Katharina Finke

Journalistin & Sachbuch-Autorin

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Allein am Meer

Bei Carrapateira zeigt ein Wanderweg die Costa Vicentina in ihrer ganzen Schönheit: ursprünglich, unverbaut und kaum besucht.

Mit voller Wucht krachen die Wellen an die mächtigen Felswände, die sich dem Meer entgegenstellen. Ein frischer Wind weht vom Atlantik über die kargen Büsche des Felsplateaus, zerzaust mir das Haar und bringt einen leicht salzigen Geschmack auf die Lippen. Ich wage mich noch einen Schritt vor, schaue nach unten ins tosende Wasser, nach oben in den tiefblauen Himmel, neben mich auf den schroffen Fels. Fast entfährt mir ein Schrei, nicht vor Angst, sondern vor Begeisterung ob der Naturkräfte, die hier wirken. Und ich kann nicht fassen, dass nicht mehr Menschen hierherkommen, an die Costa Vicentina, die wundersame Westküste der Algarve.

Schon ein Spaziergang fühlt sich an der Landspitze bei Carrapateira wie ein kleines Abenteuer an. Dabei ist die Piste sogar für Autos geeignet, und vorn an der Steilküste gibt es gesicherte Aussichtsplattformen. Der Blick ist fantastisch, genau wie die beiden Strände, die dieses Stück Küste umschließen: Südlich liegt die Praia do Amado, ein beliebter Surfstrand, nördlich die Praia da Bordeira. Dort können auch Vorsichtige bedenkenlos ins Wasser gehen. Denn durch die weitläufige Sandbucht fließt gemächlich ein Fluß und mündet hier ins Meer.

Je nach Wasserstand bildet sich dadurch manchmal eine kleine, von den Wellen abgeschirmte Lagune mit warmem Wasser. Man kann problemlos einen ganzen Tag an diesem Strand verbringen, nicht zuletzt, weil an der Straße nur wenig weiter landeinwärts das beste Restaurant weit und breit auf Gäste wartet. Im O Sítio do Rio serviert der nette Kellner alles, was aus dem Meer kommt, frisch gegrillt oder auch sanft im Ofen geschmort. Zum Nachtisch gönne ich mir ein doce de figo, ein köstliches Gebäck mit Feigen, trinke einen galão und bin endgültig verliebt in diesen wunderschönen, fast menschenleeren Landstrich, den wilden Westen ganz im Süden des europäischen Kontinents.

Artikel erschienen: Dezember 2013

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