Die Nicht-Identische
Über Rosemarie Trockel zu schreiben, bedeutet, ganz frei von dem üblichen Vokabular schreiben zu können, das sonst in großen Künstlerinnen-Retrospektiven oft zur Anwendung kommt: Wiederentdeckung, endlich, späte Genugtuung, im Schatten von xy [Mann einfügen], etc. pp. Aber auch, was explizit nicht ist, ist Elefant im Raum, zumindest als Idee und Vorstellung entkommt man der ex-negativo-Definition kaum. „Prisoner of Yourself“ heißt treffend denn auch das allererste Werk, dem man beim Ausstellungsrundgang begegnet: Ein die gesamte Halle umziehender Wand-Siebdruck aus feinmaschigem Muster, die Vorlage einmal Wollfäden, in einer späteren Version aus Kettengliedern.
Das Museum für Moderne Kunst (MMK) in Frankfurt zeigt Rosemarie Trockel, die gerade 70. Geburtstag feierte. Es ist die erste große Überblickausstellung seit einigen Jahren, sie wurde gemeinsam mit der Künstlerin konzipiert. Die Verbindung zwischen dem Ausstellungshaus und Trockel ist eng. Schon zur ersten Ausstellung wurde die damals noch junge Künstlerin gezeigt und gleich angekauft, heute befinden sich zahlreiche ihrer Arbeiten in der MMK-Sammlung. Ein Besuch lohnt sich allein, um die Videoarbeit „Continental Divide“ einmal in Ruhe anschauen zu können – eine Videoarbeit von 1994, in der die aufstrebende Künstlerin ihrem narzisstisch gespiegelten Alter Ego zunehmend unbeherrscht die Frage nach dem besten Künstler aller Zeiten stellt.
Trockel ist ein Art Star, der im Englischen offiziell bekanntlich kein Geschlecht kennt. Die Rankings beim Branchenportal Artfacts sprechen eine andere Sprache: Gerade drei Künstlerinnen befinden sich unter den 20 wichtigsten Namen, darunter Rosemarie Trockel. Aufgewachsen in einem kunstfernen Haus, ohne Museumsbesuche, hat sie den Ausstellungsraum nach einem Studium an den Kölner Werkschulen und Begegnung mit insbesondere US-amerikanischen Künstlerinnen, darunter auch Sherman, rasch erobert. Das Rampenlicht scheut sie und erklärt ihre Kunst auch öffentlich kaum.
Das Kolorit der westdeutsche Nachkriegs-BRD blitzt früh in den Arbeiten der 1952 in Schwerte geborenen Künstlerin auf. Auch im lakonischen Wortwitz, der Trockels gesamtes Werk durchzieht. „Leichtes Unbehagen 1 & 2“ titeln zwei ausgestellte Bücher, „Ich kann über meine Filme nur lachen“ ein Text über einem Kinderfoto der Künstlerin, „TOLL D A S S DU NICHT K O M M S T“ in zweifacher Ausführung ein Print mit dem lässig telefonierenden Franz Josef Strauß.
Wie ungewöhnlich Rosemarie Trockels Wirken noch heute erscheinen kann, wo sie doch eigentlich so viele andere längst mitgeprägt hat, erzählt MMK-Direktorin und Ausstellungskuratorin Susanne Pfeffer in einer Anekdote. „Oh, it looks like a group show!“, bemerkte demnach ein junger Städelschüler, der zum Aufbau im Museum mithalf, ob der unterschiedlichen Arbeiten erstaunt – das Ganze schaue aus wie eine Gruppenausstellung. Trockels Branding war stets, keines zu haben. Oder eher, ihm immer wieder ob eigener Unterforderung, Genervtheit, aber auch List erfolgreich zu entkommen.
Ein paar Bildikonen sind natürlich trotzdem nicht zu vermeiden. Im Erdgeschoss, spitzer Winkel ganz vor Kopf, wurde schwarzer Teppich verlegt. In schmusiger Atmo haucht eine Frauenstimme „Mr. Sun“ zur Hausarbeit-Videoarbeit in den Raum, an den Wänden hängen Trockels berühmte Strickbilder und Herdplatten-Reliefs. Die ausschließlich maschinell gefertigten Strickbilder waren Kommentar aufs immer noch manifeste Frauen- und ergo Künstlerinnenbild ihrer Zeit, zugleich steckt in ihnen die geballte Kraft nachkriegsdeutscher Emsigkeit und Wirtschaftswunderfreuden. Wollmark, Made in West Germany.
