Julian Hilgers

Wirtschaft | Gesellschaft | Afrika

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Laetitia Ky kämpft für Frauenrechte - mit ihren Haaren

Die 23-jährige Künstlerin aus der Elfenbeinküste im Interview über ihre Frisuren und Feminismus in Westafrika.

In Abidjan in der Elfenbeinküste hat es gerade geregnet, die Internetverbindung ist schlecht. Immer wieder stockt das Bild. Laetitia Ky sitzt in einem großen weißen Raum, ihre langen geflochtenen Haare hängen herunter. Ausnahmsweise. Auf ihren Social-Media-Kanälen präsentiert sich die 23-Jährige eher selten mit einer so unspektakulären Frisur. Dort zeigen ihre Posts zum Beispiel einen aus Draht und Haar geformten Frauenkörper auf ihrem Kopf. Die Figur reckt einen Arm in die Höhe, die Faust ist geballt. Andere Posts zeigen Laetitias Haare als Brüste, Uterus, Megafon oder Baby. Alles macht sie selbst, aus Draht und ein paar zusätzlichen Extensions.

Laetita ist Künstlerin, sie kämpft mit ihren Frisuren für Frauenrechte. Genauer gesagt tut sie das, indem sie Fotos und Videos ihrer Frisuren über Instagram und TikTok verbreitet. Unter dem Post mit der kämpferischen Frau schreibt sie: "To all the women around the world, let's remember that no evolution is possible if we don't talk" - "An alle Frauen weltweit, denkt daran, dass kein Fortschritt möglich ist, wenn wir nicht sprechen."

Für ihre Frisuren braucht sie Zeit. Mehrere Stunden kann es dauern, bis ein Kunstwerk fertig ist. Der Aufwand lohnt sich: 300.000 Follower hat sie inzwischen bei Instagram. Bei TikTok sind es sogar 1,3 Millionen, denen die Kunstwerke von Laetitia in den Feed gespült werden.

Wie reagieren die Leute auf ihre Kunst? Was macht die Aufmerksamkeit mit ihr selbst? Und was möchte Laetitia erreichen? Ich habe mich zum Videointerview mit ihr verabredet und sie all das gefragt.

Laetitia Ky ist Künstlerin

bento: Wer sich deine Kanäle anschaut, sieht eine kämpferische, selbstbewusste Frau. War das schon immer so?

Laetitia Ky: Nein. Als Teenager war ich sehr unsicher. Ich habe mich selbst gehasst. Meine Haare, meine Haut, meine Nase - alles. Ich hatte keine Träume. Das änderte sich, als ich begann, mich selbst zu lieben. Und jetzt will ich, dass sich alle Frauen so fühlen können.

Bei der Vorrecherche las ich, dass Laetitias Eltern sich früh scheiden ließen. Ihre Mutter übernahm damals die Verantwortung, brachte das Geld nach Hause und schmiss nebenbei den Haushalt. Laetitia lernte ein Rollenbild kennen, das ihr Mut machte. Sie wusste, dass sie als Frau andere Ziele haben darf.

bento: Du lebst in der Elfenbeinküste. Wie ist die Situation für Frauen in deinem Heimatland und in Westafrika, was gibt dir den Anstoß für die Posts?

Laetitia Ky: Vieles kommt mir einfach spontan in den Kopf. Geschlechterungleichheit ist normal hier. Wenn du darüber sprichst, bist du die Verrückte. Die Leute sagen: "Feminismus ist für weiße Menschen." Es ist wirklich schwierig, hier eine Feministin zu sein. Diese Ungleichheit sieht man überall: auf der Arbeit, in der Familie. Wir haben noch viel zu tun. Aber ich sehe viele Frauen in der Elfenbeinküste, die anfangen, darüber zu sprechen. Es verändert sich etwas.

bento: Woran liegt es deiner Meinung nach, dass noch so wenige Frauen diese Ungleichheit ansprechen? Laetitia hat einen Hochschulabschluss in Wirtschaft. Doch ein klassischer BWL-Beruf im Management war nicht das Richtige für sie. Sie begann zu zeichnen, kaufte sich eine Nähmaschine, arbeitete kreativ. Dann stieß sie im Internet auf ein altes Foto einer afrikanischen Frau mit traditioneller Frisur. Das inspirierte sie 2017, mit ihren Haaren Kunst zu machen.

