Julian Dorn

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Trump trifft Trudeau: Kuschelkurs oder Konfrontation?

Gerade in diesen Tagen dürfte sich der kanadische Premierminister Justin Trudeau an die Zeiten des kumpelhaften Miteinanders erinnern, als er und Barack Obama bei gemeinsamen Auftritten wie Sunny Boys in die Kameras lächelten. Sein Besuch in Washington bei Obamas Amtsnachfolger Donald Trump an diesem Montag dürfte dagegen kein Selbstläufer werden.

Trudeau und Trump - die beiden könnten unterschiedlicher nicht sein: Der kanadische Premier inszeniert sich gern als Liberaler und Mulitkulturalist, der jüngst rund 40.000 Flüchtlinge aufgenommen hat und für Freihandelsabkommen wirbt. Sein amerikanischer Antipode ist ein Isolationist, der das Prinzip „America First" verficht und gerade alles daran setzt, seinen umstrittenen Einreisestopp durchzubringen. Während Trump die Militärschläge gegen den IS intensivieren will, zieht Trudeau kanadische Kampfflugzeuge aus der von den Amerikanern geführten Anti-IS-Allianz zurück. Für den amerikanischen Präsidenten existiert der Klimawandel nicht, der kanadische Staatschef will dagegen CO2-Emissionen deutlich reduzieren.

Für beide Länder geht es um viel

Die Ausgangslage ist also denkbar schwierig für Trudeau, das Treffen dürfte zum Balanceakt werden: Einerseits erwarten die Kanadier, dass er bei seinem Antrittsbesuch in Washington für Weltoffenheit und Toleranz eintritt und deutliche Worte für Trumps Abschottungspolitik findet; andererseits wird er behutsam vorgehen müssen, denn Kanada ist von den Vereinigten Staaten als Handelspartner abhängig.

Trudeau weiß, dass ein Konfrontationskurs aus ökonomischen Gründen heikel ist: 75 Prozent der kanadischen Exportgüter, sogar 98 Prozent der Ölexporte, gehen in das Nachbarland. Zum Vergleich: Die Exporte in die EU machen nur 7,5 Prozent aus. Würde Amerika Importzölle auf kanadische Produkte einführen, könnte das der Wirtschaft Kanadas enorm schaden. Entsprechend vorsichtig formuliert sind bisher die Statements, die Trudeau aus Ottawa verschicken lässt. Schon nach dem Wahlsieg Trumps ließ Trudeau diplomatisch verlauten: „Nun, wir sind Kanadier. Wir können mit jedem klarkommen." Auch auf Trumps Einreiseverbot reagiert der kanadische Premier nur mit indirekter Kritik via Twitter, indem er alle Flüchtlinge in seinem Land Willkommen heißt.

© Twitter "Vielfalt ist unsere Stärke": Justin Trudeau wirbt für ein weltoffenes Kanada.

Gleichzeitig scheint Trudeau den Schulterschluss mit Europa zu suchen. Sein Besuch bei Trump am Montag flankieren Telefonate mit Paris und London, eine Rede vor dem Europäischen Parlament in Straßburg am Donnerstag und ein Empfang bei Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in Berlin am Freitag. Rückt das französisch geprägte, weltoffene Kanada ein Stück näher an Europa, während Trudeau seine Haltung zum Nachbarn Amerika neu justiert?

Das vermutet jedenfalls die kanadische Nachrichtenagentur CP, die von Absprachen Trudeaus mit „nervösen europäischen Verbündeten" berichtet. Vor rund einer Woche telefonierte er mit Frankreichs Präsidenten François Hollande und mit Großbritanniens Premierministerin Theresa May, die als erste ausländische Regierungschefin mit Trump im Oval Office Platz genommen hatte. Gut möglich also, dass Trudeau bei der Britin etwas genauer nachhören wollte, wie die Begegnung denn so verlaufen sei, um sich vorzubereiten.

Nur mit Kanada kann Trump seine Wahlversprechen umsetzen

Doch auch Gastgeber Donald Trump, der bekanntermaßen scharfe Töne und die Eskalation nicht scheut, wird bei diesem Staatsgast seine Schritte sorgsam planen müssen. Die Wirtschaftsbeziehungen zu Kanada sind für die Amerikaner mindestens ebenso bedeutsam, immerhin exportieren die Vereinigten Staaten jährlich Waren im Wert von 363 Milliarden Dollar nach Kanada. Etwa neun Millionen amerikanische Arbeitsplätze hängen von dem bilateralen Handel ab. Stephen Schwarzman, Trumps Wirtschaftsberater, bemühte sich i n einem Interview mit der kanadischen Zeitung „The Globe and Mail" auch gleich, die verunsicherten Kanadier zu beruhigen. Trumps Protektionismus ziele eher auf Länder ab, die mehr nach Amerika importierten als die Vereinigten Staaten dorthin exportierten. Der Handel mit Kanada bezeichnete Schwarzman dahingegen als „ausgeglichen"; die Kanadier sollten also „nicht zu besorgt" sein.

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