Überhaupt, die Hausarbeit! Und „Frauenarbeit“. Und „Care-Arbeit“. Sie taucht dann doch immer wieder auf im Oeuvre der Künstlerin, auch später, als sie schon keine Strickbilder mehr anfertigen wollte. Wie die Grater, überdimensionierte, platinierte Keramiken, die an messerscharfe Reiben erinnern. Ebenfalls im oberen Stock warten weitere Variationen mit Herdplatten in unterschiedlicher Anzahl und Anordnung, dazu ein großes Ausrufungszeichen: „Bitte nicht berühren. Die Platten sind heiß.“
Trockels Kunst kann urkomisch sein, aber sie wartet nicht auf das gemeinsame, verbindende, befreiende Lachen, das bekanntlich rasch zum überlegenen Auslachen geriert. Im Gegenteil scheint sie eine Identitätsstiftung geradewegs zu durchkreuzen (und zwar auch im bestgemeinten, in welcher Form auch immer – istischen Sinne). Präzise seziert sie die Ordnungen und Kategorien heraus, in denen wir agieren, Fetische ausbilden, andere in ihre Assets und Elemente zu zerlegen suchen. Und zugleich ist sie als Künstlerin natürlich selbst mit kennerhaftem Fetischblick ausgestattet, bringt die Einzelteile mit wohligem Grusel zusammen (in „Daddys striptease room“ versteckt sich modellbauerisch der Kölner Dom) und die Motive und Materialien in Kombinationen, die noch immer ungeheuer anziehend wirken. So gesellt sich üppiger weißer Keramikguss auf händisch geformte „Clock Owner“, und die großen, neuen Bildwände vereinen BRD und USA, Warhol-Gags und german Wortwitz, Pop- und Warenwelt, Kunstbetrieb und Wladimir Putin.
In Rosemarie Trockels Werk findet sich aber nicht nur ein cooler, sondern auch ein ausgesprochen zugewandt-beobachtender Blick. Der trifft jedenfalls die Tiere um uns, denen sich die Künstlerin regelmäßig in verschiedensten Formaten widmet. Zu sehen beispielsweise in den feinsinnig gezeichneten Affen-Porträts, die in einem blau getünchten Raum wie eine klassische Kabinettausstellung präsentiert werden.
Zwischen Arbeiten von 1970 bis heute, von XXL bis XXS und von Keramik über Zeichnung und Collage widersteht die Schau größtenteils der Versuchung, dann doch noch einen irgendwie gearteten Markenkern herauszustellen. Allenfalls den, sich mit wenig gemein zu machen - im Zweifel nicht mal mit sich selbst. Deshalb erscheint ihre Kunst so frei, wie es Kunst im besten Falle sein kann, auch heute noch, wo sie längst gründlichst in den Kanon eingetütet wurde. Zu sehen auch an den Reaktionen einiger junger Kunstmenschen, vielleicht von der Städelschule, die zur Eröffnung angetan über die Arbeiten der Künstlerin diskutieren.
Wie fragt schließlich Rosemarie Trockels dann doch noch einmal Strickbild so schön, das einen Kilometer Luftlinie entfernt in der Gegenwartssammlung des Städels hängt, und fragt dies schon seit 1988 im eingefrorenen Trendbewusstsein: „Who Will Be In In 99?“ Inzwischen gäbe es Antworten, aber die interessieren natürlich gar nicht wirklich. Auch Corona und den hiermit verbundenen Verschiebungen ist es geschuldet, dass sich jetzt eine interessante Ausstellungschronologie im Flaggschiff für moderne Kunst ergeben hat. Neulich noch Marcel Duchamp, jetzt Rosemarie Trockel: Das macht natürlich absolut Sinn.
[Gekürzte Fassung auf taz.de.]