Julian Dorn

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Schulz beflügelt SPD : „Irgendwann reicht es nicht mehr, nur der Neue zu sein"

Auf Twitter liest man unter dem Hashtag „SchulzFacts" zuweilen Zeilen wie diese: „Der Kanzler-Dienstwagen von Martin Schulz braucht kein Benzin. Er fährt aus Respekt." Natürlich sind diese Tweets nicht ganz ernst gemeint. Trotzdem schwingt in solchen Zeilen auch ein wenig die Begeisterung über den SPD-Kanzlerkandidaten mit. Dieser Hype macht sich zur Zeit aber vor allem an den Umfragewerten der Sozialdemokraten fest: Jahrelang war die SPD im Umfragekeller verschollen, wurde belächelt und bemitleidet. Dann kam Martin Schulz.

Seit Sigmar Gabriel den ehemaligen Präsidenten des EU-Parlaments zum Kanzlerkandidaten und Parteivorsitzenden gemacht hat, schlägt das Parteiherz wieder. Veranstaltungen mit Schulz sind ausgebucht, mehr als 3000 neue Mitglieder hat die SPD seit dem Führungswechsel verzeichnet. Innerhalb von zwei Wochen sind die Umfragewerte der Partei um zehn Prozent gestiegen, in der jüngsten Emnid-Erhebung kommt die SPD auf 33 Prozent und liegt damit zum ersten Mal seit zehn Jahren vor der Union. Auch bei der Kanzlerpräferenz hat Shootingstar Schulz Bundeskanzlerin Angela Merkel überholt. 49 Prozent der Befragten hätten nach einer aktuellen Umfrage lieber den Herausforderer als Regierungschef, Merkel bevorzugen derzeit 38 Prozent. Ende Januar war die Reihenfolge noch umgekehrt: Merkel lag mit 44 Prozent knapp vor Schulz, für den 40 Prozent waren.

„Demokratie braucht Differenz"

Für den Münchner Soziologen Armin Nassehi kommt das nicht überraschend. „Martin Schulz stilisiert sich als unverbrauchtes Gesicht und bringt damit frischen Wind in die Bundespolitik," sagt er. Schulz liefere das, was der Wähler sich wünsche: eine Alternative zu Angela Merkel - und damit das Gefühl, wieder eine Wahl zu haben.

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Allzu lange habe die Bundespolitik so gewirkt, als gebe es jenseits extremer Positionen keine legitimen Alternativen, so Nassehi im Gespräch mit FAZ.NET. „Das ist das, was wohl die größte Unzufriedenheit ausgelöst hat. Zumindest diese Möglichkeit bietet Schulz derzeit an." Demokratie brauche Differenz, sagt Nassehi. „Das politische Publikum erlebt seine Haltung nur dann als eine Entscheidung, wenn es auch anders hätte entscheiden können."

Den Unterschied zu Angela Merkel hebt Martin Schulz derzeit denn auch mit aller Kraft hervor. Merkels nüchterner Sprache setzt er eine emotionale und überschwängliche Rhetorik entgegen, die bei vielen Genossen eine Begeisterung auslöst, die es in der SPD schon lange nicht mehr gab. Doch auch seine unkonventionelle Biographie unterscheidet Schulz von anderen Berufspolitikern: Kein Abitur, kein Studium - stattdessen eine schwierige Jugend. Dennoch schaffte es Schulz - allen Widrigkeiten zum Trotz - an die Spitze des Europaparlaments und jetzt zum SPD-Vorsitzenden und Kanzlerkandidaten. Die deutsche Variante des amerikanischen Traums. Hinzu kommt, dass er - zumindest auf dem Papier - ein Mann aus dem Volk ist: Als Bürgermeister der westfälischen Kleinstadt Würselen hat Martin Schulz seine Wurzeln in der Kommunalpolitik.

Problem Profillosigkeit

Martin Schulz werde nun versuchen, so lange wie möglich von diesem Differenzeffekt zu zehren, vermutet Nassehi, der an der Ludwigs-Maximilians-Universität in München lehrt. „Er wird bei der Programmatik so lange wie möglich diffus bleiben und ganz auf sein Charisma und seine Authentizität setzen." Doch Charisma lasse sich nur kurze Zeit konservieren. Je näher der Wahltag rücke, desto drängender werde die Frage sein, wie er sich politisch positioniert. Allein mit der Tatsache, dass Schulz eben nicht Merkel ist, werde die Wahl kaum zu gewinnen sein, glaubt Nassehi.

Bislang hat Schulz allerdings nur Konturen eines Programms erkennen lassen; inhaltlich bleibt er noch weitgehend profillos und vage. Eine grobe Richtung im Wahlkampf hat Schulz aber schon vorgegeben: Er will sich für „die hart arbeitenden Menschen" stark machen. Das Motto seiner Kampagne heißt bisher „Zeit für mehr Gerechtigkeit." Das klingt danach, als wolle sich Schulz auf die früheren Kernthemen und die Stammklientel der Sozialdemokraten besinnen - ob das verfängt, sehen einige Beobachter aber kritisch. „Das Gerechtigkeitsthema wird nicht einfach als Umverteilungspolitik funktionieren", ist Armin Nassehi überzeugt. Entscheidend werde sein, ob die SPD das alte sozialdemokratische Versprechen des sozialen Aufstiegs durch Bildung und Arbeit an die Bedingungen des 21. Jahrhunderts anpassen könne.

