Julia Segantini

Volontärin bei Lensing Media, Essen

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Kein Bock auf Cock-Rock

Kaum ein Genre versteht es so gut, die musikalische Entsprechung depressiver Gefühle zu sein, wie Grunge. Ganz besonders assoziieren viele die Gruppe Nirvana um Frontsänger Kurt Cobain damit. In seinen Texten verarbeitet er seine Wut, Verzweiflung und Überforderung mit der Welt. Am 5. April 1994 beendet er sein Leben*. Noch heute wird seine Person als Ikone des Grunge und Symbolfigur einer ganzen Generation zelebriert. Was viele nicht wissen: Kurt Cobain war außerdem Feminist. 


Ihre politische Haltung und Ablehnung zum Cock Rock (Rockmusik, die die männliche Sexualität betont) verstecken Nirvana nie. So ist auf der Rückseite des Plattencover von Incesticide, einer Sammlung von B-Seiten, Studio-Outtakes und seltenen Songs, zu lesen: „An dieser Stelle habe ich eine Bitte an unsere Fans. Wenn einer von euch Homosexuelle, Menschen anderer Hautfarbe oder Frauen in irgendeiner Weise hasst, tut uns bitte diesen einen Gefallen – lasst uns verdammt noch mal in Ruhe! Kommt nicht zu unseren Shows und kauft nicht unsere Platten.“ Eine ungewöhnlich direkte Aussage von einer kommerziell erfolgreichen Band. Vor allem unter Berücksichtigung der Tatsache, dass diese Platte nach dem überwältigenden Erfolg des Albums Nevermind, das heute noch unter anderem wegen des berühmten Plattencovers und Hits wie Smells Like Teen Spirit Bekanntheit genießt, erschien.

Warum die politische Haltung Cobains angesichts des Personenkults, den ihn umgibt, Vielen trotzdem nicht bekannt ist, erscheint verwunderlich. Mehrfach äußert er sich in Interviews feministisch, antirassistisch und gegen Homophobie. Deutlich wird dies unter anderem in seiner Fehde mit Guns’n'RosesFrontmann Axl Rose. Denn obwohl Cobain sich negativ über den Rockgiganten äußert, wünscht sich Axl Rose Nirvana als Vorband für eine große Tour mit Metallica. Cobain lehnt ab – und beleidigt damit Rose. 


Sexismus, Schwänze, Schlampen

In einem Interview mit dem LGBT-Magazin The Advocate verdeutlicht Cobain kurz danach seine Meinung. Er nennt Rose „einen verdammten Sexisten und einen Rassisten und einen Homophoben, man kann nicht auf seiner und unserer Seite sein. Es tut mir leid, dass ich das so spalten muss, aber das ist etwas, das man nicht ignorieren kann. Und außerdem können sie keine gute Musik schreiben.“ Dabei bezieht er sich auf rassistische und homophobe Songtexte von Guns’n'Roses wie im Song One in a Million(1988). Guns’n’Roses stehen für ihn stellvertretend für andere Rockgrößen, bei denen politisch inkorrekte Texte zum guten Ton gehören. 


Enttäuscht ist Cobain vor allem vom offensichtlichen Sexismus vieler Macho-Rockstars und der gesellschaftlichen Akzeptanz dafür, wie er in einem Interview mit dem Musikjournalisten Jon Savage 1993 verrät: „Obwohl ich Aerosmith und Led Zeppelingehört habe und mir einige der Melodien wirklich gefallen haben, brauchte ich so viele Jahre, um zu erkennen, dass vieles davon mit Sexismus zu tun hatte. Die Art und Weise, wie sie einfach über ihre Schwänze und Sex schrieben.“


Das typische Machogehabe vieler Rockstars ist ihm damals zuwider. So tritt er auf der Bühne gelegentlich in Frauenkleidern auf, inszeniert lieber seine verletzliche Seite. Jon Savage gegenüber sagt er: „Da ich keine männlichen Freunde finden konnte, mit denen ich mich kompatibel fühlte, hing ich am Ende viel mit Mädchen ab. Und ich hatte einfach immer das Gefühl, dass sie nicht mit Respekt behandelt wurden, vor allem, weil Frauen einfach total unterdrückt werden. Ich meine, die Worte ‚Schlampe‘ und ‚Fotze‘ waren total üblich.“ Eine Erkenntnis, zu der viele Rockstars seines Kalibers nie gelangten. 


*Hilfe bei suizidalen Gedanken bietet die Telefonseelsorge. Sie ist rund um die Uhr unter 0 800 / 111 0 111 und 0 800 / 111 0 222 erreichbar.

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