2 Abos und 4 Abonnenten
Artikel

Aladdin in der Pappmaché-LSD-Hölle

Alad­din is back: Der edle Adelige aus dem Morgen­land sucht seine auffal­lend phal­lisch geschwun­gene Wunder­lampe nun als Verkör­pe­rung eines jüdi­schen Singer-Song­wri­ters (einst einer der liebs­ten der Bundes­re­pu­blik) in einer grell­bun­ten Papp­maché-Hölle, die jede Disney-Adap­tion vor Neid zu einem Schwarz-Weiß-Strei­fen aus den Zeiten des Wirt­schafts­wun­ders erblas­sen lassen muss. Der orien­ta­li­schen Wüste Karg­heit lässt er zu Guns­ten einer Schluch­ten­schlacht aus Hoch­häu­sern und Stra­ßen hinter sich, in denen immer Video­spiel­zeit ist, immer Studio­be­leuch­tung herrscht. Ach ja, are you inte­rested in music?

Der groß­ar­tig beknack­ten Wand­lun­gen und Szene­rien sind derer noch lange nicht genug: Die ausge­spro­chen freie Inter­pre­ta­tion der 1001-Nacht-Sage präsen­tiert einen korrup­ten Sultan und eine dysfunk­tio­nale Fami­lie irgendwo im Nirgendwo der endlo­sen Staa­ten, deren Attri­bute Alad­din-Darstel­ler und Filme­ma­cher Adam Green ausstat­tungs­tech­nisch auf die eben beschrie­be­nen Leucht­re­kla­men und Video­spiel­höl­len, Endlos­fens­ter­rei­hen und Stra­ßen extra­hiert. Dazwi­schen trägt man gern histo­ri­sche Uniform­ja­cken, malt Protest­schil­der gegen die C.I.A., trifft sich in schum­me­ri­gen Bars und befum­melt sich an den Papp­maché-Brüs­ten.

Ein talentierter Freundeskreis

Der Cast für dieses mindes­tens optisch drogen­ge­schwän­gerte, in jedem Fall aber reich­lich Psycho­ana­lyse, Comics und Traum­deu­tung zitie­rende Epos umfasst mit berühm­ten und einst­mals als Kinder­star berühm­ten Schau­spie­lern wie Nata­sha Lyonne und Macau­lay Culkin, einer ganzen Riege von Artstars wie Har Mar Super­star (der vor rund einem Jahr­zehnt mal halb­nackt vor den Strokes auftrat) oder Jack Dishel und Künst­lern wie Fran­cesco Clemente einen guten Ausschnitt aus Greens benei­dens­wert talen­tier­tem Freun­des- und Bekann­ten­kreis.

Apro­pos Clemente: So wie einst jener mit Jean-Michel Basquiat und Andy Warhol zur künst­le­ri­schen Ménage à trois fusio­nierte, arbei­tete Adam Green in den letz­ten Jahren immer wieder mit seinem Anti­folk-Kolle­gen aus frühe­ren Tagen, Toby Goods­hank, und Macau­lay Culkin als Kunst­kol­lek­tiv 3MB zusam­men, wobei dann unter ande­rem so etwas wie eine Art Brut zitie­rende Version der Dogs Play­ing Poker-Serie heraus­kam. Und auch damit wäre sein künst­le­ri­scher Output der letz­ten Jahre, der im Gegen­satz zum musi­ka­li­schen und kurz auch lite­ra­ri­schen davor deut­lich weni­ger Beach­tung erfuhr, längst nicht voll­stän­dig skiz­ziert: Insbe­son­dere Comi­cka­ter Garfield diente Adam Green als wich­tige Inspi­ra­tion für Bilder, Skiz­zen und Skulp­tu­ren, die er anfangs noch in seinem Apart­ment abfo­to­gra­fierte und auf sein dama­li­ges Blog stellte.