Laetitia Ky: Die meisten Frauen sind im Vergleich zu den Männern sehr ungebildet. Die Herausforderung ist also, Bildung für Frauen zugänglich zu machen. Das ist letztlich der Grund, warum Frauen still sind, wenn sie Ungerechtigkeit erfahren. Selbst dann, wenn sie schon erwachsen sind. Sie denken, das alles wäre normal. Wären die Frauen gebildeter, würden sie vieles anders sehen.

bento: Warum hast du Instagram und TikTok gewählt, um deine Botschaften zu verbreiten? Für Laetitia ändert deshalb auch die Coronakrise nichts an ihrer Arbeit, die kann sie genauso sichtbar weiterverbreiten - und die Krise in ihre Kunst sogar aufnehmen. Einer ihrer letzten Instagram-Posts zeigt sie mit einem aus ihren Haaren geflochtenen Mundschutz. bento: Du erreichst über die sozialen Netzwerke sehr viele Menschen. Wie sind die Reaktionen? bento: Du sprichst dich besonders seit der #MeToo-Bewegung stark für Frauenrechte aus. Warum war das so wichtig für dich?

Laetitia Ky: Wir leben im Jahr 2020. Fast jeder hat ein Smartphone und eine Internetverbindung. Die ganze Welt ist vernetzt. Ich selbst bin in meinem Leben bisher erst viermal verreist, aber mir folgen Leute von überall. Es ist simpel: Durch Social Media kannst du die ganze Welt erreichen, ohne dich zu bewegen.

Laetitia Ky: Vor allem Frauen schreiben mir viele Nachrichten. Sie bedanken sich. Denn was ich poste und sage, hilft ihnen. Sie erleben genau diese Probleme und sehen, dass sie nicht allein sind. Das freut mich sehr, dass ich diesen Einfluss habe. Das ist mein größter Stolz. Ich bekomme aber auch sehr viel Hass. Beispielsweise, wenn ich Abtreibung oder Körperbehaarung bei Frauen thematisiere. Die Leute sind offenbar einfach nicht gewohnt, dass eine Frau offen darüber spricht. Aber das blende ich aus.

Laetitia Ky: Ich habe zum Glück nie sexuelle Übergriffe erlebt, aber eine Menge Belästigung. Viele Frauen erleben das. Sie haben aber Angst, darüber zu reden. Es herrscht eine Kultur, in der sich das Opfer für das verantwortlich fühlt, was ihm passiert ist, das hat #MeToo gezeigt. Wenn eine Frau vergewaltigt wird, fragt man sie: "Warum ziehst du dich so an? Warum trägst du MakeUp? Das ist dein Fehler!" Das ist ein sehr gefährliches Denken.

bento: Dir geht es bei deiner Arbeit aber nicht nur um sexuelle Belästigung und Missbrauch, sondern auch um Körperideale. Warum ist die optische Erwartungshaltung an Frauen ein Problem?

Laetitia Ky: Eine ganze Industrie funktioniert nur, weil Frauen sich selbst verabscheuen. Die Kosmetikindustrie verdient Geld, wenn Frauen sich selbst hassen. Weil wir so und so aussehen, uns so und so verhalten, das und das tun müssen.

bento: Und wie kann sich an dieser Situation von Frauen etwas ändern?

Laetitia Ky: Egal ob Männer oder Frauen - jeder muss diese Probleme ansprechen. Wir müssen anfangen zu reden, das ist unsere stärkste Waffe. Die Probleme, diese Ungerechtigkeit, das alles besteht nur durch Schweigen. Wenn man anfängt, darüber zu sprechen, verstehen die Menschen, dass etwas falsch ist und werden versuchen, es zu ändern.


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