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Das passende Essen zum Drink: Hier sind Sie richtig

Es ist eine durchaus schwierige Ausgangslage, immerhin ist Deutsch eine komplexe Sprache und gespickt von Redewendungen und überraschenden Selbstverständlichkeiten. "Sich auf einen Kaffee" zu treffen, bedeutet schließlich keineswegs, dass Kaffee getrunken wird und "auf ein Bier" ist kulinarisch und zwischenmenschlich bereits komplett unübersichtlich. Es stellen sich viele Fragen, wenn sich "auf ein Drink" getroffen werden soll: Wann trifft man sich? Isst man vorher? Gibt es dort etwas zu essen? Was gibt es dort zu essen? Wird eventuell der Ort gewechselt, so dass eine Falafel en passant eine Zwischenlösung wäre?

Und weil wir Menschen in den deutschsprachigen Gefilden leider nicht die unglaublich lockeren Typen sind und über all diese Fragen ganz offen sprechen können, müssen uns bisweilen ein prophylaktisches Butterbrot vor dem Ausgehen einverleiben, um für wirklich jeden möglichen Fall gewappnet zu sein.


Es muss ja nicht immer das "Noma" sein

Möglicherweise wäre es ja aber auch an der Zeit, diesen etwas krampfigen Zugang zum Trinkengehen loszuwerden. Man kennt ja sowieso die ständige Diskussion darüber, in welchen Konstellationen bezahlt werden soll. Und dabei könnte man klären, ob mehr als ein paar salzige Kohlenhydrate oder Nüsse zu den Drinks inkludiert sein sollen.

Wie wäre es also, wenn man sich konkret zum Trinken und zum Essen treffen könnte und beide Elemente auf ähnlich hohem Niveau stattfinden würden? Schön wäre das. Gefragt sind daher Institutionen, in denen genauso gut getrunken wie gegessen werden kann. Und es geht nicht um Restaurants, in denen auch der Wein ganz gut mundet, denn derer gibt es zuhauf. Gesucht sind Bars, die man vornehmlich zum Trinken frequentiert, mit oder auch ohne Alkohol, und in denen nicht obligatorisch, aber zuverlässig Essen serviert wird, das dem Niveau der Drinks entspricht. Das nicht bestellt werden muss, aber kann. Und weil dies ziemlich viele Faktoren sind, mit denen wir uns hierzulande schwer tun - schlichtweg eine Rechnung mit zu vielen unbekannten Variablen - finden sich diese Orte vornehmlich im Ausland. Wir begeben uns also auf die Reise nach Zürich, nach Bogotá, Rom, Barcelona und Mailand. Es muss ja schließlich nicht immer das "Noma" sein, gleichwohl hier mit Gewissheit hervorragend getrunken und gegessen werden kann.

Los geht es also im Zürcher "Lupo". Keine Reservierungen, keine Allüren, bloß "Peach Don't Kill My Vibe" mit Gin, Pfirsich, Verjus, Limette und Champagner, zu dem ein Vitello Tonnato ganz hervorragend passt. Hinterher die Tagliatelle al ragù, dazu einen "Mr. No Worries" mit Agave Spirits, Orange Wein, Kaffir Limette und Salz, und der Abend hat ein deutlich freundlicheres Gesicht als mit zwei Drinks und Erdnüsschen.


Ein Nest im Himmel

Und wo wir gerade in Zürich sind: auch im"Igniv", übrigens auch besuchbar in Bad Ragaz, St. Moritz und Bangkok, stehen sich Essen und Trinken in nichts nach. Mit gleich vier Küchenchefs regionaler und zugleich weltoffener Küche ist relativ vieles möglich. Der Name leitet sich übrigens vom rätoromanischen Wort für Nest ab, weil die Gäste sich so umsorgt fühlen sollen wie ein Vögelchen in seinem Nest. Und im Nest bekommt man bekanntlich immer Essen und Trinken in einem und muss es nicht wechseln für verschiedene Belange. Und nach Nestern suchen wir.

Ein anderes Nest wurde gebaut in Bogotá, als Chef Leonor Espinosa und Sommelière Laura Hernández sich dazu entschieden haben, einen Ort zu kreieren, an dem die Biodiversität, das Terroir und im wahrsten Sinne der "Spirit" der Gegend gefühlt, geschmeckt, gehört und erinnert wird. Der Laden heißt "Leo", und wer hier an der "Colombian Innovation Cocktail Bar" keinen Halt macht, sich einem Fermented Drinks Tasting oder dem Territorio Tasting entzieht und dazu kein Sechs-Gänge Menü isst, dem ist dann auch nicht mehr zu helfen. Bisweilen fein und etwas chichi, manchmal deftig und klar - immer aber verlässlich regional und formidabel. An Empfehlungen sollte sich an dieser Stelle zurückgehalten werden, da diese aus der Küche kommen. Und versprochen: Es wird ein "Match made in Heaven", und man wird sitt und satt.


