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Stimmabgabe am Schabbat

Wirtschaft, Flüchtlingspolitik und Bildung gehören zu den meist diskutierten Themen in Australiens Wahlkampf. Doch fast noch mehr im Vordergrund als Inhalte stehen die Spitzenkandidaten – die beide nicht sehr beliebt sind. Behalten Umfragen recht, wird sich Tony Abbotts konservative Koalition (Liberals) am Samstag gegen den amtierenden Premierminister Kevin Rudd (Labor) durchsetzen. Rudd hatte zwar 2007 die Wahlen gewonnen, war jedoch 2010 von seiner Stellvertreterin Julia Gillard aus dem Amt gedrängt worden. Erst vor drei Monaten wechselte Labor in einem spektakulären Coup wiederum Rudd gegen Gillard aus.

JOM KIPPUR Ursprünglich sollte in Australien eine Woche später gewählt werden: an Jom Kippur. Das missfiel nicht nur dem Rat für Australisch-Israelische und Jüdische Angelegenheiten (AIJAC). Michael Danby, jüdischer Labor-Abgeordneter in Melbourne Ports, und der konservative Parlamentarier Josh Frydenberg kündigten an, am 14. September nicht zur Wahl zu gehen. Andere sahen den Termin gelassener: »Australien wählt traditionell am Schabbat, viele Juden sind es daher gewohnt, ihre Stimme im Voraus abzugeben«, sagt Peter Wertheim, Geschäftsführer des Executive Council of Australian Jewry (ECAJ). 

Nachdem Rudd Ende Juni wieder Premier wurde, zog er den Wahltermin um eine Woche vor. Nun fällt er zwar weiterhin auf einen Schabbat, aber zumindest nicht mehr auf Jom Kippur. Doch weil Wählen in Australien nicht nur Recht, sondern Pflicht ist, haben viele Orthodoxe ihre Stimmzettel längst per Brief verschickt oder in den Vor-Wahllokalen abgegeben. 

Rund 97.300 Australier sind jüdisch, das sind 0,5 Prozent der Gesamtbevölkerung. Sie fallen als Wählergruppe nicht stark ins Gewicht, da sie sich auf viele Regionen verteilen. Nur in zwei Bezirken sind mehr als zwölf Prozent jüdisch: in Sydneys gut betuchtem Osten und in Melbourne Ports, das seit 15 Jahren Michael Danby verteidigt. Bezirke mit größerer jüdischer Bevölkerung sind außerdem Sydneys Kingsford Smith sowie Melbournes Bezirke Goldstein, Higgins und Kooyong. 

KONSERVATIV Die israelische Tageszeitung Haaretz titelte kürzlich »Jüdische Unterstützung lässt Labor zugunsten der liberalen Koalition im Stich«. Peter Wertheim findet das Statement irreführend: »Ich glaube nicht, dass es dafür stichhaltige Belege gibt«, so der ECAJ-Geschäftsführer. »Jüdische Wähler haben in den vergangenen 50 Jahren ohnehin eher die konservative Koalition unterstützt.« Aber die jüdische Gemeinde wähle nicht als Gruppe, sondern individuell, betont er. »Wirtschaft, Arbeitsplätze, Gesundheit, Senioren und Sicherheit sind dominierende Themen – ähnlich wie für den Rest der Bevölkerung.« Dabei bestehe natürlich besonderes Interesse an politischen Entscheidungen zur Finanzierung und Sicherheit jüdischer Schulen, der Sorge um Ältere, Gesetzen gegen rassistisch motivierte Gewalt, Flüchtlingspolitik und Australiens Verhältnis zu Israel, so Wertheim.

Außenminister Bob Carr (Labor) hatte im August jüdische Organisationen aufgebracht, als er sagte: »Siedlungen auf palästinensischem Land sind nach internationalem Recht illegal.« Auch hatte Australien im November 2012 den Antrag der Palästinenser, als »beobachtendes Nichtmitglied« in die Vereinten Nationen aufgenommen zu werden, nicht abgelehnt, sondern sich der Stimme enthalten.