Daraus ergäben sich dann die entscheidenden Wählerschichten, „nämlich diejenigen, die das Gefühl haben, dass sie trotz großer Mühe, trotz zwei Jobs in der Familie und trotz Bildungsabschlüssen an ihrer ökonomischen und symbolischen Lage wenig verbessern können" sagt der Münchner Soziologe. Die SPD müsse eine Gerechtigkeitsperspektive entwickeln, die das Gerechtigkeitsthema weder gegen Flüchtlinge noch gegen die „Reichen" ausspiele. Das könne man nur mit einem Programm für Aufstiegschancen erreichen - bislang sei davon noch nicht viel zu sehen. „Irgendwann reicht es für Schulz aber nicht mehr, nur der Neue zu sein," warnt Nassehi.

© EPA Im Schweinsgalopp: Martin Schulz tourt mit einem so dichten Zeitplan durch die deutsche Provbinz (hier Mitte Februar in Duisburg-Marxloh), dass mancher schon warnt, er verheize sich

Innenpolitisch ist Schulz kaum erfahren

Dann muss Schulz liefern - ­ und das könnte durchaus heikel werden. Denn viele Beobachter bezweifeln, dass man in Zeiten von Terrorbedrohung und Flüchtlingskrise mit einem Gerechtigkeitswahlkampf erfolgreich sein kann. Die derzeit dominanten Themen sind Identität - und vor allem innere Sicherheit. Gerade Letzteres gilt traditionellerweise aber eher als Domäne der Union. Bei diesen Themen werde es auch schwierig, den Differenzeffekt aufrechtzuerhalten, sagt Armin Nassehi. „Ein Lagerwahlkampf wird damit nicht zu führen sein." Schulz werde nicht umhin kommen, wie Angela Merkel einen ähnlich harten Kurs in der Asylpolitik einzuschlagen, wenn er eine Chance gegen sie haben wolle, glaubt der Soziologe.

Zum Problem könnte auch werden, dass Martin Schulz innenpolitisch noch ein vergleichsweise unbeschriebenes Blatt ist. In viele nationale Themen wie Rente, Steuergerechtigkeit und Pkw-Maut wird sich der langjährige EU-Politiker erst einarbeiten müssen. Unionsfraktionschef Volker Kauder sprach dem SPD-Kanzlerkandidaten unlängst gar die Regierungskompetenz ab und monierte, dass es Schulz „an praktischer Regierungserfahrung" mangele. In der aktuellen Umfrage des ZDF-Politikbarometers sehen das die Befragten offenbar ähnlich: So liegt Martin Schulz zwar im direkten Duell um die Wählergunst vor Merkel, doch 34 Prozent der Befragten sprechen ihr den größeren Sachverstand zu und nur zehn Prozent dem SPD-Vorsitzenden.

© dpa Auch Schulz selbst warnt seine Genossen davor, angesichts der Umfragewerte schon übermütig zu werden

Schulz' Außenseiterrolle habe auch Vorteile, meint Armin Nassehi. „Eben weil er vermeintlich von außen kommt, ist er unbefangen und wird nicht mit bestehenden Konflikten verbunden." Auch ist Schulz zumindest auf internationaler Ebene versiert und verfügt nach 22 Jahren im Europaparlament über gute Kontakte zu vielen Staats- und Regierungschefs. Das birgt jedoch auch einen möglichen Nachteil: Schulz war jahrzehntelang ein Teil des im Augenblick in der Bevölkerung nicht sonderlich hoch im Kurs stehenden EU-Establishments.

Als weiteres Wahlkampfthema visiert Schulz offenbar die Bekämpfung der Steuerflucht an - ein heikles Feld, das ihn in eine Glaubwürdigkeitskrise stürzen könnte. Kritiker werden dann nicht müde werden, zu erwähnen, dass Schulz seinen Vertrauten, den EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker, einst vor einem Untersuchungsausschuss wegen einer Steuer-Affäre bewahrte. Juncker geriet wegen des umstrittenen Steuergebahrens des Großherzogtums Luxemburg in Bedrängnis, wo er lange Zeit Ministerpräsident und Finanzminister war.

Auf einer Pressekonferenz Ende Januar skizzierte Martin Schulz bereits sein Steuerkonzept: Er sei - im Gegensatz zur Union - für eine „stärkere Besteuerung von Riesenvermögen" und gegen Steuersenkungen. Details? „ Kommt noch", so Schulz.

„Schulz muss Charisma und die Sachthemen verzahnen"

„Entscheidend für den langfristigen Erfolg der Sozialdemokraten wird sein, ob es Martin Schulz schafft, sein Charisma und die Sachthemen überzeugend zu verzahnen", sagt der Soziologe Armin Nassehi. Auf ihrem momentanen Erfolg ausruhen dürfe sich die Partei aber nicht. Davor warnt Martin Schulz seine Genossen selbst: „Es ist ein Langstreckenlauf", sagte er auf einer SPD-Veranstaltung in Herne Anfang Februar. „Wir haben gerade einen Spurt hingelegt, aber wir müssen schauen, dass uns nicht die Puste ausgeht."

Vielleicht dachte er dabei auch an das Schicksal seines Vorgängers Peer Steinbrück. Vor vier Jahren war Steinbrück der SPD-Kanzlerkandidat und scheiterte kläglich. Auch er hatte seiner Partei zuvor ein Sechs-Jahres-Hoch in den Umfragen beschert.

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