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Näher dran

Etwa 80 junge Leute nutzen die Gelegenheit, sich selbst ein Bild von den Landtags-Direktkandidaten zu machen. Sie haken nach, wer ein Wahlrecht ab 16 befürwortet und was an den Schulen verbessert werden sollte.

Die Direktkandidaten der Landtagswahl live erleben, das wünschen sich viele der Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Raum. Es wird immer voller, kleine Grüppchen entstehen und die Neugier auf die Politiker ist vielen ins Gesicht geschrieben. "Wir können ja nicht blind wählen. Wir wollen näher dran sein", sagen Johanna und Rebekka. Obwohl die beiden 17-Jährigen noch nicht selbst wählen dürfen, möchten sie sich Anregungen für die anstehende U-18-Wahl an ihrer Schule holen. Simon hat sich bereits entschieden, wem er seine Stimme gibt: "Ich will mindestens einmal mit meinem Direktkandidaten geredet haben", sagt der 18-Jährige. Felix neben ihm möchte sich ein grobes Bild von den Parteien machen, auch er sucht den direkten Kontakt.

Genau darum geht es bei der vom Kreisjugendring und der Süddeutschen Zeitung ausgerichteten Fish-Bowl-Diskussion mit den Direktkandidaten. "Junge Leute haben oft andere Meinungen als Altwähler", erklären die SZ-Journalisten Nadja Tausche und Benjamin Reibert. Als einer der Ersten setzt sich ein Elftklässler in den Stuhlkreis und konfrontiert die Runde mit dem Schulalltag: "Ich habe Freunde, die Stilmittel aus Texten rausfiltern können und das Zehn-Finger-System nicht beherrschen." Bei Freien Wählern und Grünen macht sich spontan parteiübergreifende Einigkeit breit: So könne es nicht weitergehen, der grundlegende Umgang mit dem Computer gehöre zur Allgemeinbildung.

"45 Minuten sind zu wenig, um zu erklären, wie unser Staat funktioniert", meint ein angehender Sozialkundelehrer und fordert mehr Anerkennung für sein Fach. Florian Herrmann (CSU) stimmt ihm zu und stellt die Frage, wo dafür im Stundenplan gekürzt werden soll. Für Markus Grill (SPD) darf Sozialkunde nicht länger zu kurz kommen. Alle wollen es besser machen, wollen mehr Technik und weniger Bürokratie in den Schulen. Aber wie genau sich die Pläne umsetzen lassen, bleibt meist offen. Hier sind die Schüler näher dran als die Politiker.

Beim Thema Wahlrecht ab 16 gehen die Meinungen auseinander

Die Fragen der rund 80 Jugendlichen hören nicht auf. Eine Zwölftklässlerin bahnt sich aus den hinteren Reihen den Weg nach vorne und setzt sich auf den rot markierten Stuhl: Sie fühle sich nicht repräsentiert von der Politik. Der Jugend eine Chance geben wollen alle Parteien, doch bei der Diskussion um das Wahlrecht ab 16 gehen die Meinungen auseinander. Guido Hoyer (Linke) widerspricht der CSU-Linie, dass Volljährigkeit und Wahlrecht zurecht zusammenfallen. Auch mit 85 könne man schlecht informiert sein - nur das Alter sei kein Argument. Benno Zierer (FW) versteht beide Seiten, kann sich jedoch zu keiner klaren Haltung durchringen. "Habt Vertrauen in die jungen Leute. Man kann auch mit 16 eine Entscheidung treffen!", appelliert Johannes Becher (Grüne) schließlich an die Runde.

Gesprächsregeln aus der Grundschule im Landtagswahlkampf: Daran erinnert ein Achtklässler, als er sich das Mikrofon greift und Welten aufeinandertreffen. Auf der einen Seite spricht ein Schüler in bedrucktem T-Shirt und verwaschener Jeans den politischen Umgangston an, auf der anderen Seite hört man die geübten Antworten der Kandidaten. Zierer beklagt, dass Schulklassen mit einem schlechten Bild aus dem Landtag herausgingen - so sehr attackiere man sich in Diskussionen inzwischen. Und Grill wünscht sich ein gemeinsames Bekenntnis der Parteien gegen die Verrohung der Sprache.

Immer mehr Arme strecken sich in die Höhe. Das Thema bewegt und polarisiert die Jungwähler. Auf den Rechtsruck seiner Partei angesprochen, sieht sich Herrmann genötigt, einem Erstwähler zu antworten: "Wir bedienen uns nicht der Mittel der AfD." Die CSU bewege sich nicht nach rechts, das "politische Koordinatenspektrum" sei eher nach links gerückt. Daraufhin wirft Hoyer dem Staatsminister Realitätsblindheit vor, ein Raunen geht durchs Publikum. Die politischen Profile der Parteien werden immer stärker deutlich, das inhaltliche Tempo steigt. Die Wasserflaschen auf dem Tisch in der Mitte des Stuhlkreises leeren sich, manch einer wischt sich über die Stirn.

Das Verkehrsproblem will Kevin Neuwirth mit Fluxtaxis lösen

Was der Hambacher Forst mit der dritten Startbahn zu tun hat und weshalb "Die Partei" von einer CSU-Idee angetan ist, wird beim Thema Umwelt und Nachhaltigkeit geklärt. "Wir sind große Fans von Dorothee Bärs Flugtaxis", wirft Kevin Neuwirth in die Runde. Über den Verkehr in Freising hinwegzufliegen, sei doch eine gute Lösung. Ob dem Erdinger Moos ein ähnliches Schicksal wie dem Hambacher Forst bevorstehe, wird Becher gefragt. Die Grünen seien in dieser Sache "absolut vertrauenswürdig" und würden einen Koalitionsvertrag mit dritter Startbahn niemals akzeptieren.

Die blauen Zettel im Fischglas werden weniger, die Moderatoren ziehen die verbliebenen Themenblöcke. Beim Wohnen und Flächenfraß werden die Differenzen zwischen FDP und Linken deutlich, aber auch Jens Barschdorf (FDP) zeigt sich in der Spannungsregion München dem sozialen Wohnungsbau nicht abgeneigt und fordert: "Bauen muss billiger werden." Bei der Diskussion um die Legalisierung von Cannabis steht die CSU mit ihrem Nein eher allein da. Ein Zwischenruf aus dem Publikum ertönt: "Und was ist mit Alkohol?"

Den Jungwählern pantomimisch Rede und Antwort zu stehen, das scheint zum Schluss der Veranstaltung fast die größte Herausforderung zu sein. Felix Bergauer von der ÖDP gelingt es als Erstem, seinen Wunsch an Bayern nonverbal darzustellen. Er formt mit seinen Armen einen großen Kreis und scheint die ganze Runde in die Arme schließen zu wollen - für mehr politisches Miteinander.

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