FINANZKRISE Jüdische wie nichtjüdische Australier beschäftigt vor der Wahl vor allem die Wirtschaft. Das überrascht, wenn man die Fakten betrachtet: Dank Rohstoffreichtum freute sich das Land über 21 Jahre Wachstum, die Finanzkrise verursachte kaum Schaden; zu niedrigen Inflationsraten (2,1 Prozent) und Arbeitslosenquoten um 5,7 Prozent gesellt sich eine selten gewordene Kreditwürdigkeit: Australien gehört zu den fünf wirtschaftlich stabilsten Staaten im OECD-Vergleich. Aber: »Wer viel hat, kann viel verlieren«, scherzte ein Kommentator – und genau deshalb sind viele Australier um die heimische Wirtschaft besorgt. Doch Ideen, wie sich das Land nach Ende des Rohstoffbooms positionieren könnte, fehlen im Wahlkampf. 

Emotionsgeladen war die Debatte um die Flüchtlingspolitik, nachdem Premier Rudd Ende Juli angekündigt hatte, per Boot einreisende Asylbewerber künftig nach Papua-Neuguinea abzuschieben. Im vergangenen Jahr sollen mehr als 17.000 Flüchtlinge Geld an Menschenschmuggler gezahlt haben – für Passagen auf oft seeuntauglichen Fischerbooten; Dutzende Menschen ertranken dabei. Die harsche neue Linie provozierte auch in der jüdischen Gemeinde Diskussionen. Das EJAC sammelte Stellungnahmen – die allerdings nicht einstimmig waren. Das Spektrum reichte von »Die ›Boat People‹ sind keine echten Flüchtlinge« bis zu »Wir sollten die neue Regelung und Internierung entschieden ablehnen«.

Die Meinungen zur Flüchtlingspolitik seien in der jüdischen Bevölkerung genauso divers wie im übrigen Australien, sagt Peter Wertheim. »Eine liberalere Haltung mag oberflächlich betrachtet am humansten wirken. Aber der Handel mit menschlichem Elend, Todesfälle durch Ertrinken sowie Verzögerungen für Flüchtlinge, die in Camps warten, lassen den Prozess wiederum kaum human erscheinen.« 

PRÄFERENZ Auch wenn Tony Abbotts »Liberals« die Wahl gewinnen sollten, gilt Michael Danbys Sitz im Repräsentantenhaus als sicher, zumal viele Stimmen kleiner Parteien nach dem Präferenzsystem ebenfalls Labor zufallen. Vergangene Woche sorgte Danby allerdings für Ärger, als er zwei Varianten jener »Wie soll ich wählen«-Anleitungen verteilte, mit denen es die Kandidaten den Wählern erleichtern wollen, Präferenzen zu verteilen. 

Eine Variante von Danbys Karten zeigte die »Sex-Partei« an zweiter Stelle. In Vorwahlbüros jedoch, wo viele orthodoxe Juden ihre Stimme abgeben, präferierte er die ultrarechte »Family First«. Alex Fein vom Onlinemagazin »Galus Australis« nahm Danby dieses Vorgehen übel: »Wieso unterstellt er, dass wir mit einer reaktionären Partei wie ›Family First‹ glücklicher seien?«, fragte Fein, »das kanzelt Orthodoxe als engstirnig und voller Vorurteile ab«. Schließlich sei ja Melissa Star, Kandidatin der Sex-Partei in einem Wahlbezirk von Melbourne, auch jüdisch. Danby verteidigte sich, die Präferenz sei nur ein Vorschlag; er habe religiöse Wähler nicht verschrecken wollen – jedem Bürger stehe es frei, eigene Vorlieben auf dem Wahlzettel zu markieren. Zum Original