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"Religion ist eine tragende Kraft"

Von links: Volker Gerhardt, Stephan Schaede, Hamideh Mohagheghi

Hamideh Mohagheghi erklärt, warum der Islam keinen Martin Luther braucht


Die Frage „Religion unter Reformdruck?“ hört sich eigentlich spannend an. Die Diskussionsrunde, die sich dieser Frage widmete, scheiterte jedoch aus drei Gründen: Erstens, eine der drei TeilnehmerInnen, Petra Bahr, eine evangelische Pfarrerin und Theologin, erschien erst gar nicht. Zweitens, der namhafte Philosoph Volker Gerhardt begnügte sich mit eher vagen Impulsen. Drittens, der Moderator Stephan Schaede stellte tastende, mitunter trockene Fragen. Einzig wegen Hamideh Mohagheghi lohnte es sich zu bleiben. Mohagheghi ist eine der wichtigsten islamischen Theologinnen für den interreligiösen Dialog in Deutschland. Sie gab selbst auf unklare Fragen noch kluge und pointierte Antworten.


Mohagheghi erzählte, wie sie sich immer wieder anhören muss, dass der Islam keine Reformation erfahren habe und dringend jemanden wie Luther brauche. Diese Leute, so Mohagheghi, hätten einfach keine Ahnung vom Islam. Jede Religion, nicht nur der Islam, werde immer wieder mit neuen Fragen konfrontiert. Es bestehe ein ständiger Antwortdruck. Dabei gäbe es sowohl einen äußeren wie auch einen inneren Druck: Von außen kämen Anfragen von Nicht-Muslimen, die Muslime herausforderten, sich und ihre Religion zu erklären. Von innen kämen vor allem Fragen von jungen Muslimen. „Sie geben sich nicht mit frommen Sprüchen zufrieden“, sagte Mohagheghi, „sondern suchen nach einer Perspektive für ihr Leben.“ Es sei wichtig, den Jugendlichen zu zeigen, welche Wege der Islam ihnen bieten kann. In Religionsplurarität sieht sie eine Chance: Durch Begegnungen mit anderen hinterfragen wir unsere eigenen Grundsätze und werden in unserem Glauben fester, so Mahagheghi. „Man denkt über Sachen nach, über die man sich vorher nie Gedanken gemacht hat. Man kommt durch den interreligiösen Dialog seinem eigenen Glauben näher.“


Leider durften die Zuschauer im Anschluss keine Fragen stellen – wie bedauerlicherweise bei vielen Veranstaltungen des Symposiums. Auf dem Weg nach draußen konnte ich sie zum Glück noch abfangen und fragte: „Was genau antworten Sie muslimischen Jugendlichen? Was kann Religion den Menschen geben, was Ethik nicht kann?“ Sie sagte: „Religion kann einen in schweren Situationen tragen. Das kann Ethik nicht. Ethik sagt mir, wie ich handeln soll. Religion ist eine tragende Kraft, die mir innere Sicherheit und Zuversicht gibt.“ Gerne hätte ich auch Volker Gerhardt die Frage nach dem Sinn von Religion gestellt. Er hatte erzählt, dass er aus der Kirche ausgetreten und viele Jahre später wieder eingetreten sei. Ich hätte gerne mehr über diesen persönlichen Wandel erfahren. Doch Volker Gerhardt war bereits mit dem Taxi entschwunden.


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