Katharina Finke

Journalistin & Sachbuch-Autorin

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Artikel

Portugal: Alles auf einen Schlag

Die konservative Regierung in Lissabon hat dem Land einen rigiden Sparkurs verordnet, doch führt diese "griechische Lösung" bisher vor allem zu Auswanderung oder Apathie

Die Frühlingssonne kann ihnen niemand nehmen. Doch viele Gesichter wirken düster und abgespannt. Die Stimmung in Portugal lässt sich vielleicht am ehesten mit dem Slogan eines Propagandaplakates der Briten aus dem Zweiten Weltkrieg beschreiben: keep calm and carry on - ruhig bleiben und weitermachen.

Hintergrund ist die Krise im Land und das damit verbundene rigide Sparprogramm. Dazu hatte sich die portugiesische Regierung 2011 verpflichtet, um ein über drei Jahre laufendes 78-Milliarden-Euro-Rettungspaket von der EU-Kommission, der Europäischen Zentralbank (EZB) und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) bewilligt zu bekommen. Die Staatsverschuldung (mittlerweile liegt sie bei fast 102 Prozent des Bruttoinlandsproduktes/s. Übersicht), eine schrumpfende Wirtschaft (2012 wird ein Minus von über drei Prozent erwartet) und steigende Arbeitslosigkeit (derzeit 15 Prozent) lassen keine andere Wahl. Um die EU-Auflagen zu erfüllen, greift die regierende Koalition aus dem konservativen Partido Social Democrata (PSD) und dem Centro Democrático e Social - Partido Popular (CDS-PP) hart durch. „Es ist nicht fair", sagt Ana Reis, „wie es jetzt die Unter- und Mittelschichten trifft, Politiker aber nicht zur Rechenschaft gezogen werden". Damit spricht die 30-jährige Architektin vielen aus dem Herzen. Statt eine langfristige Strategie zu entwickeln, habe die Regierung nur ihre Wahlzyklen im Kopf.

Regelrecht gezwungen

Portugal hat nach der EU-Aufnahme 1986 beanspruchte Fördergelder zumeist in den öffentlichen Sektor - vorzugsweise die In­fra­struktur - investiert, zu wenig auf neue Wettbewerber aus Asien und Osteuropa reagiert und als Wirtschaftsstandort an Attraktivität verloren. Nun privatisiert Premier Pedro Passos Coelho, wo er nur kann. Der Energiekonzern EDP wurde bereits nach China verkauft, ebenso der portugiesische Anteil eines Staudamms in Mosambik. Auch die Airline TAP, der Betreiber des Stromnetzes REN, der Fernsehkanal RTP, die Eisenbahngesellschaft CP und die Bank CGD stehen zur Disposition. Wer von Ausverkauf spricht, übertreibt nicht unbedingt. Gleichzeitig werden die Einkommen im öffentlichen Dienst gekappt, es entfallen in diesem Jahr erstmals das 13. und 14. Monatsgehalt, der Kündigungsschutz wird gelockert, die steuerlichen Abgaben steigen.

„Die Maßnahmen sind zu extrem und treffen uns auf einen Schlag", beklagt sich Ana Cavaleiro, die seit über einem Jahr arbeitslos ist. Die 32-Jährige musste inzwischen genauso wie die Architektin Ana Reis ihre eigene Wohnung vermieten. Für sie als Selbstständige sei der soziale Aderlass besonders hart. Cavaleiro ergeht es kaum anders als Pensionären und Angestellten im öffentlichen Dienst. Mehr noch hat die Landbevölkerung mit der Abgabenlast zu kämpfen; in einigen Regionen beginnen die Menschen, an der Ernährung zu sparen. Allerdings gibt es nicht wenige Portugiesen, die sich mit diesem harschen Sanieren identifizieren. „Anders geht es nicht", sagt der 33-jährige João Ferreira. „Wir Portugiesen müssen zu Disziplin regelrecht gezwungen werden, sonst passiert nichts."

So zerfällt das Land in Gegner und Anhänger der Fastenkur, wie sie Ministerpräsident Coelho für geboten hält. Zwar gingen am 22. März zum dritten Generalstreik innerhalb von 16 Monaten Hunderttausende in Lissabon auf die Straßen, sodass in der Innenstadt der öffentliche Verkehr komplett eingestellt werden musste. Doch fallen einen Monat später die Plakate mit der Aufschrift „A Austeridade é arma deles. Parar é a tua!" (Sparmaßnahmen sind ihre Waffe. Beende sie selbst!) allmählich von den Wänden heruntergekommener Häuser. Viele von ihnen stehen leer. Aus dem einen oder anderen sind traurige Fado-Klänge zu hören. Von einem Aufstand des Zorns aber keine Spur.

Mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten blieb der Parlamentswahl am 5. Juni 2011 fern und verhalf so dem konservativen Partido Social Democrata zum Triumph. Damit war der Weg für dessen Anti-Krisen-Konzept geebnet. „Unsere Mentalität hat etwas mit dem Charakter des Fado zu tun", erklärt João Ferreira. „Wir jammern, haben aber kaum gelernt, etwas gegen unser Schicksal zu unternehmen."

Exodus der Zukunft

Die jüngere Generation muss nach Existenz und Arbeit im Ausland suchen, in portugiesischsprachigen Ländern wie Brasilien oder den ehemaligen Kolonien Angola und Mosambik. Auch Großbritannien und Deutschland kommen in Betracht. Im Vorjahr haben etwa 150.000 Portugiesen ihrem Land den Rücken gekehrt. Tendenz steigend. Schließlich verheißen die meisten Prognosen für die nähere Zukunft nur Düsteres.

Wirtschaftsanalysten befürchten, dass erhöhte Steuern und gekürzte Löhne statt eines Konjunkturschubs für eine Konsumblockade sorgen. Viele Portugiesen haben eine sehr unbestimmte Hoffnung auf einen Neuanfang. Entweder, indem sich jemand findet, „der alles in die Hand nimmt - doch scheint niemand in Sicht", sagt João Ferreira. „Oder die Portugiesen zeigen Solidarität und tun gemeinsam etwas für ihr Land, statt sich zurückzulehnen und abzuwarten."

Wenn die Sonne in Lissabon untergeht, passiert genau das. Die Bars sind voll mit Touristen und den Wohlbetuchten der Gesellschaft, für die sich auch in der Krise wenig geändert hat. Andere suchen Zuflucht im Kreise der Familie, lenken sich ab mit Freunden beim Wein oder mit der Volks­droge Fußball. Die Straßen sind leer, und nur die Fado-Klänge deuten an, dass noch nicht alle Portugiesen ihr Land verlassen haben und lieber versuchen, so weiterzumachen wie gehabt.

Weiter am Tropf der Euro-Retter:

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