Obwohl die Stufen die Besuchenden zwei Stockwerke nach oben führen, habe ich den Eindruck, in einen Bunker hinabzusteigen. Eng, dunkel und leicht verwittert ist das Treppenhaus. Dann geht es durch eine schwere Tür zur Ausstellung. Der dunkle Metallboden, die hohen Decken und grob verputzten Wände schaffen eine düstere Stimmung. Dass nur die übergroßen Portraits von einzelnen Spots beleuchtet werden, verstärkt diesen Eindruck. Die Atmosphäre erzeugt eine drückende Stille, obwohl mehrere Menschen die Ausstellung besuchen. Von der Decke hängen große Heizstrahler, die die Räume erwärmen.
Direkte Konfrontation
Die gesamte Etage der Kokerei besteht aus einzelnen verwinkelten Bereichen, von denen man in alle anderen hineinschauen kann. An einigen Stellen kann man von einem Geländer aus in die Tiefe blicken. Nur am Boden scheint von dort etwas Licht durch ein quadratisches Fenster. Die Besuchenden wandern von Porträt zu Porträt. Unter jedem Bild hängt eine Tafel. Darauf zu lesen ist das Geburtsdatum der abgebildeten Personen, wo sie sich während des Holocaust aufhielten und ein individuelles Zitat. Eliezer Lev-Zion befand sich während des Holocaust beispielsweise in Lyon und schloss sich dem französisch-jüdischen Widerstand an - mit gerade einmal 14 Jahren. Geht man ganz nah an die Fotografien heran, erkennt man in der Reflexion der Augen manchmal noch den Fotografen.
Die Portraits sind minimalistisch gehalten. Der Fotograf inszeniert seine Modelle direkt von vorne, ohne sie eine Pose einnehmen oder sie künstlich in die Kamera grinsen zu lassen. Die Tatsache, dass diese Menschen überhaupt am Leben sind und fotografiert werden können, spricht für sich und macht jedes Drumherum überflüssig. Die Direktheit der Bilder unterstützt die drückende Stimmung, denn in den Augen der Überlebenden meint man die Verbrechen des Holocaust zu erkennen. Nichts lenkt davon ab, die Besuchenden sehen sich ohne Fluchtmöglichkeit direkt mit der deutschen NS-Vergangenheit konfrontiert. Ein Gefühl von Betroffenheit macht sich breit, besonders durch Zitate, wie von Lea Shnapp, die das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz überlebte: „Niemand griff ein, als während des Holocaust sechs Millionen Juden ermordet wurden. Kein Land verhinderte die Transporte nach Auschwitz während des Krieges. Als Juden haben wir gelernt, dass es für uns nur ein Land gibt: Israel."
Auf dem Metallboden hallt jedes Geräusch in dreifacher Lautstärke wieder. Als ich auf einen kleinen Stein trete, hallt das Knacken laut wieder. Schuldbewusst sehe ich mich um, ich habe das Gefühl, kein Geräusch machen zu dürfen. Den anderen Besuchenden scheint es ähnlich zu gehen, sie sprechen gar nicht oder nur flüsternd miteinander.
Zum Schluss wird in einem Video, das auf eine Leinwand projiziert ist, die Arbeit des Fotografen Martin Schoeller mit den Holocaust-Überlebenden gezeigt. An einigen Stellen schmunzeln meine Begleitung und ich, wenn die Modelle fröhlich von ihren zahlreichen Enkeln erzählen. Wenige Augenblicke später beschreiben die Überlebenden konkrete Gräueltaten der KZ-Aufseher. Dabei packt mich spontan der Impuls, aufzustehen und zu gehen. Aber ich bleibe sitzen, auch als mir Tränen über das Gesicht kullern. Bewusst wird hier einem die Verantwortung, die man selbst im Umgang mit der deutschen NS-Vergangenheit trägt. An der selben Stelle scheint es der Frau neben mir ähnlich zu gehen. Sie nimmt die Kopfhörer ab, atmet schwer auf und sieht sich den Rest ohne Ton an. Nach dem Video gelangen wir wieder in den Anfangsbereich. Kalt und zugig ist es hier im Vergleich zu den anderen Räumen. Erst als meine Begleitung und ich durch die Tür ins Treppenhaus treten, atmen wir richtig auf.
Die Ausstellung läuft noch bis zum 26. April, täglich von 11 bis 17 Uhr. Das Eintrittsgeld, das Besuchende nach eigenem Ermessen entrichten, dient der Refinanzierung der Ausstellung.