»Inglorious Basterds«, Lilith und die X-Men: Eine Ausstellung im Jüdischen Museum Frankfurt spürt so plakativ wie ambivalent der realen und fiktiven Rache in der jüdischen Kulturgeschichte nach.
Vor einem blauen Samtvorhang schwebt ein Baseball-Schläger im Raum, aufgebahrt wie ein kostbares Exponat aus vergangenen Jahrhunderten. Blitzlicht-Stroboskopgewitter, Geräusche von Luftschlägen und ein Soundtrack aus Western-Duell-Musik machen die cineastische Inszenierung perfekt.
Es ist die Waffe des "Bear Jew", des "Bärenjuden" aus Quentin Tarantinos "Inglorious Basterds", die hier als Requisit ausgestellt wird. Ihr Anblick ruft sofort Erinnerungen an die kollektive Freude im Kinosaal wach, als die Nazi-Bösewichte auf den Deckel bekamen - in einer Art filmischen Wiedergutmachung, die hemmungslos rachsüchtig sein durfte, auch weil die tatsächlichen historischen Ereignisse bekanntlich völlig anders verlaufen sind.
Mit diesen Überlegungen über nachträgliche, präventive und frei erfundene Vergeltung befindet man sich schon mitten im Kern der Ausstellung: "Rache. Fantasie und Geschichte" im Jüdischen Museum Frankfurt. Sie spürt der Rache in der jüdischen Kulturgeschichte nach, von rabbinischen Schriften und biblischen Geschichten über wahre Begebenheiten bis zu solcherlei popkulturellen Erzählungen in Film oder Comic. Co-kuratiert wurde die Schau vom Schriftsteller Max Czollek, der auch die Idee zur Ausstellung lieferte.
Im gesamten Ausstellungsparcours hängen Sprechblasen mit Zwiegesprächen zwischen dem (hier namenlosen) Kurator und der Direktorin des Hauses, Mirjam Wenzel. Eine Art Meta-Text: Ist jetzt überhaupt eine gute Zeit für eine Ausstellung, die solche durchwachsenen Gefühle mit sich bringt? Sind Rachefantasien legitimes Empowerment für die Entrechteten oder nicht?
In rabbinischen Schriften, die hier ausgestellt sind, wird Gott um Vergeltung für erlebtes Leid wie Vertreibung gebeten. Das ist bemerkenswert, denn auch hier geht es offenbar gerade nicht um tatsächliche, von Menschen ausgeführte Racheakte, sondern um eine Form von Fiktion (deren Erfüllung man sich freilich zumindest erhofft).
Keine falsche VorsichtDabei haben sich die Ausstellungsmacher keine falsche Vorsicht erlaubt und auch ambivalente Figuren sowie erfundene Geschichten aufgenommen. Oft genug boten solche antijudaistischen Projektionen einen Vorwand für eigene Gewaltwünsche der christlichen Mehrheitsgesellschaft. Klappt man einen Kasten mit "FAKE NEWS"-Schriftzug auf, findet man darin die Ritualmordlegende, die bis heute in abgewandelter Form fröhliche Verbreitung in Verschwörungstheorien aller Art feiert - von einschlägigen Fernsehsendungen im Nahen Osten über manche Impfgegner-Erzählung bis zur reichlich durchgeknallten "Pizza Gate"-Legende.
"Rache. Fantasie und Geschichte" stellt Figuren in den Fokus, die viele Besucherinnen und Besucher zum ersten Mal kennenlernen dürften: Die jüdische Mafia der "Kosher Nostra" zum Beispiel oder die "Minutemen", eine Gruppe von Boxern aus New Jersey, die sich der wachsenden Nationalsozialismus-Bewegung unter insbesondere deutschstämmigen Amerikanerinnen und Amerikanern in den Dreißigerjahren des 20. Jahrhunderts auch mit körperlichem Einsatz entgegenstellten.
Oder Lilith, der Erzählung nach erste Frau Adams: Nach ihrer Vertreibung aus dem Paradies schwor sie, Rache zu nehmen an ihrem Ex-Mann wie an neugeborenen Jungen. Eine Figur, die gerade in den USA zur jüdisch-feministischen Ikone umgedeutet wurde und auch als Comic-Heldin Erfolge feierte.
Würde man ein wenig über den Zweiten Weltkrieg hinausgehen, dann hätte man natürlich eigentlich noch weitere Geschichten und Figuren erwähnen müssen: Georg Kreisler zum Beispiel - keiner hat je so unversöhnlich böse und zugleich unterhaltsam über Judenhass gesungen wie der Wiener Komponist.
Vergessene RächerInteressanterweise wurde und wird Jüdinnen und Juden ja gern beides vorgeworfen: Übermäßig rachsüchtig zu sein, und sich während des Nationalsozialismus in Deutschland nicht ausreichend zur Wehr gesetzt zu haben. Wer darf Rache zeigen und wen erinnert man als Rächer der Enterbten?
Während Schauspieler Tom Cruise mit dem "Bambi Courage" ausgezeichnet wurde, weil er den späten Hitler-Attentäter Stauffenberg in einem Film verkörpert und jenen Film auf den Weg gebracht hatte, ist David Frankfurters Name den meisten Menschen hierzulande wohl fremd. 1936 verübte Frankfurter als Reaktion auf die zunehmende Drangsalierung jüdischer Menschen durch die Nationalsozialisten ein Attentat auf den Landesgruppenleiter der NSDAP-Auslandsorganisation (AO) in der Schweiz, Wilhelm Gustloff. Dessen Autobiografie ist gut bekannt, Frankfurters Memoiren sind bis heute nicht in deutscher Sprache erschienen.
Versöhnlich ist die Ausstellung also keineswegs. "Was kann daran befriedigend sein", antwortet Chaim Miller, der als Teil der Jewish Brigade in der British Army hochdekorierte Nationalsozialisten in gezielten Racheakten festgenommen und nach Befragung getötet hat, auf die Frage nach Genugtuung, "so viele meiner Freunde, Verwandten, Bekannten wurden umgebracht".
Wiedergutmachung im realen Sinne kann es demnach nicht geben. Zahlreiche Stimmen von Shoah-Opfern sind plakatiert, die ihren Familien letzte Briefe geschrieben haben, bevor sie ermordet wurden: "Lebt wohl, lasset es Euch recht gut gehen und wenn ihr könnt, dann nehmt einst Rache."
Spielend Rache nehmenEine befreiende Katharsis bleibt aus. Das Blut, das der titelgebenden Rache von allen Buchstaben tropft, ist nicht rot, sondern pink. "Rache. Geschichte und Fantasie" zelebriert die Kraft der Fiktion als Mittel der Ermächtigung, fragt aber auch nach der Möglichkeit realer Wiedergutmachung: Am Ende des Rundgangs lädt das 1992 veröffentlichte Videospiel "Wolfenstein 3D" zur fiktiven Rache an Nazi-Bösewichten.
In Deutschland stand das Game jahrzehntelang auf dem Index. Die bemerkenswerte Begründung liefert die ultimative Schlusspointe: Nicht etwa der Hakenkreuze oder des Horst-Wessel-Lieds wegen wurde das Spiel seinerzeit verboten, sondern aufgrund "der Verherrlichung von Selbstjustiz".
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