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Internet-Kritiker Jaron Lanier: „Für mich ist KI Code und keine neue Lebensform"

Jaron Lanier am Montagabend in Berlin. Foto: Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung/Jens Jeske

Während seiner Rede miaut plötzlich sein Handy. Hastig schaltet Jaron Lanier das lila Smartphone aus. Der Klingelton käme von einer Katze mit dem Namen Potato, die dafür ein Extra-Leckerli bekam, erklärt der Technik-Visionär mit den Rastazöpfen später. „Ich möchte ja nicht die Daten einer Katze stehlen!"

Lanier gehört zu den einflussreichsten Kritikern von Tech-Unternehmen wie Facebook und Google, denen er Meinungs- und Wählermanipulation vorwirft. Am vergangenen Montagabend hielt er im Allianz Forum am Pariser Platz die Willy Brandt Lecture 2018 zu der Frage: „Wem sollte die Zivilisation dienen?"

„Für mich ist KI keine neue Lebensform."

Während des Vortrags wird schnell klar, dass die Frage nicht so leicht zu beantworten ist. Lanier kommt wie ein Philosoph oder Cyber-Guru daher, wenn er mit sanfter Stimme seine Zuhörer auffordert, sich einen Kreis der Empathie vorzustellen. Alles, was sich in dem Kreis befände, verdiene Empathie. Wer kein Rassist oder Homophober sei, zähle alle Menschen hinzu. Bakterien gehörten eindeutig nicht in den Kreis, aber was sei mit anderen Tieren oder mit Föten? Ab da wird es schwierig.

In letzter Zeit dominierte unter den Tech-Firmen die Idee, Künstliche Intelligenz in den Empathie-Kreis mit aufzunehmen, erzählt Lanier, der selbst für Microsoft arbeitet. „Maschinen als etwas Lebendiges zu behandeln ist absurd", findet der Informatiker. „Für mich ist KI einfach Code und keine neue Lebensform."

Fake-Personen und Bots verfälschen das Meinungs- und Stimmungsbild

KI wurde zu einem Fetischobjekt der Tech-Community, so Lanier. Viele sähen darin die Lösung aller Probleme der Zukunft. „Wenn ich KI höre, dann höre ich Diebstahl", so Lanier. Wie es soweit kommen konnte, dass Firmen wie Facebook immer gieriger nach Daten geiern, dafür nennt Lanier viele Gründe: KI bedeutet Geld, Macht, aber auch eine Art Religion. Die Nerd-Imperialisten würden sich wie Könige fühlen, im Glauben sie täten das Richtige. Hinzu komme ein Hippie-Sozialismus, nach dem alles für alle umsonst sein soll.

Um den Algorithmus immer weiter zu füttern, beobachten die Macher ihre Nutzer, sammeln ihre Daten und animieren sie durch Content zu noch mehr Interaktion. Fake-Personen und Bots verfälschen das Meinungs- und Stimmungsbild - eine Gefahr für die Demokratie. Eine bessere Alternative stellt für Lanier ein Bezahlmodell wie das von Netflix dar. „Sobald Menschen sich daran gewöhnt haben, für etwas zu zahlen, schätzen sie es auch viel mehr wert."

Seine Warnrufe sind deshalb so eindringlich, weil er selbst ein Insider des Silicon Valley ist. Lanier gilt als Vater der Virtuellen Realität: Er hat die VR-Brille und den Datenhandschuh erfunden. Für viele sei es schwer, aus sozialen Netzwerken auszutreten, so Lanier - zu groß sei die Abhängigkeit. Aber es reiche, wenn eine kleine Anzahl von Leuten sich außerhalb des Systems befände, um etwas zu verändern. „Wir kamen als Gesellschaft letztendlich auch zu der Entscheidung, nicht überall Zigarettenqualm haben zu wollen." Die Regierung müsse die Probleme auf fundamentale Weise angehen, findet Lanier und fordert konkret: „Wir müssen das Business-Modell der Manipulation loswerden."


von Julika Bickel

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