineforum für Busfahrer diskutieren Fahrer darüber.
Für innerdeutsche Strecken bekämen Männer wie Horák oft nicht viel mehr als den deutschen Mindestlohn, während ihre deutschen Kollegen bei gleicher Arbeit meist besser verdienen, erzählt ein Busunternehmer, der früher Flixbus-Fahrten anbot.
Viele deutsche Unternehmen bezahlen angestellten Landsleuten regionale Tariflöhne oder sogar mehr, von zwölf bis fünfzehn Euro brutto pro Stunde spricht einer. Flixbus teilt dazu mit, dass die Gehälter wegen des Fahrermangels "in den allermeisten Fällen signifikant über dem gesetzlichen Mindestlohn" liegen und unterscheidet nach eigenen Angaben nicht zwischen deutschen und ausländischen Fahrern.
Die Osteuropäer verdienen aber offenbar häufig deutlich weniger - wenn die Touren in ihren Heimatländern starten. Sechs Fahrer berichten von Monatslöhnen in einer Spanne von 1000 bis 1700 Euro brutto. Bei einer maximal erlaubten Fahrtzeit von 180 Stunden binnen vier Wochen ergibt das einen Stundenlohn von etwa 5,60 bis 9,40 Euro.
Der Mindestlohn gilt erst ab der deutschen Grenze
Meist haben die Fahrer keinen Anspruch auf mehr Geld. Der deutsche Mindestlohn von 9,19 Euro pro Stunde muss erst ab Überschreiten der Grenze zu Deutschland gezahlt werden. Davor gelten die Mindestlöhne der Nachbarländer, in Tschechien sind das beispielsweise umgerechnet 3,11 Euro die Stunde.
Das Gehalt der Busfahrer wird bei diversen Arbeitgebern wohl auch dadurch geschmälert, dass ihre wirkliche Arbeitszeit anscheinend teilweise deutlich höher ist als die abgerechnete. In zwei Wochen dürfen Busfahrer in Europa bis zu 90 Stunden hinter dem Steuer sitzen, das sind neun oder zehn Stunden pro Tag. Doch die reichen offenbar nicht immer.
So soll es nicht nur bei Horák gewesen sein, sondern auch bei Petr Banik, einem slowenischen Fahrer, der seinen richtigen Namen ebenfalls nicht preisgeben will. Er war früher zwischen Budapest und Berlin unterwegs.
Den Bus putzen in der Pause?
"Es gab 18 Baustellen, das war ganz schwierig. Wir mussten verschiedene Tricks mit der Fahrerkarte anwenden", sagt er. Die Karte zeichnet seine Arbeitszeit auf. Der Frage, wie genau er die Technik ausgetrickst haben will, weicht er aus. Aber er sagt: "Die ein bis zwei Stunden Verspätung hat uns keiner bezahlt."
Und am Zielort? "Viele Fahrer sind mit dem Bus vor das Motel gefahren und haben ihn auf dem Parkplatz in ihrer Freizeit geputzt", sagt Banik. Auch andere berichten davon, dass sie Gepäck einladen, Passagiere einchecken, die Toilette reinigen oder den Bus vom Müll der Gäste säubern, ohne dass sie dafür bezahlt würden. Flixbus bestreitet das. Zusatztätigkeiten "fallen per Gesetz in die normale Arbeitszeit und werden auch entsprechend vergütet".
"Die Sicherheit unserer Fahrgäste und natürlich auch der Fahrer selbst hat bei uns höchste Priorität", teilt das Unternehmen mit. Interne und externe Instanzen würden die Lenk- und Ruhezeiten prüfen, deren Einhaltung Flixbus sehr wichtig sei. "Verstöße werden von uns nicht toleriert und reichen von Abmahnungen über Nachschulungen bis hin zur Sperrung eines Fahrers." Pro Halbjahr würden intern mehr als 35.000 Fahrten kontrolliert, von denen im vierten Quartal 2018 und im ersten Quartal 2019 etwa zwei Prozent auffällig gewesen seien.
Staatliche Kontrollen müssen die Fahrer kaum fürchten: Das Bundesamt für Güterverkehr prüft nach eigenen Angaben vorwiegend Lkw. Im Jahr 2018 untersuchte es demnach die Besatzung von 597 Fernbussen auf Verstöße gegen das Fahrpersonalrecht, in mehr als jedem siebten Fall beanstandete es Verstöße. Polizei und Zoll kontrollieren zwar auch, aber oft mit anderem Schwerpunkt.
Wenn Fahrer länger arbeiten als erlaubt, wie Banik und Horák behaupten, kann das ihrer Konzentration hinterm Steuer schaden. Banik sagt: "Die Fahrten wurden so geplant, dass meine Energiereserven auf der Strecke geblieben sind."
II. Der Busreisemarkt: Verdrängung, Verdrängung, Verdrängung
Der Markt der Busreisen ist umkämpft, Flixbus schlägt sich darauf sehr erfolgreich, und zwar so: Das Unternehmen erstellt das Liniennetz und setzt auch die Ticketpreise fest, es kümmert sich um das Marketing, Fahrertrainings und die Buchungsplattform.
Weltweit kooperieren nach Unternehmensangaben rund 300 Busfirmen mit Flixbus. Sie stellen die Fahrer an und legen deren Lohn fest, kaufen und warten die zwischen 430.000 und 460.000 Euro teuren Megaliner. Sie fahren also unter dem Flixbus-Logo, sind aber Subunternehmer oder, das ist der nettere Begriff, Buspartner.