Gefeit vor Ess- und Trinkfeinden

Nicht überraschend ist es, dass es im Mittelmeerraum, in dem die deutschsprachig statische Grenze zwischen Essen und Trinken quasi nicht existent ist, mehrere Lokale gibt, die zu Speis und Trank einladen - und die für beides ein Sternchen verdient hätten. Da hätten wir etwa das "Camparino in Galleria" in Mailand. Einmal ganz von dem imposanten Tresen in Rot bestückt abgesehen, trifft Essen auf Trinken hier in einer Form zusammen, wie sie symbiotischer nicht sein könnte, schließlich handelt es sich um eine Campari-Bar: Übrigens sollte die im Fettkörper der Cochenillenschildlaus gespeicherte Karminsäure der Abwehr von Fressfeinden dienen; von Trink-Feinden war die Rede nie. Wobei die Vereinbarkeit deliziösen Essens mit exklusiven Drinks bei Campari verstanden wurde: Immerhin gibt es Shrimps in Cocktailsauce mit süß- saurem Eisbergsalat, gepaart mit der Frische von Bitter Paloma, nebst diverser Negroni-Versionen und allerhand anderer Dinge in Rot. Hier gibt es weder Ess- noch Trink-Feinde, das Personal ist famos und die Martinis sind so divers, wie es sich deutschsprachige Kleinstädte nur so vorstellen wollen, würden und könnten.

Ebenfalls in Italien steht das "W", nämlich in Form des Römer Luxushotels "W Rome". Gerade einmal seit September letzten Jahres hat dieser Ort seine Türen geöffnet, und dies in der wenig bescheidenen Lage zwischen der Spanischen Treppe und der Via Condotti. Auch wenn hier erstklassig gefrühstückt und diniert werden kann, ist besonders das Bar-Food hervorzuheben. Schinken mit Melone etwa mag abgedroschen und geläufig klingen, allerdings habe man bei diesem Befinden noch keinesfalls den S. Ilario Prosciutto mit der Cantaloupe Melone probiert. Dazu einen Drink mit der kleinen, aber höchst elaborierten Auswahl an schottischem Whisky und die Sache sitzt. Danach ist auch der Trevi-Brunnen in der Feriensaison erträglich.


Büffel-Burrata und Bloody Mary

Ein definitives Highlight der Zusammenkunft von Essen und Trinken ist das "Two Schmucks" in Barcelona. Inzwischen versehen mit drei Etablissements, ist dieser Name eine nicht mehr wegzudenkende Institution in der Baskenstadt. Auch hier sind es nicht die großen Namen des Bar-Food, sondern die große Ausführung. Büffel-Burrata und Gazpacho gibt es vielerorts, nicht aber eben mit einem Espresso Martini zum Frühstück und nicht mit einem Garam Sour mit Bourbon, Garam Masala, Erdnüssen, Zitronensaft und Bitters zum Shakshuka. Im Grunde sollte man hier essen, dort trinken und dann wieder Karaoke singen. Bis auf Karaoke geht aber in allen Two Schmuck Bars alles. Unter der Ägide von Juliette Larrouy und Pom Modeste hebt dieses Imperium im Szeneviertel El Raval die Stadt auf einen kulinarischen Thron, der mit einem Glas Wein nebst einiger Tapas nichts mehr zu tun hat.

Doch weshalb ist es eigentlich überhaupt so, dass Essen und Trinken zusammenpassen sollen? Man könnte ja schließlich erst essen, dann trinken. Seit 1812 ist der Sommelier allerdings eine feste Berufsbezeichnung in der Gastronomie und auch die Existenz unzähliger Pairings spricht für die weit verbreitete Idee, Essen und Trinken seien Elemente, die sehr wohl zusammengeführt werden könnten, ja, sollten. Wohingegen etwa eine Weinbegleitung, wie der Name schon sagt, darauf bedacht ist, das Essen zu begleiten, gestaltet sich die Sache bei einer ebenbürtigen Behandlung schwieriger. Tommaso Ondeggia, Barchef des "Four Season Hotels" in Florenz beispielsweise empfiehlt, sich einen Fokus zu setzen und mit dem anderen Part zu begleiten. Es hat daher keinen Sinn, ein sehr scharfes oder würziges Essen mit einem ebenso starken Drink zu kombinieren, da man so am Ende überhaupt nichts mehr schmeckt. Mild plus "low ABV", also Cocktails mit sehr wenigen Volumenprozenten, sei in einem solchen Falle jedoch auch nicht hilfreich, da der Cocktail so in den Hintergrund rückt. Zu empfehlen sind sich ergänzende Aromen: "Es ist wie kochen, bloß, dass man zwei Elemente zur Verfügung hat, anstelle von lediglich einem", so Ondeggia. Zum torfigen Whisky raucht man schließlich auch keine starke kubanische Zigarre - es geht immer um das Endresultat; und wenn es eben manchmal doch nicht zusammenpasst, muss es vorher eben doch ein Butterbrot und später das Bier sein. Dann zählt eben das Endresultat des Abends.

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