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Herr Lindemann Bar: Die Cocktail-Kräuterstube am Richardplatz

Rixdorf war gastronomisch bislang bekannt für das größte Schnitzel Berlins. Mit dem Herr Lindemann hält nun die Cocktailkunst Einzug in dem beschaulichen Mikro-Kiez. Der Fokus der am 7.7.2017 um 19:07 eröffneten Bar liegt auf Kräuterkunde und schmackhaften Tinkturen. Aber natürlich vor allem auf einer guten Zeit.

„Geh doch zu Herr Lindemann", titelt die altbekannte, leuchtende Letternwand der Bar TiER. In einer Zeit, in der das Neuköllner Nachtleben längst um ihr Klientel zu buhlen begonnen hat, darf man da schon einmal aufhorchen. Aber auch Sven Abel, Halter des TiER auf der Weserstraße, steht hinter dem Bar-Konzept seines Freundes und ehemaligen Mitarbeiters Peter Edinger. Er selbst spricht von seinem „Lieblingspeter", der dem TiER mittlerweile „flügge geworden" sei. Flügge, das werden in der Regel Vögel, wenn sie so weit entwickelt sind, dass ihre ersten Flüge möglich werden. Am 7.7.17 um Punkt 19:07 Uhr war genau dies der Fall und Peter Edinger und seine Crew öffneten die Pforten zu ihrer Bar Herr Lindemann.

Während man in der Weserstraße nicht gerade hängeringend nach einem guten Tresen jenseits von Kneipe und Café zum Verweilen suchen muss, dünnt sich das gen Süden aus. Mit einem dankbaren Abstecher zum Velvet wird es da in Richtung Richardplatz schon etwas schwierig. Am alljährlichen Weihnachtsmarkt zwar ungemütlich überlaufen, finden sich hier in der restlichen Zeit des Jahres gerade einmal Eltern auf Besuch im Restaurant Louis ein, um das größte Schnitzel Berlins zu probieren. Oder Reisegruppen auf einer Führung durch das alte Rixdorf, die gerade auf ihrem Weg in die Alte Schmiede sind und auf der urigen Terrasse der Villa Rixdorf bei einem Bier verweilen.


Herr Lindemann Bar: Neuer Wind für neue Vögel

Ein bisschen anders ließ es sich bislang am Richardplatz 16 verweilen. Nämlich vor dem Hang Over, dessen Name - wie in den meisten Neuköllner Etablissements dieser Natur - auch Programm war. Mit einer Stimmungsmischung aus Bierzelt und Biergarten hatte der Außenbereich durchaus seinen Charme, wenngleich man in Drinks, Musik und Interieur ein paar Abstriche machen musste.

So gab es jeden Sonntag beispielsweise zwischen 12 und 15 Uhr eine Happy Hour, in der Futschi und Vodka für nur einen Euro zu recht erschwinglichen Preisen an Mann und Frau gebracht wurden, dazu Billard und Bon Jovi. Daran mag nichts verkehrt sein, und doch weht am Richardplatz 16 mittlerweile ein neuer Wind. Und neue Winde sind gut für neue Vögel, denn kein Mensch und kein Vogel will ständig denselben Himmel über sich wissen.

Ähnlich episch daher die Einladung des Herr Lindemann: „Die Engel pfeifen es von den Dächern, Neukölln vibriert in angespannter Euphorie, Berlin zittert vor Neugierde...". Eine steile Einladung für eine neue Bar, könnte man meinen. Nicht aber, wenn Herr Lindemann Recht behalten durfte. Und die öffentlichen Reaktionen lassen einen derart dünken: „Detailverliebtes Interieur, eine verwunschene Bar mit Wurzeln hinter Glas, super spannendes Konzept mit Heilkräutern - und natürlich auch ohne - und ganz liebenswerte Betreiber. Aufgepasst: Cocktailsuchtgefahr!!!" Das kann man so stehen lassen - muss man aber nicht.

Schließlich haben wir uns selbst auf den Weg durch die Richardstraße gemacht: vorbei am Bottega N. 6, wo es sich ausgezeichnete Antipasti und Wein einzuverleiben gilt, an dem skurrilen Sameheads, einem internationalen DJ-Treff mit Trash-Faktor, und vorbei an dem so urig-schönen Alter Roter Löwe Rein. Schließlich angekommen am Richardplatz 16, verrät allein die Terrasse, dass sich einiges verändert hat. Elegantes Holzmobiliar schmückt den Außenbereich, an den Wänden rangelt sich der Wilde Wein. Die Hang Over-Zeit ist over und Herr Lindemann ist da. Und zwar mit einer neuen Karte. Diese heißt Herba Liquidum - Flüssiges zur oralen Einnahme - und hält genau, was sie verspricht.


Auf einen Ziegenpeter im Herr Lindemann

Peter Edinger muss nicht erst erzählen, dass er froh ist, Herr Lindemann endlich eröffnet zu haben. Er muss auch nicht sagen, dass er Wert auf ausgefeilte Spirituosen-Kräuter-Mischungen in seiner Bar legt, gar nicht. Und am wenigsten muss er erwähnen, dass diese Bar ein langjähriger Traum von ihm gewesen ist. Er muss einfach bloß eine Kombination aus Cocktails, Heilkräutern und Birnen vor den Gast stellen, und die Sache ist deutlich geworden. In deren Innerem befinden sich allerlei Spirituosen und Birnen, das Äußere ist geprägt von Blüten und Kräutern. Letztere haben sich stilistisch auch im Interieur der Bar niedergeschlagen, die eine ästhetische Kreuzung aus urbanem Landhaus und Industrial Vintage ist. Berlin eben, für diese Gefilde Neukölln dennoch neu und ein absoluter Gewinn. Und wenn es endlich möglich ist, Echinacin auch in Form von getrocknetem Sonnenhut auf dem Drink zu schlürfen, sowieso. Besonders empfehlenswert ist der Ziegenpeter, ein mit Ziegenkraut infusionierter und auf Rum basierter Drink, dessen Ursprünge bei einem Schäfer liegen, der einst Ziegenkraut aß und seiner gesteigerten Potenz gewahr wurde.

Man kann die Bewertungen nach der Eröffnungsfeier des Herr Lindemann verstehen, und auch wenn die Riege unserer Redaktion der Gefahr der Cocktailsucht längst erhaben, beziehungsweise erlegen, ist, gilt: Wer am Richardplatz verweilt und nur einen Drink zu sich nehmen will - dann „geh doch zu Herr Lindemann". Wer hingegen darauf aus ist, den ganzen Abend an der Bar zu sitzen und die Herba Liquidum durchzuprobieren: Geh doch zu Herr Lindemann! Nachhause dann jedoch vielleicht lieber mit dem Taxi.


Richardpl. 16, 12055 Berlin

U7 Karl-Marx-STraße

Kartenzahlung: Nein

Rauchen: Nein

Photo credit: Foto via Nathalie Thiede.

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