Kluge Kontraste: Die Dauerausstellung zur Kunst des 20. Jahrhunderts in der Münchner Pinakothek der Moderne bekommt ein neues Gesicht. Zeitgenössische Perspektiven ergänzen nun den klassischen Kanon. Ein gelungenes Update!
Sie sind jetzt also Nachbarn - so unterschiedliche Künstler wie Louise Bourgeois und Erich Heckel, Franz Marc und Tal R oder Aaron Curry und Pablo Picasso. Alt und neu nebeneinander, die Klassische Moderne aus der Bayerischen Staatsgemäldesammlung neben zeitgenössischer Kunst aus der Sammlung Götz.
Mehr Frauen und nicht-westliche PerspektivenEin schönes Münchner Rendezvous ist das geworden. Nach zwei Jahren sei es an der Zeit gewesen, den Rundgang durch die Kunst des 20. Jahrhunderts im 1. Stock der Pinakothek der Moderne neu zu gestalten, meint Kurator Oliver Kase. Er habe die Sammlung zeitgemäßer, lebendiger machen wollen: "Wir wollten mehr Künstlerinnen zeigen - wir haben ja einen sehr westlich und männlich dominierten Kanon bei der Klassischen Moderne. Außerdem wollten wir mehr Skulpturen und mehr Arbeiten auf Papier ausstellen. Und die Frage stellen: Wie zeitgemäß ist eigentlich die Moderne? Und umgekehrt wie historisch sind die Themen der Gegenwartskunst?"
Mehr Frauen, mehr nicht-westliche Perspektiven, das Auflösen des gängigen Kanons zugunsten einer diverseren, alternativen Kunstgeschichte: diesem Credo folgen mittlerweile immer mehr Museen, nachdem das MoMA in New York bei der Wiedereröffnung im zurückliegenden Jahr gezeigt hat, wie das gehen kann - wofür es aber nicht nur positive Kritik gab.
Konfrontation mit der GegenwartIn München finden Kurator Kase und sein Kollege Karsten Löckemann von der Sammlung Götz einen guten Mittelweg zwischen altbekannten Meisterwerken und provokativen Neuentdeckungen: innovativ, aber nicht zu radikal. Die Schau ist wie in den vorherigen Jahren chronologisch aufgebaut, von den Expressionisten Anfang des 20. Jahrhunderts bis hin zur Farbfeldmalerei der 60er, wobei die thematischen Schwerpunkte jeder Epoche verständlich herausgearbeitet werden. Das große Aha-Erlebnis sind allerdings - eben neu! - die zeitgenössischen Interventionen.
Mit Namen wie Louise Bourgeoise, die mit ihren feministischen Skulpturen in Kontrast zu den naiven Frauenakten der Brücke-Künstler gezeigt wird, oder Thomas Schütte, der mit seinen amorphen, deformierten Männerköpfen ganz wunderbar zu den geschundenen Nachkriegsfigurationen von Max Beckmann passt, tauchen renommierte Künstlerstars auf, deren Platzierung naheliegend ist. Noch spannender: der dänisch-israelische Künstler Tal R, der mit poppigen, knallbunten Arbeiten in Grün, Gelb und Blau sogar die Farbexplosionen der Blauen Reiter zu übertreffen vermag. Oder die pakistanische Künstlerin Huma Bhabha, die mit ihren archaisch-futuristischen Skulpturen einen ganz anderen Blickwinkel auf die sogenannte primitive Kunst einnimmt, als es die Exotismen eines Ernst Ludwig Kirchner oder Emil Nolde tun.
Erinnern und Vergessen
"Es ist einfach so, dass der kulturelle Kontext, in dem sich Nolde oder Kirchner bewegen, kolonialistisch ist", erläutert Oliver Kase. "Und das steht heute in der Kritik. Insofern müsste man das eigentlich historisch-kritisch kommentieren. Wir haben jedoch einen anderen Weg gewählt und zeigen die Werke einer Künstlerin, für die diese Quellen immer noch inspirierend sind, die aber nicht aus einem westlich-männlichen Kontext kommt, sondern aus Pakistan."
Aaron Curry baut große Holzsteckarbeiten im kubistischen Stile Picassos. Gillian Wearing porträtiert sich als Fotografen-Fürst August Sander. Und die deutsche Künstlerin Katja Strunz rekonstruiert abstrakte Formen mit Gegenständen, die sie auf dem Schrottplatz findet. Alle diese Arbeiten verhandeln das Spannungsverhältnis von Gegenwart und Vergangenheit, von Erinnern und Vergessen.
"Das ist auch etwas, was mich im Museum immer wieder beschäftigt", erzählt Strunz: "Dieses Phänomen: Was ist Vergangenheit und wie kann ich sie vergehen lassen? Was ist zu viel, was ist zu wenig?" Eine Antwort darauf liefert eben diese Ausstellung: Sie überzeugt gerade deshalb, weil sie das Alte nicht abhängen oder ausradieren will (was, Stichwort "cancel culture" ja durchaus im Trend liegt), sondern Alt und Neu in Dialog setzt und so 13 Räume schafft, die auf vielfältige Weise die ewigen Themen von Kunst und Leben widerspiegeln: den Tod, die Liebe, unseren Körper und Geist. Und nicht zu vergessen: die Freundschaft.