Julia Segantini

Volontärin bei Lensing Media, Essen

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Den Kampf gegen Antisemitismus an Schulen stärken

Im Physik- und Spanisch-Unterricht über Antisemitismus sprechen? Warum eigentlich nicht, finden Marina Friemelt und Natalie Kajzer, Mitarbeiterinnen im Projekt „MALMAD". Der virtuelle Methodenkoffer will antisemitismuskritische Bildung im inner- und außerschulischen Sektor unterstützen. Mit uns sprechen sie darüber, woran es momentan noch hapert und wieso sich im Lehrplan einiges ändern muss.

„Antisemitismus hat eine viel längere Geschichte. Trotzdem werden meist nur die 12 Jahre Nationalsozialismus mit dem Begriff verknüpft", kritisiert Natalie Kajzer. Die UDE-Absolventin ist Mitarbeiterin von MALMAD. Malmad (מלמד ) ist hebräisch und bedeutet sinngemäß Stachel. Das Projekt von der Servicesetelle für Antidiskriminierungsarbeit - Beratung bei Rassismus und Antisemitismus ( SABRA) gibt Lehrenden Methoden und Informationen zu den Bereichen Antisemitismus, Israel und Judentum sowie zu Demokratie und Menschenrechten an die Hand. Gedacht ist das Projekt für alle Bereiche der Bildungslandschaft, besonders für außerschulische Aktionen.

Die von MALMAD entwickelten Methoden wurden bereits mehrfach von den Mitarbeitenden erprobt, evaluiert und angepasst. Nach einer kostenlosen Registrierung können sich Lehrende aus allen Bereichen des Bildungswesens am Methodenkoffer bedienen und sich vernetzen. Aktuell arbeitet MALMAD an Methoden für eine jüngere Altersgruppe. „Bis jetzt sind die für Teilnehmende ab zirka 14 Jahren. Gerade wenn es um Israel und Antisemitismus geht, heißt es oft, die Schüler:innen müssten ein gewisses Alter haben", so Kajzer.

Wie ein Schul-Projekt aussehen könnte, beschreibt die Historikerin Friemelt so: „Wir fangen bei uns selbst an: Wie seht ihr euch selbst, welche Rollen nehmt ihr ein? Wie sehen mich die anderen?" Im Plenum werden die Gemeinsamkeiten und Unterschiede besprochen. Durch eine spielerischen Aktion sollen die Teilnehmenden als nächstes Begriffe zu einem Thema sammeln. „In einem Quiz klären wir dann Fragen wie: ‚Wie viele Jüdinnen und Juden leben weltweit und in Deutschland?' Im letzten Schritt soll ein Filmausschnitt eine jüdische Perspektive einbringen: „Eine Jüdin spricht über ihre eigene Sicht auf jüdische Identitäten und wie unterschiedlich die sind. Dadurch reflektieren wir das Spannungsverhältnis zwischen unserem Schubladendenken und der Realität." Momentan kümmern sich die Mitarbeitenden um die Digitalisierung dieser Methoden.

Nur Geschichts-Unterricht reicht nicht

Auf dem Weg zum Schulabschluss begegnen Schüler:innen dem Thema Nationalsozialismus mehrfach - vor allem im Geschichtsunterricht. Warum reicht das nicht aus? „Dadurch fehlt der Blick dafür, dass es um eine Weltanschauung geht", stellt Kajzer klar. Häufig werde das Thema nur oberflächlich behandelt. Ein Großteil der Leute verstehe nicht, dass ein Mechanismus dahinter stecke, der nach dem Zweiten Weltkrieg nicht einfach verschwunden sei. „Da kann man auch im Spanisch-oder im Physik-Unterricht anknüpfen. Egal in welchen Fachbereich man hineinschaut, man wird antisemitische Tendenzen sehen, die nicht aufgearbeitet wurden", ist sie sich sicher. Damit sich die Lehrpläne ändern, sieht Kajzer auch die Universitäten in der Verantwortung: „Die Universität Duisburg-Essen ist eines der Schwergewichte in Deutschland was die Lehramtsausbildung angeht. Auch da ist noch nicht angekommen, dass das ein Bestandteil der Lehramtsausbildung sein sollte", kritisiert die UDE-Absolventin.

Auch Friemelt spricht sich dafür aus, die antisemitismuskritische Debatte fächerübergreifend und mit Bezug zur Gegenwart zu führen. „Keiner möchte Nazi oder Antisemit sein oder sich vorstellen, dass die Familie davon profitiert hat und darin verstrickt war. Bevor man nicht die eigene Biografie anschaut und sich klar macht, dass wir nun mal die Nachfahren sind, wird es nicht gelingen, Antisemitismus als gegenwärtiges Problem zu identifizieren", betont sie.

Gegenwärtiges jüdisches Leben an die Schulen holen

Momentan herrsche zu Israel und dem Judentum viel Klischeewissen. „Unsere Idee ist zu zeigen, wie jüdischen Leben heute aussehen kann. Wie laufen die Menschen herum, wie denken sie über ihre Identität nach?", erzählt Friemelt. MALMAD arbeitet vor allem vorbeugend. Antisemitismus-Prävention bedeute, eine Sensibilisierung dafür zu schaffen, wie viel antisemitisches Wissen kulturell und gesellschaftlich verankert ist und weitergetragen wird, so die Historikerin. Sie rät dringend davon ab, präventive Maßnahmen erst nach einem antisemitischen Vorfall zu ergreifen. „Dann ist der Elefant schon im Raum und es funktioniert einfach nicht. Die Schüler:innen bekommen dann das Gefühl, das Programm sei eine Art Bestrafungsmaßnahme, und dann wird es sowieso abgelehnt."

Oft werde nicht sinnvoll mit antisemitischen Vorfällen umgegangen. „Ich lehne die Idee ab, sofort in eine Gedenkstätte zu fahren, wenn auf dem Schulhof „du Jude" gesagt wurde. Damit verlagert man ein gegenwärtiges Problem in einen historisierten Kontext", gibt Friemelt zu bedenken. Warum man sich mit konkreten Vorfällen direkt auseinandersetzen müsse, erklärt Kajzer so: „Indem so eine Äußerung im Klassenverband getätigt und überhaupt nicht thematisiert wird, bestärkt man diese Äußerung. Hat man dann sogar Jüdinnen und Juden in der Klasse, lässt man die Betroffenen zurück."

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