Ich eile über den Zebrastreifen vor der roten Cafete. Die Bibliothek schließt gleich und ich habe einige Bücher zurückzugeben, wenn ich keine Versäumnisgebühren zahlen will. Gerade noch rechtzeitig verschwinden die dicken Wälzer, die ich für meine letzte Hausarbeit vor der Masterarbeit durchgearbeitet habe, im Rückgabeautomat. Leicht verschwitzt trete ich nach draußen; vor mir liegen die grüne Wiese und die bunten Türme. Ich entscheide mich, nicht den kürzesten Weg nach Hause zu nehmen, sondern den Campus zu überqueren. Auf Höhe des Hörsaalzentrums S05 kommt mir eine kleine Gruppe Studentinnen entgegen. Lachend unterhalten sie sich über ein Seminar, dessen Dozent in den Augen der schätzungsweise 18- bis 19-Jährigen unfähig zu sein scheint. „Ich habe nicht mal für die Klausur gelernt", sagt eine der jungen Studentinnen und verdreht die Augen, als sie mit ihren Freundinnen an mir vorbei schlendert.
Ich muss unwillkürlich schmunzeln. Meine letzte Klausur liegt inzwischen mehrere Semester zurück, mein Bachelorabschluss sogar schon mehr Jahre, als mir lieb ist. Die drei Studentinnen erinnern mich an meinen eigenen Studienbeginn, damals noch an einer anderen Uni. Ich habe wahnsinnig gerne studiert. Ich habe es geliebt, in Hörsälen zu sitzen, den Dozierenden zu lauschen, fleißig Notizen zu machen und die wichtigsten Sätze bunt zu markieren. In Seminaren Neues zu lernen und die Welt nach und nach mit anderen Augen zu betrachten war für mich das Schönste am Studium. Mindestens so schön, wie nach den Vorlesungen mit Kommiliton:innen über den Campus zu schlendern und sich über unfähige Dozierende aufzuregen. Vom ersten Augenblick an war ich in die Atmosphäre an der Uni verliebt. Und das soll nun bald alles vorbei sein?
Nur noch die Masterarbeit trennt mich von einem Abschied, der mir sehr schwer fallen wird. Kein Wunder, dass ich ihn so lange hinausgezögert habe. Wie gern wäre ich noch einmal 18 und Ersti. Noch einmal neu auf dem großen Campus, noch einmal das erste Mal im Hörsaal sitzen und den Geruch von alten Holzmöbeln, Staub und Büchern einsaugen. Ich beneide die drei Studentinnen. Aber es hilft ja nichts. Nach sechs Semestern Bachelor und zehn Semestern Master, ist es wohl Zeit, zu gehen. Dass mich die Masterarbeit zumindest noch ein paar Mal auf das Unigelände führen wird, ist ein schwacher Trost, denke ich, als ich den Campus verlasse und einen kurzen, sehnsuchtsvollen Blick auf die bunten Türme werfe.