Julia Segantini

Volontärin bei Lensing Media, Essen

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Artikel

Wie Studierende und Frauen gegen eine Diktatur kämpfen

Der belarusische Präsident Aljaksandr Lukaschenka soll die Präsidentschaftswahlen im August manipuliert haben, damit seine diktatorische Regierung weiterhin an der Macht bleibt. Seitdem gibt es massive Proteste aus der Zivilbevölkerung, gegen die der Alleinherrscher rigoros vorgeht. Die Journalistin Katja Artsiomenka kämpft von Essen aus für ihr Heimatland. Warum die Demonstrant:innen trotz der gewaltvollen und repressiven Maßnahmen durch Polizei und Behörden weiterhin auf die Straße gehen und die Frauen eine besonders wichtige Rolle bei den Protesten einnehmen, hat sie unserer Redakteurin Julia Segantini im Interview erklärt.

ak[due]ll: Worum geht es den Demonstrant:innen in Belarus?

Katja Artsiomenka: Denen geht es aufgrund der gefälschten Präsidentschaftswahl vor allem um Neuwahlen. Sie stellen zudem die Forderung, dass politische Gefangene befreit werden. Außerdem sollen diejenigen, die in den letzten Wochen und direkt nach der Wahl Gewalt verursacht haben, zur Verantwortung gezogen werden.

ak[due]ll: Gibt es innerhalb der Protestbewegung eine Gruppe, die besonders stark ist?

Katja Artsiomenka: Die Frauen haben dem Protest erst ein Gesicht verliehen. Man spricht auch von einer Frauenrevolution, weil viele Frauenmärsche veranstaltet werden. Dass sie so stark sind, hat damit zu tun, dass nach den ersten Tagen, als die Demonstranten sehr brutal geschlagen und festgenommen wurden, wir ganz schreckliche Bilder von den Folterungen in den Gefängnissen gesehen haben. In den ersten Tagen danach haben die Frauen angefangen, Solidaritätsketten in der Stadt zu bilden. Die gab es im ganzen Land, nicht nur in der Hauptstadt Minsk.

Man sagt, bei Tageslicht schlägt man Frauen nicht, zumindest damals sagte man das. Dahinter steckt natürlich auch eine sexistische und patriarchale Haltung, Frauen werden unterschätzt. Natürlich gibt es Gewalt gegen Frauen, aber eben nicht in der Öffentlichkeit. So haben Frauen Gesicht gezeigt. Ich habe viele Meldungen von Männern bekommen, die gesagt haben, ‚Die Frauen haben uns die Angst genommen'. Danach sind viel mehr Männer auf die Straße gegangen. Es gibt Bilder davon, wie Demonstranten festgenommen und von Frauen wieder befreit werden. Es gibt aber auch schreckliche Bilder davon, wie junge Studentinnen von Sicherheitsleuten festgenommen werden. Die anfängliche Zurückhaltung den Frauen gegenüber ist vergangen. Die Frauenmärsche finden aber weiterhin statt.

ak[due]ll: In letzter Zeit sind vor allem Studierende auf die Straße gegangen.

Katja Artsiomenka: In den letzten Wochen waren besonders die Studierenden stark betroffen, ja. Das ist auch der Grund, warum die Protestbewegungen in Deutschland versuchen, alle ASten für Solidaritätskundgebungen zu aktivieren. Mit dem Semesterstart am 1. September sind in Belarus viele Studierende, Universitätsmitarbeiter, Dozenten und Hochschullehrer auf die Straße gegangen und haben in Universitätsgebäuden Protestlieder gesungen und Fahnen aufgehängt. Dafür wurden einige brutal geschlagen oder festgenommen. Ihnen wird mit Exmatrikulation gedroht. Problematisch ist, dass studentische Selbstverwaltung, also so etwas wie ASten, in Belarus nicht möglich ist. Diejenigen, die versuchen, das auf die Beine zu stellen, werden hart bestraft.

ak[due]ll: Nach anfänglichem Zögern hat sich Putin nun auch offiziell hinter Lukaschenko gestellt. Was bedeutet das für die Demonstrant:innen?

Katja Artsiomenka: Naja, Russland war nachdem die offiziellen Wahlergebnisse bekannt gegeben wurden das erste Land, das die Wahl anerkannt hat. Russland hat Lukaschenko also von Anfang an den Rücken gestärkt. Das war immer ein Doppelspiel: Einerseits Europa auf offizieller Ebene das Signal geben, dass man sich nicht einmischt, andererseits hat Russland aber die ganze Zeit mitgespielt. Russische Journalisten arbeiten mit dem staatlichen belarusischen Fernsehen zusammen.

Das heißt, im Land wird auch russische Propaganda betrieben. Für die Proteste bedeutet das erstmal nichts solange keine militärischen Schritte unternommen werden. Die Menschen kämpfen weiterhin für ihre Rechte. Solange Lukaschenko Unterstützung von Russland erhält, ziehen sich die Proteste aber mehr in die Länge. Denn die Einmischung von Russland erschwert den Dialog, der ohnehin schon nicht möglich ist. Die einzige Möglichkeit, damit Lukaschenko geht, wäre, wenn weder aus der EU, noch aus Russland Unterstützung käme. Deshalb werden die Proteste nun länger dauern, mehr Menschen festgenommen werden und dem Land wird mehr Unrecht widerfahren. In Belarus gibt es zur Zeit kein funktionierendes Strafgesetz.

ak[due]ll: In Deutschland gibt es ebenfalls Demonstrationen, zum Beispiel in Köln. Wie sahen diese Proteste aus?

Katja Artsiomenka: Das sind Protestbewegungen von Belarusen und Belarusinnen in Deutschland. Die haben im August, zunächst in Berlin, begonnen. Die ersten zwei Wochen sind sie jeden Tag auf die Straßen gegangen. In NRW ist das ganze ein paar Tage später gestartet. Seitdem treffen sich die Belarusen aus NRW wöchentlich entweder in Köln oder in Düsseldorf zu einer Kundgebung. Sie versuchen, Akteure aus der deutschen Zivilgesellschaft als Redner einzuladen.

Es geht nicht nur darum, Solidarität nach Belarus zu senden. Es geht auch darum, die Menschen, die hier leben, aufzuklären und von unserem Land und den Ereignissen dort zu erzählen. Die Belarusen und Belarusinnen hier sollen eine Stimme bekommen. Auf der letzten Kundgebung in Düsseldorf hat auch der Deutsche Journalistenverband Solidarität gezeigt. Der Vorsitzende Frank Überall hat eine Rede über Meinungsfreiheit gehalten und seine Haltung gezeigt. In Essen gab es auch Proteste, aber sehr kleine. Es ist sehr wichtig, dass Belarus Solidarität aus der deutschen Zivilgesellschaft erfährt. Denn das, womit wir es in Belarus zu tun haben, ist der Aufstand der Zivilgesellschaft.

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