Julian Dorn

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Opfer von Großbrand in London: „Das Feuer ist jetzt hier - macht es gut"

Als Mohammed Al-haj Ali spürte, dass er sterben würde, rief er seine Familie in Damaskus und enge Freunde an. Doch er erreichte nur einen Freund in Syrien. Mit ihm sprach er noch etwa zwei Stunden. Mit letzter Kraft tippte er am Ende eine Kurznachricht an seinen Freund: „Das Feuer ist jetzt hier, macht es gut." Danach bricht die Verbindung ab. Al-haj Ali erstickt wohl an dem dichten Rauch.

Der 23 Jahre alte Mann stirbt auf dem Flur im 14. Stockwerk des Londoner Grenfell Towers im Stadtteil Kensington. Zwei Stunden lang war er dort eingeschlossen, Feuerwehrleute konnten nur bis in die 13. Etage vordringen. Sein älterer Bruder Omar schaffte es, den Flammen im 14. Stockwerk zu entkommen - er liegt nun schwerverletzt in einem Londoner Klinikum. Sein Zustand sei stabil, hieß es.

Die Fassade des Hochhauses ist komplett verkohlt. © EPA/REX/Shutterstock Bilderstrecke

Mohammed ist eines der bislang 30 Todesopfer, die das verheerende Großfeuer in dem Hochhaus gefordert hat. 30 Leben, die ein abruptes Ende fanden, weil in dem Sozialblock mit mehr als 600 Bewohnern in mehr als 120 Wohnungen vermutlich fahrlässig mit dem Brandschutz umgegangen wurde, es gab nicht mal Sprinkleranlagen. Mehr als 70 Menschen werden laut Polizei noch vermisst.

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Der 23 Jahre alte Mohammed Al-haj Ali war erst vor drei Jahren gemeinsam mit seinem Bruder Omar der Kriegsgräuel in Syrien entkommen. „Er hat Assad überlebt, er hat den Krieg überlebt - nur um dann in einem Londoner Hochhaus zu sterben?", sagte Abdulaziz Almashi, ein enger Freund des Syrers, der britischen Tageszeitung „The Telegraph." „Mohammed war so gütig, großzügig - und voller Liebe für seine Familie."

Almashi ist Mitbegründer der Syrischen Solidaritäts-Kampagne, die sich für Frieden und Demokratie in Syrien einsetzt und Geflüchtete aus dem syrischen Kriegsgebiet dabei unterstützt, in Großbritannien ein neues Leben aufzubauen. Bei der gemeinnützigen Arbeit für die Organisation lernte er Mohammed Al-haj Ali und seinen 25 Jahre alten Bruder kennen. „Es ist einfach unbegreiflich, dass Mohammed nicht mehr länger unter uns ist."

„Seine Familie dachte, er sei in Großbritannien in Sicherheit"

Mohammed und Omar stammen aus der Stadt Daraa im Südwesten Syriens, die als Geburtsstätte des syrischen Widerstands gegen das Regime von Machthaber Baschar al Assad gilt. Vor drei Jahren erhielten die Brüder Asyl in Großbritannien. Beiden stand eine erfolgreiche Zukunft bevor: Mohammed begann ein Studium der Ingenieurswissenschaften an der Universität von West London, Omar studierte Betriebswirtschaft.

© Reuters Königin Elizabeth II. trifft am Unglücksort Rettungskräfte.

Die Syrische Solidaritäts-Kampagne zeigte sich auf Facebook tief bestürzt von dem Tod des Syrers: „Unsere Herzen sind gebrochen. Seine Familie dachte, er wäre in Großbritannien in Sicherheit."

Eine andere Freundin von Mohammed, Mirna Suleiman, schrieb auf Facebook: „Diese wunderbare Seele ist gestern von uns gegangen... so wie viele andere. Seine Geschichte berührt mich zutiefst, denn er entkam dem Tod in Syrien und kam nach Großbritannien, um ein neues Leben zu finden."

Online-Petition für die Familie von Mohammed

Mittlerweile haben Freunde der Brüder eine Online-Petition gestartet, die sich unter anderem an das britische Innenministerium richtet. Darin beschreiben sie auch, wie Mohammed Al-haj Ali aus dem Hochhaus seinen Freund in Syrien erreicht hatte. Ihr Appell ist jetzt: Die syrische Familie, die noch immer in ihrem Heimatland gefangen ist, soll ein Visum für Großbritannien erhalten, damit sie an Mohammeds Beerdigung teilnehmen und den verletzten Omar im Krankenhaus besuchen kann. Die Familie sah die beiden Brüder zuletzt vor fünf Jahren. Die Petition haben bereits über 8.000 Unterstützer unterzeichnet.

An dem Brandschutz in Großbritannien übte Mirna Suleiman scharfe Kritik: „Wir in Großbritannien sind auf solche katastrophalen Ereignisse nicht vorbereitet. Wir denken, so etwas könnte uns nie passieren." Sie fügt hinzu: „Wir sind gut darin, eine Menge Regeln zu erlassen und kassieren hohe Verwaltungsgebühren und Wohnsteuer ab. Aber wir versagen dabei, uns für den Ernstfall vorzubereiten."

Die Grenfell-Mieterinitiative teilte mit, man habe wegen der schlechten Sicherheitsstandards in dem Hochhaus und andernorts im Bezirk in den vergangenen Jahren häufig gewarnt. Der Chef der Labour-Partei, Jeremy Corbyn, sagte laut dem britischen Guardian nach einem Besuch am Hochhaus: „Die Anwohner sind sehr wütend, dass nicht gehandelt wurde, nachdem sie ihre Bedenken geäußert hatten." Experten sind sich sicher, dass die Fassadendämmung entscheidend dazu beigetragen hat, dass sich der Brand so schnell ausbreitete. Und es hätte offenbar nur 5000 Pfund (etwa 5800 Euro) gekostet, einen schwerer entflammbaren Stoff für die Verkleidung zu nutzen, das sagte ein Mitarbeiter der amerikanischen Hersteller-Firma der „Times".

Ein weiterer Bekannter der beiden Brüder fordert deswegen im „Telegraph" eine umfassende Untersuchung der Brandkatastrophe. „Es ist unfassbar, dass er an einem Ort starb, an dem er sich sicher fühlte. Es fühlt sich an, als hätten wir Briten ihn fallen gelassen. Er flüchtete vor einer Regierung, die Jagd auf ihre Bürger macht und kommt in ein Land, in dem die Regierung Gebäudesicherheit vernachlässigt - wann werden sich alle Politiker endlich um ihre Bürger kümmern?"

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