In Frankfurt entfaltet die Kunst von Kenny Dunkan in dessen ersten Einzelausstellung in Deutschland unwiderstehliche Präsenz (Gekürzt auf taz.de, hier die Langfassung.)
Kenny Dunkan sieht, was die Dinge werden könnten. Ein ausgefranster Mangokern, der mit dem Best-of aus dem Baubedarf eine beinahe zwingende Symbiose eingeht. Ein Haufen Eurocentmünzen, die mit weißen Kabelbindern durchbohrt, mit Kruzifix gepaart oder übereinandergestapelt Reihungen freisetzen. Die unzähligen Perlenketten, die kostbar waren oder Ramsch (was näher liegt) – zusammen mit Fellanhängern, Spiegeln, Gurten, Haken und Stahlgliederketten ergeben sie überdimensionierte Objekte, die Räume oder Menschen schmücken könnten, beispielsweise zu Mardi Gras.
Die Assoziation Karneval wäre nicht so falsch. Auch wenn der Künstler seine Inspiration eher aus der karibischen Variante denn aus New Orleans bezieht: Dunkan ist auf der Insel Guadeloupe geboren und aufgewachsen, die örtliche Karnevalskultur hat ihn ästhetisch geprägt. Die Begabung, aus wenig Ausgangsmaterial viel zu machen, führt er auch auf die eigene Familie zurück – keine Künstler, sondern Handwerker, wie er dem Magazin „Coltesse“ erklärte. Sein Vater ein Alleskönner, der schon viele Häuser gebaut habe. Nach dem Umzug nach Paris arbeitet Dunkan als Model und als Ausstatter beim Fernsehen. Mit dem Bau von Illusionen kennt er sich also aus.
Seine erste Einzelschau in Deutschland soll einladen, verschiedene Bühnenräume im Sinne einer Gesamtinszenierung zu durchschreiten: „BIDIM BLO!“ heißt Kenny Dunkans Ausstellung in der Frankfurter basis. Ein onomatopoetischer Ausdruck aus dem Kreolischen, die vielen Werken ihre Titel gibt. Ausgerufen, wenn etwas herunterfällt, aber auch, wenn etwas oder jemand plötzlich erscheint.
Zur Einstimmung durchschreitet man eine Schleuse aus bläulichem Licht; drinnen ist die Luft getränkt von einem zitronig-cremigen Geruch. Er führt zur großen Installation, in der menschenhafte Silhouetten zwischen Objekten, Fotografien, Videobildschirm und einer skulptural aufgetragenen, weithin duftenden Stylingpaste auf einer beleuchteten Konstruktion im Raum schweben. Körperlose Hüllen, wenngleich unverschämt gut angezogen. Mit Ausnahme der Tabi-Schuhe von Margiela, die der Künstler seiner Installation ausgeborgt hat, ist die aus allerlei günstigen Materialien zusammenkonstruiert– doch alles glitzert, schimmert und leuchtet, auch die Anzugplättchen, die CURL CARE oder CURL LOVE verheißen. Das krause Haar als Umstand, den es zu lieben oder zu bändigen gilt – in jedem Falle wohl einer, der stets als Abweichung thematisiert wird.
Wie sie da so liegen im bläulichen Schein, werden Assoziationen an eine meditative Unterwasserwelt wach. Aber auch an die Krankenbetten in „Soylent Green“. Oder an die Überfahrten afrikanischer Sklaven, die auf die karibischen Inseln verschifft wurden, wo sie Frankreich durch Zwangsarbeit insbesondere in der Zuckerproduktion viel Reichtum einbrachten. Und zugleich bringt der Künstler hier kreolische Geschichten, Bräuche und Vorstellungen einer Welt ins Schwingen, die keine streng dualistische ist.