Das finanzielle Risiko ist hoch. Viele beschäftigen Osteuropäer, auch weil in Deutschland Tausende Bus- und Lkw-Fahrer fehlen. Um mit ihren Flixbus-Strecken überhaupt Gewinne zu erzielen, setzen einige Buspartner offenbar außerdem auf schlechte Bezahlung und prekäre Arbeitsbedingungen.
Die Vergütung der Buspartner ist an die Ticketpreise von Flixbus gekoppelt. Flixbus behält 25 bis 30 Prozent davon, der Rest geht an die Busunternehmen. Zwar sind die Preise laut dem Forschungsinstitut IGES zuletzt gestiegen, doch gibt es berechtigte Zweifel, ob sich mit den Fahrten in Deutschland überhaupt Geld verdienen lässt.
Flixbus widerspricht diesen Zweifeln: "Trotz des harten Wettbewerbs - vor allem auch mit anderen Verkehrsträgern - hat die Profitabilität unserer mittelständischen Partner für uns ... absoluten Vorrang", teilt das Unternehmen mit. Flixbus trage außerdem das wirtschaftliche Hauptrisiko.
Gibt es noch relevante Konkurrenz?
Einer der wenigen verbliebenen Flixbus-Konkurrenten, die in Deutschland fahren, ist neben dem IC Bus der Deutschen Bahn das tschechische Unternehmen Regiojet. Es kommt nach IGES-Angaben immerhin noch fast auf einen Marktanteil von einem Prozent.
Im Heimatland Tschechien verklagt Regiojet den grünen Riesen gerade wegen unlauteren Wettbewerbs. Dort soll Flixbus aus Sicht des Konkurrenten mehr als ein Jahr lang Tickets zu Preisen angeboten haben, die die Kosten für die Fahrten nur etwa zur Hälfte deckten.
Zuvor hatte es noch Gespräche über eine Kooperation gegeben, die Flixbus bestätigt. "Flixbus sagte uns, dass sie uns aus dem Markt drängen würden, wenn wir ihr Angebot nicht zu ihren Konditionen annehmen", sagt Regiojet-Sprecher Ales Ondruj. "Das könnte man auch Erpressung nennen." Die Tschechen lehnten ab. Flixbus wollte sich auf Anfrage nicht zu den Vorwürfen äußern.
III. Flixbus: So funktioniert der grüne Riese
Flixbus gehört den drei Gründern André Schwämmlein, Jochen Engert und Daniel Krauss über ihre SEK Ventures noch zu 24 Prozent. Der größte Anteilseigner ist mit zuletzt 36 Prozent der amerikanische Finanzinvestor General Atlantic. Der Anteil soll jedoch vergangene Woche geschrumpft sein, als Permira und TCV in Flixbus investierten. Daneben sind Holtzbrinck Ventures, Silver Lake und Daimler beteiligt.
Die Geschichte der Firma ist einerseits eine enorme Erfolgsstory: Innerhalb von sechs Jahren ist sie zum europäischen Branchenführer aufgestiegen und erwirtschaftet seit 2017 in Europa Gewinn - nach manager-magazin-Informationen bei einem Umsatz von 506 Millionen Euro. Erst vor zehn Tagen soll das Unternehmen von seinen alten und neuen Investoren 500 Millionen Euro eingesammelt haben.
Andererseits kann sich Flixbus nicht auf seinen Erfolgen ausruhen: Die Passagierzahlen im deutschen Fernbusmarkt stagnieren laut dem Forschungsinstitut IGES schon seit 2016, Wachstumspotenzial gibt es vor allem auf der Schiene und im Ausland.
Deshalb expandiert das Unternehmen weiter und wirft sich in immer neue Verdrängungswettbewerbe, in Tschechien mit Regiojet, seit vergangenem Jahr mit Greyhound in den USA . Gerade erst kündigte Flixbus an, dass es 2020 in Asien und Südamerika starten und in Europa Mitfahrdienste anbieten will. Jeder neue Markt ist ein Risiko.
Expansionskurs und Gewinndruck, eine große Marke und Dutzende Subunternehmer, wenig staatliche Kontrollen und niedrige Preise: Wie viel Vertrauen können Fahrgäste da in die Sicherheitsstandards haben? Viele Kunden lesen von Unfällen und stellen sich die Frage, wie sicher die Reisen sind. Was also tun?
Die Gewerkschaft Ver.di und der Mobilitätsverband Mobifair fordern eine sogenannte Nachunternehmerhaftung, wie sie für die Paketbranche diskutiert wird und in der Bau- und Fleischwirtschaft gilt. Ihrem Vorschlag zufolge sollen Fahrtenanbieter künftig geradestehen müssen, wenn ihre Nachunternehmer, die Buspartner, gegen den Arbeitsschutz verstoßen. Dann soll die Fernbuslinien-Genehmigung für die Strecke entzogen werden.
"Flixbus muss Sorge dafür tragen, dass sich seine Nachunternehmer an die Gesetze halten", sagt Mobifair-Vorstand Diener. Denn: "Ein Arbeitszeitverstoß heißt: Der Fahrer ist unsicher unterwegs."
Die Busfahrer Banik und Horák haben ihre Touren nach Deutschland inzwischen aufgegeben und fahren nur noch innertschechisch für Flixbus. Banik würde, wenn er jünger wäre, gern wieder in Deutschland fahren. Horák sagt, er verdiene jetzt nur noch 600 Euro im Monat - wenig mehr als der tschechische Mindestlohn -, aber dafür fahre er pro Tag einmal in die Hauptstadt und wieder zurück. "Danach habe ich Feierabend."
Anmerkung: Flixbus hat nach Erscheinen dieses Textes zuvor angefragte Details zur Anzahl der internen Kontrollen der Lenk- und Ruhezeiten nachgereicht. Wir haben die Stelle im Text ergänzt.