Durch Crowdfunding finanziert

Türme aus oran­ge­far­be­nem Papp­maché, knuffige Kater­ba­cken mit Schnurr­bart­haar­ein­ker­bun­gen ohne Schnurr­bart­haare und der phleg­ma­ti­sche Blick mit den halb geschlos­se­nen Comic-Augen­li­dern waren da zu sehen, und immer wieder auch die Freunde und Bekann­ten, die mit Kleis­ter und Papier­fet­zen am Aufbau der Papp­maché-Plas­ti­ken behilf­lich waren, welche dann wiederum in diver­sen New Yorker Gale­rien ausge­stellt wurden. Und nun nach dem 2011 als Online-Version heraus­ge­brach­ten „The Wrong Ferarri“ also schon der zweite Spiel­film, durch Crowd­fun­ding finan­ziert, die selbst­ge­bau­ten Sets in einem der typi­schen Brook­ly­ner Fabrik­hal­len aufge­nom­men und nach Abdreh in der renom­mier­ten Fonda­tion Beye­ler ausge­stellt.

Wer Mr. Green also als etwas toll­pat­schi­gen Indie-Barden, Mädchen­schwarm und insbe­son­dere deutsch­spra­chi­ges Feuille­ton-Lieb­ling längst ad acta gelegt hatte, der darf sich mit „Alad­din“ gern eines Besse­ren beleh­ren lassen: Die Vorstel­lungs­kraft des New Yorkers reicht offen­bar mehr­mals um den gesam­ten Erdball, bis ins Welt­all und durch die Tiefen von Cortex und limbi­schem System (oder wo die Neuro­bio­lo­gie Träume künf­tig verord­nen mag).

Fellini on Ketamine

Ob drogen­in­du­ziert oder nicht, spielt für das Ergeb­nis keine Rolle, auch wenn Green mit der Kritik seines Vorgän­ger-Spiel­films „The wrong Ferarri“, komplett auf einem iPhone und nach Selbst­aus­sage unter reich­lich Einfluss eines ganz bestimm­ten Betäu­bungs­mit­tels gedreht, gern Werbung für das aktu­elle Werk macht. Voilà: Ketamin, das als Anäs­the­ti­kum heute vorran­gig in der Tier­me­di­zin einge­setzt wird und das mit seinen Verspre­chun­gen von der Reise ins meta­phy­si­sche „K-Hole“ LSD als Psyche­de­li­kum längst den Rang abge­lau­fen hat. „Fellini on Ketamine“ titelte also einst folge­rich­tig der Rolling Stone über das Debüt und titelt nun Adam Green für seinen neuen Film.

Schon im falschen Ferarri (sic!) ließ Green zum Beispiel Macau­lay Culkin als Super-Mario durch Video­spiele aus Papp­maché rasen oder das für seinen trau­ri­gen Blick berühmte It-Girl Cory Kennedy aus einer eben­sol­chen Wiese auf einen Mann im Plüsch­kos­tüm tref­fen. Auch hatten weni­ger bekannte New Yorker wie Musi­ker und Comic­zeich­ner Jeffrey Lewis und Band­kol­le­gen kurze Auftritte, wurden histo­ri­sche Unifor­men und Hüte getra­gen und ein wenig unap­pe­tit­li­che Szenen mit mensch­li­chen Körper­öff­nun­gen einge­bracht.

Hyper-sinnlich, poetisch und humorvoll

„Alad­din“ dürfte zumin­dest visu­ell noch einmal eine gute Stei­ge­rung des Vorgän­gers sein, der stel­len­weise doch ganz bewusst ausge­spro­chen spröde daher­kam, und die eine niemals abrei­ßende Asso­zia­ti­ons­kette kreieren­den Gaga-Dada-Einfälle auf ein tech­nisch zumin­dest etwas anspruchs­vol­le­res Level hieven. Oder, um es mit den Worten des Künst­lers zu sagen: „Es ist eine hyper-sinn­li­che, poeti­sche und humor­volle moderne Version der klas­si­schen 1001-Nacht-Geschichte,“ in der, so Green weiter, seine eigene symbo­li­sche Vorstel­lungs­kraft weiter erforscht werde und in der er spiele „wie eine Alejan­dro Jodo­row­sky-Version von Alad­din“, die Dialoge so tempo­reich wie das Fantasy-Video­spiel Xavier: Rene­gade Angel oder South Park. Viel mehr kann man sich von einem Kunst-/Expe­ri­men­tal-/DIY-/Spiel-Film nicht verspre­chen.


Zum Original