Julia Schweinberger

Journalistin & Filmautorin, München

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Die rosarote Läuferbrille – Laufkolumne von Anna Achilles

"Ich beneide dich", sagte mein Onkel Achim neulich, als wir mal wieder durch den Wald nebeneinander hertrabten. Fast wäre ich gestolpert. Was hatte er gerade gesagt? Mich beneiden? Um was denn? Meine Jugend? Mein läuferisches Talent? Wohl kaum. Irritiert schaute ich zu ihm hinüber. "Du hast gerade erst mit dem Laufen angefangen", seufzte er, "für dich ist alles neu und aufregend - du bist frischverliebt." Für einen kurzen Moment sah ich mich selbst: freudestrahlend, locker federnd, in Zeitlupe dem Sonnenuntergang entgegenschwebend mit meinem neuen Freund, dem Laufen.

Ja, das mit der Romantik ist so eine Sache. Rudi zum Beispiel kann nichts aufhalten, um seiner großen Liebe nah zu sein. Er schleicht sich nachts heimlich auf Baustellen, um dort Ecodrill, einem Großdrehbohrgerät, nahe zu sein. Objektophilie nennt man das, wenn Menschen Gegenstände lieben. 1979 heiratete eine Schwedin die Berliner Mauer, andere knutschen mit dem Eiffelturm oder stehen auf Flugzeuge. Da kann ich doch ein Date mit meinen Laufschuhen haben. Die können immerhin nicht fremdgehen. Und wenn sie Bindungsängste haben, schnür ich sie halt ein bisschen fester. Perfekt.

Laufen in der Honeymoon-Phase

Wären das Laufen und ich ein Paar - wir befänden uns gerade in der Honeymoon-Phase. So bezeichnen Paartherapeuten das Anfangsstadium einer Liebesbeziehung, wenn alles frisch und die Hingabe der Partner grenzenlos ist. Meine Schuhe lungern ja nicht ohne Grund jeden Morgen im Flur direkt vor meiner Haustür herum.

Nein, das ist ein klarer Fall von Sehnsucht nach mir. Meine Laufschuhe sind übelst verknallt. Und ehrlich gesagt, geht es mir ähnlich: Spätestens nach drei Tagen ohne Laufen spüre ich ein starkes Verlangen nach Bewegung. Egal ob Tempoeinheit, Crescendolauf oder entspanntes Joggen - alles ist neu und aufregend. Das Laufen und ich, wir lernen uns gerade erst kennen. Und das Beste: Nach jeder Laufeinheit schwebe ich auf Wolke sieben.

Mein soziales Umfeld sieht das ein wenig anders. Meine Freunde können meiner neuen Liebe leider nicht so viel abgewinnen. Neulich beklagte sich meine Mitbewohnerin Lea. "Kannst du auch mal wieder über was anderes reden?" Sie war wohl etwas genervt von meinem Diskurs über die optimale Herzfrequenz bei einem entspannten Zehn-Kilometer-Trainingslauf.

Immerhin bekommt sie mich noch zu Gesicht - im Gegensatz zu meinen anderen Freunden. "Dienstag Kino?", textete mir eine Freundin vor kurzem. "Nein, da laufe ich doch immer mit einer meiner beiden Laufgruppen", schrieb ich zurück. Sie: "Dann Donnerstag?". Ich: "Nee, da hab ich Tennis." Sie: "Kommst du wenigstens am Samstag mit in die wilde Renate?" Hmm. Feiern gehen? An einem Samstag? Ich hatte doch für Sonntagmorgen ein Grunewald-da-wo-die-echten-Läufer-rennen-Date mit Onkel Achim. "Nee. Keine Zeit. Sorry!", schrieb ich zurück. Für die Liebe muss man Opfer bringen.

Die Schwächen der Beziehung

Ein paar Tage später scheuchte mich Onkel Achim den Teufelsberg hoch. Mein Kopf hatte dabei die Farbe eines Feuerwehrautos, ich japste laut nach Luft und meine Fortbewegungsgeschwindigkeit glich der einer Schnecke mit Bronchitis. Hört denn diese Steigung nie auf? Achim, der schon ein paar Meter Vorsprung hatte, warf nur einen kurzen Blick über seine Schulter und rief mir zu: "Kleene, das laufen wir jetzt noch weitere drei Mal hoch und runter. Nur so wird man schneller." Noch drei Mal? Das überlebe ich nicht.

Steigung für Steigung verflüchtigte sich das Verliebtheitsgefühl. Sollte das schon die erste große Krise sein? Die Schwächen des anderen stellt man ja immer erst in Phase zwei der Beziehung fest. Ob wir diese gemeinsam überstehen werden - da bin ich mir gerade nicht so sicher. Aber schon Kurt Tucholsky wusste: "Man braucht sehr viel Geduld, um Liebe zu lernen."

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