Kenny Dunkans Kunst bewahrt sich eine Ambivalenz. Wenn koloniale Themen auftauchen, dann nicht zum Abnicken oder zwecks Katharsis eines sicher gut meinenden Publikums. Sondern als unumstößlicher Fakt, der Teil der eigenen künstlerischen Erzählung wird. Das in Verruf geratene Prinzip Autorenschaft ist eben keineswegs passé. Die Geister der Vergangenheit schauen ohnehin immer wieder vorbei: Wie der SOLID BOI, Vertreter der Nèg Marron – Inselbewohner, die einst aus der Sklaverei geflohen waren und fortan als freie Menschen gegen das ausbeutende System und die französische Herrschaft im Untergrund kämpften.
Es geht Dunkan, sagt er, um das sinnliche Gesamterlebnis: Viele verschiedene Eindrücke, alles auf einmal. Skulpturale Arbeiten und Videoscreens, Rauminstallation, Wände, Beleuchtung, Geräusche und Gerüche können einbezogen werden. Die Spielfreude merkt man seiner Kunst, der oft etwas Theatralisches oder auch ein Fashion-Moment innewohnt, an. So auch den hängenden Objekten, Charms genannt, von denen einige Karnevalschmuck sein könnten und andere ebenso gut Fetisch oder Folterinstrument.
Kenny Dunkans Kunst will einnehmen statt exkludieren. Die Freiheit lässt sie auch ihrem Publikum. Unwiderstehliche Präsenz entwickelt der letzte Ausstellungsraum, der mit dramatischer Rundumtapezierung und donnerndem Sound herrlich klaustrophobisch wirkt. Eine Magmahölle, im Inneren des Vulkans? Blutrote Eingeweide oder geheimnisvolle Pflanzen? Tatsächlich sind es Vasen der Fat Lava-Ära, die der Künstler sammelt und deren rot-weiß-schwarz zerfließenden Glasuren hier im Großformat den gesamten Raum einnehmen.
Die Geräuschkulisse hat ebenfalls einen visuellen Hintergrund, den man sich hier freilich nur vorstellen kann: Beim Abtrocknen nach dem Duschen hat Dunkan das Mikro ans Handtuch gehalten – der eigener Körper, der Reibungsenergie für den Soundtrack produziert. Überhaupt bringt er sich lustvoll in die eigene Arbeit ein. Die Fassade des ehemaligen NSDAP-Gebäudes, heute Sitz des Atelierhauses basis, ziert ebenfalls eine Selbstfotografie des Künstlers: Braune Haut gegen Braunes Haus nennt er seinen bestechenden Konter.
Apropos Lust. Fast schon ironisch, wie da im Nebenraum Gewächse und Pflanzen zärtlich für die Kamera untersucht, begriffen, gestreichelt werden. Man kann darin einen selbsterfüllenden Seitenhieb auf den exotisierenden Blick finden, mit dem Bananenpflanze oder Paradiesvogelblume hier nun von ihrem Publikum jenseits der Karibik bestaunt werden. Die sechskanalige Videoarbeit, mit Spanngurten von der Decke hängend, ist Dunkans aktuellstes Werk. Aufgenommen hat er sie bei einem Heimatbesuch auf Guadeloupe. Wobei er nach 18 Jahren in Frankreich auch dort inzwischen den Blick eines Außenstehenden einnehmen kann, wie der Künstler erklärt. So sehr er die Insel vermisst, so klein und beengt empfand er das Leben dort bisweilen.
„Wenn wir über Exotismus sprechen,“ sagt Dunkan, „dann ist Frankreich für mich exotisch.“ Romantische Filmbilder aus der Stadt der Liebe trug er seit seiner Kindheit im Kopf, die nach dem Umzug nach Paris rasch von der Realität überschrieben wurden. MALFOUTI sagt man im Kreolischen, vielleicht hier eine Art Katzenjammer. Die gleichnamige Arbeit findet sich im Treppenaufgang: In kränklich gelbem Licht kreist ein kunstvoll zusammengeführter Klumpen Eiffeltürme aus dem Souvenirladen, die Spitzen zusammen, die Hohlräume nach außen gekehrt, an der Decke permanent um sich selbst.
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