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Essays sind eine eigenartige Gattung. Der Essayist Brian Dillon beschreibt sie als "eine Form, die gleichermaßen lehrt, verführt und verblüfft." Es gibt verschiedene Arten: das literarische Essay oder das wissenschaftliche Essay. Und irgendwo zwischen diesen beiden Polen bewegen sich die Texte von Siri Hustvedt in "Eine Frau schaut auf Männer, die auf Frauen schauen". Ihr erklärtes Ziel: Eine Brücke zwischen diesen Polen zu schlagen.
Aus "Eine Frau schaut auf Männer, die auf Frauen schauen" "Seit langen Jahren schon sehe ich mein Geistesleben schon deshalb auf viele Weisen zerteilt, weil ich in Disziplinen eingetaucht bin, die nicht nur ein unterschiedliches Vokabular benutzen, sondern auch auf verschiedenen Paradigmen beruhen und verschiedene Methoden anwenden, um die große Frage zu verstehen, die mich am meisten interessiert: Was sind wir?"
Wer Hustvedts Texte liest merkt schnell: Wir sind vor allem kompliziert, eine klare Antwort auf die Frage, die sie am meisten interessiert gibt es nicht. Es hilft nur, sich immer wieder eine Perspektive auszusuchen und aus der zu beobachten. Im ersten Teil von "Eine Frau schaut auf Männer, die auf Frauen schauen" ist das vor allem die Perspektive Geschlecht. Da finden sich hauptsächlich Texte über Kunst: Fotografien von Robert Mapplethorpe oder die Skulpturen von Louise Bourgeois oder das Werk von Anselm Kiefer. Der zweite Teil beschäftigt sich dann mit der Frage nach dem Menschsein. Er trägt die Überschrift: "Was sind wir?" Beide Themen geht Hustvedt auf eine Art und Weise an, die sie selbst in der Einführung am besten beschreibt:
Aus "Eine Frau schaut auf Männer, die auf Frauen schauen" "Ich liebe Kunst, Geistes- und Naturwissenschaften. Ich bin Schriftstellerin und Feministin. Ich bin auch eine leidenschaftliche Leserin, deren Ansichten durch die Bücher und Aufsätze aus vielen Bereichen, die zu meinem täglichen Leseleben gehören, ständig verändert und modifiziert wurden und werden."
Als Essayistin geht Hustvedt mit kühler Brillanz vor. Die schiere Breite ihrer Betrachtungen beeindruckt. Am besten werden die Texte aber immer dann, wenn Hustvedt ihre Erkenntnisse in Bezug zu sich selbst setzt. Die Frage nach dem Selbst ist es dann auch, die die beiden Teile des Buchs miteinander verbindet.
Aus "Eine Frau schaut auf Männer, die auf Frauen schauen" "Die Wahrnehmung des Selbst als Seiendes in der Zeit, als eine Person mit Vergangenheit und Zukunft, deren Geschichte gegenüber anderen in symbolisch-narrativer Form artikuliert werden kann, ist einzig dem Menschen vorbehalten und beruht auf der Fähigkeit, das Selbst als Anderen zu sehen."
Es ist diese Fähigkeit, die uns laut Hustvedt erlaubt, zu schreiben, Kunst zu machen oder auch Selbstmord zu begehen. Sich selbst als anderen betrachten können ist für Hustvedt der Kern des Menschen. Wie das aber genau funktioniert, das ist völlig unklar. Jede Disziplin, derer sich Hustvedt bedient erhebt alleinigen Anspruch auf die Antwort, aber keine kann sie abschließend liefern. Dass diese psychologischen und neurowissenschaftlichen Fragestellungen dann auch wieder ganz konkret etwas mit uns zu tun haben, zeigen Texte wie etwa "Haarspaltereien über Haare". Ausgehend von der ganz alltäglichen Situation des Haarekämmens entführt uns Hustvedt in eine Kulturgeschichte des weiblichen Haares:
"Es wächst an der Grenze zwischen Person und Welt. Wie Mary Douglas in 'Reinheit und Gefährdung' behauptet, sind Stoffe, die die Grenzen des Körpers überschreiten, Zeichen für Unordnung und können leicht Verunreinigungen werden. Auf unserem Kopf festgewachsenes Haar ist ein Teil von uns, aber Haar, das nach einer Haarwäsche den Duschabfluss verstopft, ist Abfall."
Es gibt aber auch Stellen, an denen macht es Hustvedt einem nicht so leicht. Da stolpert sie dann ein wenig über ihre Brillanz. Sie selbst fasst ihr Dilemma in dieser Hinsicht wohl am besten zusammen:
Aus "Eine Frau schaut auf Männer, die auf Frauen schauen" "Es ist nämlich so: Je mehr ich weiß, desto mehr Fragen habe ich. Je mehr Fragen ich habe, desto mehr lese ich, und dieses Lesen bringt weitere Fragen hervor. Es hört nie auf."
"Eine Frau schaut auf Männer, die auf Frauen schauen" ist eine spannende Suche nach Antworten auf die Frage, wer wir sind und was uns als Menschen ausmacht. In bester Essay-Manier findet Siri Hustvedt dabei keine Antworten, sondern bessere, schärfer formulierte Fragen. Und sie lehrt, verführt und verblüfft.
Informationen zum Buch: Siri Hustvedt: "Eine Frau schaut auf Männer, die auf Frauen schauen" Essays über Kunst, Geschlecht und Geist" Erschienen im Rowohlt Verlag 528 Seiten, 26 Euro ISBN: 978-3498030315
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 30. April 2019 | 11:15 Uhr
Zuletzt aktualisiert: 30. April 2019, 04:00 Uhr